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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
gleichwie ein Traum sich abspielte. Solche Ansicht (selbst wenn in die
Leugnung der Aussenwelt auch die der Nebenmenschen samt ihrem Geiste
noch eingeschlossen würde) lässt allerdings sich weder beweisen noch
widerlegen; es bleibt dem Belieben anheimgestellt, sie anzunehmen oder
zu verwerfen.

Auch sie gibt übrigens ein Nicht-ich zu, bestehend aus der Gesamt-
heit der von dem Ich unabhängigen (als von ihm unabhängig empfundenen)
durch eine Notwendigkeit ihm oktroyirten Vorspiegelungen. Für unsre Zwecke
ist es gleichgültig, ob die Aussenwelt in dieser oder in jener Form aner-
kannt wird, wofern dies nur überhaupt der Fall ist.

Unstreitig kräftigt es unsre Überzeugung von der Existenz eines wahr-
genommenen Dinges der Aussenwelt, wenn wir aus ihren Kundgebungen
inne werden, dass auch andre Menschen dasselbe ebenso wie wir erblicken.
Aus diesem Umstand aber, mit De Morgan2 p. 28 sq., erst die Anerkennung
von der Existenz der Aussendinge ableiten zu wollen, scheint mir ein Umweg
zu sein, und glaube ich (ohne damit einen Anspruch auf Neuheit erheben zu
wollen) diesem gegenüber vorstehend -- sub r -- u) -- den wahren Grund
hervorgehoben zu haben.

o) Empfindungen und Vorstellungen lassen auch durch Erinnerung
sich reproduziren, ja wir können die Elemente uns schon geläufiger
Vorstellungen auch zu ganz neuen Vorstellungsgebilden erfinderisch
verknüpfen.

Wesentlich bleibt jedoch eine jede blos vorgestellte, sei es anti-
zipirend geahnte, sei es in Erinnerung gerufene Empfindung von der
durch Sinneseindruck thatsächlich hervorgerufenen verschieden.

Es dürfte schwierig sein, genau festzustellen, in was die faktische Em-
pfindung mit ihrer Erinnerung übereinstimmt und wodurch sie doch von
von dieser sich unterscheidet, was sie etwa vor ihr voraus hat. Die freien
Vorstellungen scheinen mit einem erhöhten Gefühl von Selbstthätigkeit, einem
Gefühl von Anstrengung der Einbildungskraft, Phantasie, verknüpft, unter
Fehlen des Gefühls, eventuell Genusses, und auch der Anstrengung rezep-
tiver Sinnesthätigkeit. "Jedenfalls werden wir nicht satt durch die Vor-
stellung, dass wir ein leckeres Gericht verzehrten, auch leiden wir ungleich
weniger durch blos vorgestelltes Zahnweh."

Stellen wir uns Veilchengeruch z. B. vor, so haben wir doch nicht
den Genuss des letztern; wir haben die Empfindung selbst nicht. Diese
können wir erst durch umgestaltende Einwirkung auf die Aussenwelt
erlangen, indem wir uns z. B. wirkliche Veilchen verschaffen.

In diesem unsern Unvermögen, die uns angenehmen Empfindungen
und äussern Sinneswahrnehmungen unmittelbar in unserm Bewusstsein
herzustellen, wurzelte, wie schon erwähnt, unsre Erkenntniss der Aussen-
welt überhaupt.

a1) Auf ebendieser Beschränkung unsrer Macht über unsern Be-
wusstseinsinhalt beruht es nun auch ferner, dass wir in Bezug auf

Einleitung.
gleichwie ein Traum sich abspielte. Solche Ansicht (selbst wenn in die
Leugnung der Aussenwelt auch die der Nebenmenschen samt ihrem Geiste
noch eingeschlossen würde) lässt allerdings sich weder beweisen noch
widerlegen; es bleibt dem Belieben anheimgestellt, sie anzunehmen oder
zu verwerfen.

Auch sie gibt übrigens ein Nicht-ich zu, bestehend aus der Gesamt-
heit der von dem Ich unabhängigen (als von ihm unabhängig empfundenen)
durch eine Notwendigkeit ihm oktroyirten Vorspiegelungen. Für unsre Zwecke
ist es gleichgültig, ob die Aussenwelt in dieser oder in jener Form aner-
kannt wird, wofern dies nur überhaupt der Fall ist.

Unstreitig kräftigt es unsre Überzeugung von der Existenz eines wahr-
genommenen Dinges der Aussenwelt, wenn wir aus ihren Kundgebungen
inne werden, dass auch andre Menschen dasselbe ebenso wie wir erblicken.
Aus diesem Umstand aber, mit De Morgan2 p. 28 sq., erst die Anerkennung
von der Existenz der Aussendinge ableiten zu wollen, scheint mir ein Umweg
zu sein, und glaube ich (ohne damit einen Anspruch auf Neuheit erheben zu
wollen) diesem gegenüber vorstehend — sub ϱυ) — den wahren Grund
hervorgehoben zu haben.

ω) Empfindungen und Vorstellungen lassen auch durch Erinnerung
sich reproduziren, ja wir können die Elemente uns schon geläufiger
Vorstellungen auch zu ganz neuen Vorstellungsgebilden erfinderisch
verknüpfen.

