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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
Vorstellung gesetzt hätten, so würde das aufgestellte Unterscheidungs-
merkmal uns im Stiche lassen und läge kein Grund für uns vor, das
Element der roten Farbe in dieser Vorstellung als ein Abstraktum
gegenüberzustellen der ganzen Vorstellung als einem Konkretum (die
wir ja vielmehr von unserm Standpunkte auch selbst schon als ein
Abstraktum bezeichnen müssen). Es läge dann der Fall vor, dass
wir, anstatt von den Dingen, blos gesprochen hätten von unsren Vor-
stellungen
über diese, ohne jede Bezugnahme auf etwas ihrer Er-
scheinung zugrunde liegendes Wirkliches. Wollen wir aber nicht auf-
hören solche Bezugnahme aufrecht zu erhalten, wollen wir fortfahren
nach wie vor von Dingen zu reden, dann freilich können wir jene rote
Farbe nicht anders denken als wie als Farbe von etwas Farbigem; und
wird auch die Vorstellung ebendieses farbigen Etwas im übrigen mög-
lichst unvollendet gelassen, so musste dasselbe doch als vorhanden
notwendig mit gedacht werden und ist die Isolirung jener roten Farbe
keine vollständige gewesen.

Ähnlich musste auch der vom Erdball eingenommene Raum z. B.
als von etwas erfüllt, als Ausdehnungsform irgend einer Materie ge-
dacht werden, von welcher er nie völlig loszulösen ist.

Wir betreten hiermit allerdings ein streitiges Gebiet. Ob man den
Raum sich absolut leer denken könnte, einen Zeitraum ohne jeden Vorgang
in demselben, den Geist auch ohne Körper, darüber ist viel hin und her
gestritten worden. (Ich würde bis zur Erbringung eines Gegenbeweises
diese Fragen verneinen. Die Erscheinung des Todes hat es uns leicht ge-
macht, den Leib auch ohne Seele, isolirt zu denken -- wir nennen ihn
Leichnam; ich würde aber, wenn von dem Leibe eines lebenden Wesens
lediglich als Materie ohne Rücksicht auf dessen Besselung gesprochen wird,
auch diesen strenge genommen für ein Abstraktum zu erklären mich ver-
pflichtet glauben.)

Im Hinblick auf solche Kontroversen dürfte die Bemerkung am Platze
sein, dass die Unterscheidung zwischen "abstrakt" und "konkret" für unser
Hauptthema (soweit wir dasselbe zu führen vermögen) sich (noch) belang-
los erweisen wird (ein Grund für diese Erscheinung wird sogleich, im
folgenden Kontext ersichtlich). Wesentlich kommt es uns hier nur darauf
an, zunächst die Bedeutung des Eigennamens und nachher die des Gemein-
namens
klarzulegen, zu welchem Ende wir dieselbe allerdings wol in ihre
Hauptvarietäten hinein verfolgen müssen.

Ich muss auch gestehen, dass mich die obige Auseinandersetzung für
die Scheidung der Merkmale in Teile und Attribute, die wir hier -- ich
denke wol im Anschluss an das üblichste Verfahren -- genetisch zu ent-
wickeln versucht haben, nicht völlig befriedigt. Die Erde z. B. zieht nach
dem Gravitationsgesetze ein jedes Massenteilchen des Weltraums an, und
können überhaupt zwischen ihr und irgend einem andern Objekt des Denkens

Einleitung.
Vorstellung gesetzt hätten, so würde das aufgestellte Unterscheidungs-
merkmal uns im Stiche lassen und läge kein Grund für uns vor, das
Element der roten Farbe in dieser Vorstellung als ein Abstraktum
gegenüberzustellen der ganzen Vorstellung als einem Konkretum (die
wir ja vielmehr von unserm Standpunkte auch selbst schon als ein
Abstraktum bezeichnen müssen). Es läge dann der Fall vor, dass
wir, anstatt von den Dingen, blos gesprochen hätten von unsren Vor-
stellungen
über diese, ohne jede Bezugnahme auf etwas ihrer Er-
scheinung zugrunde liegendes Wirkliches. Wollen wir aber nicht auf-
hören solche Bezugnahme aufrecht zu erhalten, wollen wir fortfahren
nach wie vor von Dingen zu reden, dann freilich können wir jene rote
Farbe nicht anders denken als wie als Farbe von etwas Farbigem; und
wird auch die Vorstellung ebendieses farbigen Etwas im übrigen mög-
lichst unvollendet gelassen, so musste dasselbe doch als vorhanden
notwendig mit gedacht werden und ist die Isolirung jener roten Farbe
keine vollständige gewesen.

Ähnlich musste auch der vom Erdball eingenommene Raum z. B.
als von etwas erfüllt, als Ausdehnungsform irgend einer Materie ge-
dacht werden, von welcher er nie völlig loszulösen ist.