Wesentlich bleibt jedoch eine jede blos vorgestellte, sei es anti-
zipirend geahnte, sei es in Erinnerung gerufene Empfindung von der
durch Sinneseindruck thatsächlich hervorgerufenen verschieden.

Es dürfte schwierig sein, genau festzustellen, in was die faktische Em-
pfindung mit ihrer Erinnerung übereinstimmt und wodurch sie doch von
von dieser sich unterscheidet, was sie etwa vor ihr voraus hat. Die freien
Vorstellungen scheinen mit einem erhöhten Gefühl von Selbstthätigkeit, einem
Gefühl von Anstrengung der Einbildungskraft, Phantasie, verknüpft, unter
Fehlen des Gefühls, eventuell Genusses, und auch der Anstrengung rezep-
tiver Sinnesthätigkeit. „Jedenfalls werden wir nicht satt durch die Vor-
stellung, dass wir ein leckeres Gericht verzehrten, auch leiden wir ungleich
weniger durch blos vorgestelltes Zahnweh.“

Stellen wir uns Veilchengeruch z. B. vor, so haben wir doch nicht
den Genuss des letztern; wir haben die Empfindung selbst nicht. Diese
können wir erst durch umgestaltende Einwirkung auf die Aussenwelt
erlangen, indem wir uns z. B. wirkliche Veilchen verschaffen.

In diesem unsern Unvermögen, die uns angenehmen Empfindungen
und äussern Sinneswahrnehmungen unmittelbar in unserm Bewusstsein
herzustellen, wurzelte, wie schon erwähnt, unsre Erkenntniss der Aussen-
welt überhaupt.

α1) Auf ebendieser Beschränkung unsrer Macht über unsern Be-
wusstseinsinhalt beruht es nun auch ferner, dass wir in Bezug auf

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[28/0048] Einleitung. gleichwie ein Traum sich abspielte. Solche Ansicht (selbst wenn in die Leugnung der Aussenwelt auch die der Nebenmenschen samt ihrem Geiste noch eingeschlossen würde) lässt allerdings sich weder beweisen noch widerlegen; es bleibt dem Belieben anheimgestellt, sie anzunehmen oder zu verwerfen. Auch sie gibt übrigens ein Nicht-ich zu, bestehend aus der Gesamt- heit der von dem Ich unabhängigen (als von ihm unabhängig empfundenen) durch eine Notwendigkeit ihm oktroyirten Vorspiegelungen. Für unsre Zwecke ist es gleichgültig, ob die Aussenwelt in dieser oder in jener Form aner- kannt wird, wofern dies nur überhaupt der Fall ist. Unstreitig kräftigt es unsre Überzeugung von der Existenz eines wahr- genommenen Dinges der Aussenwelt, wenn wir aus ihren Kundgebungen inne werden, dass auch andre Menschen dasselbe ebenso wie wir erblicken. Aus diesem Umstand aber, mit De Morgan2 p. 28 sq., erst die Anerkennung von der Existenz der Aussendinge ableiten zu wollen, scheint mir ein Umweg zu sein, und glaube ich (ohne damit einen Anspruch auf Neuheit erheben zu wollen) diesem gegenüber vorstehend — sub ϱ — υ) — den wahren Grund hervorgehoben zu haben. ω) Empfindungen und Vorstellungen lassen auch durch Erinnerung sich reproduziren, ja wir können die Elemente uns schon geläufiger Vorstellungen auch zu ganz neuen Vorstellungsgebilden erfinderisch verknüpfen. Wesentlich bleibt jedoch eine jede blos vorgestellte, sei es anti- zipirend geahnte, sei es in Erinnerung gerufene Empfindung von der durch Sinneseindruck thatsächlich hervorgerufenen verschieden. Es dürfte schwierig sein, genau festzustellen, in was die faktische Em- pfindung mit ihrer Erinnerung übereinstimmt und wodurch sie doch von von dieser sich unterscheidet, was sie etwa vor ihr voraus hat. Die freien Vorstellungen scheinen mit einem erhöhten Gefühl von Selbstthätigkeit, einem Gefühl von Anstrengung der Einbildungskraft, Phantasie, verknüpft, unter Fehlen des Gefühls, eventuell Genusses, und auch der Anstrengung rezep- tiver Sinnesthätigkeit. „Jedenfalls werden wir nicht satt durch die Vor- stellung, dass wir ein leckeres Gericht verzehrten, auch leiden wir ungleich weniger durch blos vorgestelltes Zahnweh.“ Stellen wir uns Veilchengeruch z. B. vor, so haben wir doch nicht den Genuss des letztern; wir haben die Empfindung selbst nicht. Diese können wir erst durch umgestaltende Einwirkung auf die Aussenwelt erlangen, indem wir uns z. B. wirkliche Veilchen verschaffen. In diesem unsern Unvermögen, die uns angenehmen Empfindungen und äussern Sinneswahrnehmungen unmittelbar in unserm Bewusstsein herzustellen, wurzelte, wie schon erwähnt, unsre Erkenntniss der Aussen- welt überhaupt. α1) Auf ebendieser Beschränkung unsrer Macht über unsern Be- wusstseinsinhalt beruht es nun auch ferner, dass wir in Bezug auf

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/48>, abgerufen am 21.11.2024.