Wir betreten hiermit allerdings ein streitiges Gebiet. Ob man den
Raum sich absolut leer denken könnte, einen Zeitraum ohne jeden Vorgang
in demselben, den Geist auch ohne Körper, darüber ist viel hin und her
gestritten worden. (Ich würde bis zur Erbringung eines Gegenbeweises
diese Fragen verneinen. Die Erscheinung des Todes hat es uns leicht ge-
macht, den Leib auch ohne Seele, isolirt zu denken — wir nennen ihn
Leichnam; ich würde aber, wenn von dem Leibe eines lebenden Wesens
lediglich als Materie ohne Rücksicht auf dessen Besselung gesprochen wird,
auch diesen strenge genommen für ein Abstraktum zu erklären mich ver-
pflichtet glauben.)

Im Hinblick auf solche Kontroversen dürfte die Bemerkung am Platze
sein, dass die Unterscheidung zwischen „abstrakt“ und „konkret“ für unser
Hauptthema (soweit wir dasselbe zu führen vermögen) sich (noch) belang-
los erweisen wird (ein Grund für diese Erscheinung wird sogleich, im
folgenden Kontext ersichtlich). Wesentlich kommt es uns hier nur darauf
an, zunächst die Bedeutung des Eigennamens und nachher die des Gemein-
namens
klarzulegen, zu welchem Ende wir dieselbe allerdings wol in ihre
Hauptvarietäten hinein verfolgen müssen.

Ich muss auch gestehen, dass mich die obige Auseinandersetzung für
die Scheidung der Merkmale in Teile und Attribute, die wir hier — ich
denke wol im Anschluss an das üblichste Verfahren — genetisch zu ent-
wickeln versucht haben, nicht völlig befriedigt. Die Erde z. B. zieht nach
dem Gravitationsgesetze ein jedes Massenteilchen des Weltraums an, und
können überhaupt zwischen ihr und irgend einem andern Objekt des Denkens

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[59/0079] Einleitung. Vorstellung gesetzt hätten, so würde das aufgestellte Unterscheidungs- merkmal uns im Stiche lassen und läge kein Grund für uns vor, das Element der roten Farbe in dieser Vorstellung als ein Abstraktum gegenüberzustellen der ganzen Vorstellung als einem Konkretum (die wir ja vielmehr von unserm Standpunkte auch selbst schon als ein Abstraktum bezeichnen müssen). Es läge dann der Fall vor, dass wir, anstatt von den Dingen, blos gesprochen hätten von unsren Vor- stellungen über diese, ohne jede Bezugnahme auf etwas ihrer Er- scheinung zugrunde liegendes Wirkliches. Wollen wir aber nicht auf- hören solche Bezugnahme aufrecht zu erhalten, wollen wir fortfahren nach wie vor von Dingen zu reden, dann freilich können wir jene rote Farbe nicht anders denken als wie als Farbe von etwas Farbigem; und wird auch die Vorstellung ebendieses farbigen Etwas im übrigen mög- lichst unvollendet gelassen, so musste dasselbe doch als vorhanden notwendig mit gedacht werden und ist die Isolirung jener roten Farbe keine vollständige gewesen. Ähnlich musste auch der vom Erdball eingenommene Raum z. B. als von etwas erfüllt, als Ausdehnungsform irgend einer Materie ge- dacht werden, von welcher er nie völlig loszulösen ist. Wir betreten hiermit allerdings ein streitiges Gebiet. Ob man den Raum sich absolut leer denken könnte, einen Zeitraum ohne jeden Vorgang in demselben, den Geist auch ohne Körper, darüber ist viel hin und her gestritten worden. (Ich würde bis zur Erbringung eines Gegenbeweises diese Fragen verneinen. Die Erscheinung des Todes hat es uns leicht ge- macht, den Leib auch ohne Seele, isolirt zu denken — wir nennen ihn Leichnam; ich würde aber, wenn von dem Leibe eines lebenden Wesens lediglich als Materie ohne Rücksicht auf dessen Besselung gesprochen wird, auch diesen strenge genommen für ein Abstraktum zu erklären mich ver- pflichtet glauben.) Im Hinblick auf solche Kontroversen dürfte die Bemerkung am Platze sein, dass die Unterscheidung zwischen „abstrakt“ und „konkret“ für unser Hauptthema (soweit wir dasselbe zu führen vermögen) sich (noch) belang- los erweisen wird (ein Grund für diese Erscheinung wird sogleich, im folgenden Kontext ersichtlich). Wesentlich kommt es uns hier nur darauf an, zunächst die Bedeutung des Eigennamens und nachher die des Gemein- namens klarzulegen, zu welchem Ende wir dieselbe allerdings wol in ihre Hauptvarietäten hinein verfolgen müssen. Ich muss auch gestehen, dass mich die obige Auseinandersetzung für die Scheidung der Merkmale in Teile und Attribute, die wir hier — ich denke wol im Anschluss an das üblichste Verfahren — genetisch zu ent- wickeln versucht haben, nicht völlig befriedigt. Die Erde z. B. zieht nach dem Gravitationsgesetze ein jedes Massenteilchen des Weltraums an, und können überhaupt zwischen ihr und irgend einem andern Objekt des Denkens

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/79>, abgerufen am 11.05.2024.