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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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§ 46. Anwendungen. Wesen des indirekten Beweises.
§ 46. Diverse Anwendungen, Studien und Aufgaben, darunter:
Wesen des indirekten Beweises, Hauber's Satz, Mitchell's Nebel-
bilderproblem, nochmals McColl's Methode, etc.

1. Studie. Wesen des "indirekten" (oder "apagogischen") Beweises.
Dieser, auch "reductio ad absurdum" (bei Aristoteles apagoge eis
ton adunaton
) genannt, stellt sich im Aussagenkalkul wie folgt dar,
und rechtfertigt sich dadurch das Beweisverfahren als solches.

Die Voraussetzungen eines (indirekt) zu beweisenden Theorems
mögen mit A bezeichnet werden und was das Theorem alsdann be-
hauptet mit B. Das Theorem spricht darnach aus, dass aus der "An-
nahme" A die "Behauptung" B (faktisch) folge, d. h. dass sei
A B.
Auch der Fall, wo unser Theorem als voraussetzungslos erscheinen,
eine Behauptung B ohne weiteres als gültig hinstellen sollte, ist unter
diesem Schema mitbegriffen, indem man sich alsdann unter A nur ein
identisches (analytisches) Urteil vorzustellen braucht, wie z. B. das
Urteil: 0 = 0, welches im Aussagenkalkul den Wert i besitzt indem
es stetsfort gilt; in der That wird ja hiedurch die Subsumtion A B
auf i B, gemäss Th. 5n+) also auf B = i, das ist auf die Be-
hauptung B hinauskommen.

Wir mögen also die Subsumtion A B als das allgemeine
Schema für jedes erdenkliche Theorem hinstellen.

Um ein solches apagogisch zu beweisen, bemerke man, dass nach
Th. 21x), 30+) und 27x):
A = A B + A B1
ist. Man ziehe nun aus der Annahme, dass A gelte, B aber nicht
gelte, d. h. also aus der Annahme A B1 Schlüsse und suche aus der-
selben einen Widerspruch zu deduziren. Gelingt dies, so wird der
Beweis apagogisch geleistet sein. Gesetzt, es gelinge.

Der Widerspruch bestehe darin, dass aus A B1 gefolgert ist, eine
Aussage C müsse gelten, während andrerseits gefolgert oder ander-
weitig bekannt, längst anerkannt und feststehend ist, dass sie nicht
gelte, d. h. dass C1 gelte. Ersteres, in Formeln gesetzt, gibt:
A B1 C, letzteres: A B1 C1
-- auch dann, wenn die Folgerung keine logische oder denknotwendige
sein sollte; wenn nämlich C1 nur anerkanntermassen gilt, so ist es ja

§ 46. Anwendungen. Wesen des indirekten Beweises.
§ 46. Diverse Anwendungen, Studien und Aufgaben, darunter:
Wesen des indirekten Beweises, Hauber’s Satz, Mitchell’s Nebel-
bilderproblem, nochmals McColl’s Methode, etc.

1. Studie. Wesen desindirekten“ (oder „apagogischen“) Beweises.
Dieser, auch „reductio ad absurdum“ (bei Aristoteles ἀπαγωγὴ εἰς
τὸν ἀδύνατον
) genannt, stellt sich im Aussagenkalkul wie folgt dar,
und rechtfertigt sich dadurch das Beweisverfahren als solches.

Die Voraussetzungen eines (indirekt) zu beweisenden Theorems
mögen mit A bezeichnet werden und was das Theorem alsdann be-
hauptet mit B. Das Theorem spricht darnach aus, dass aus der „An-
nahme“ A die „Behauptung“ B (faktisch) folge, d. h. dass sei
A B.
Auch der Fall, wo unser Theorem als voraussetzungslos erscheinen,
eine Behauptung B ohne weiteres als gültig hinstellen sollte, ist unter
diesem Schema mitbegriffen, indem man sich alsdann unter A nur ein
identisches (analytisches) Urteil vorzustellen braucht, wie z. B. das
Urteil: 0 = 0, welches im Aussagenkalkul den Wert i besitzt indem
es stetsfort gilt; in der That wird ja hiedurch die Subsumtion A B
auf i B, gemäss Th. 5̄+) also auf B = i, das ist auf die Be-
hauptung B hinauskommen.

Wir mögen also die Subsumtion A B als das allgemeine
Schema für jedes erdenkliche Theorem hinstellen.

Um ein solches apagogisch zu beweisen, bemerke man, dass nach
Th. 21×), 30+) und 27×):
A = A B + A B1
ist. Man ziehe nun aus der Annahme, dass A gelte, B aber nicht
gelte, d. h. also aus der Annahme A B1 Schlüsse und suche aus der-
selben einen Widerspruch zu deduziren. Gelingt dies, so wird der
Beweis apagogisch geleistet sein. Gesetzt, es gelinge.

Der Widerspruch bestehe darin, dass aus A B1 gefolgert ist, eine
Aussage C müsse gelten, während andrerseits gefolgert oder ander-
weitig bekannt, längst anerkannt und feststehend ist, dass sie nicht
gelte, d. h. dass C1 gelte. Ersteres, in Formeln gesetzt, gibt:
A B1 C, letzteres: A B1 C1
— auch dann, wenn die Folgerung keine logische oder denknotwendige
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[277/0301] § 46. Anwendungen. Wesen des indirekten Beweises. § 46. Diverse Anwendungen, Studien und Aufgaben, darunter: Wesen des indirekten Beweises, Hauber’s Satz, Mitchell’s Nebel- bilderproblem, nochmals McColl’s Methode, etc. 1. Studie. Wesen des „indirekten“ (oder „apagogischen“) Beweises. Dieser, auch „reductio ad absurdum“ (bei Aristoteles ἀπαγωγὴ εἰς τὸν ἀδύνατον) genannt, stellt sich im Aussagenkalkul wie folgt dar, und rechtfertigt sich dadurch das Beweisverfahren als solches. Die Voraussetzungen eines (indirekt) zu beweisenden Theorems mögen mit A bezeichnet werden und was das Theorem alsdann be- hauptet mit B. Das Theorem spricht darnach aus, dass aus der „An- nahme“ A die „Behauptung“ B (faktisch) folge, d. h. dass sei A  B. Auch der Fall, wo unser Theorem als voraussetzungslos erscheinen, eine Behauptung B ohne weiteres als gültig hinstellen sollte, ist unter diesem Schema mitbegriffen, indem man sich alsdann unter A nur ein identisches (analytisches) Urteil vorzustellen braucht, wie z. B. das Urteil: 0 = 0, welches im Aussagenkalkul den Wert i besitzt indem es stetsfort gilt; in der That wird ja hiedurch die Subsumtion A  B auf i  B, gemäss Th. 5̄+) also auf B = i, das ist auf die Be- hauptung B hinauskommen. Wir mögen also die Subsumtion A  B als das allgemeine Schema für jedes erdenkliche Theorem hinstellen. Um ein solches apagogisch zu beweisen, bemerke man, dass nach Th. 21×), 30+) und 27×): A = A B + A B1 ist. Man ziehe nun aus der Annahme, dass A gelte, B aber nicht gelte, d. h. also aus der Annahme A B1 Schlüsse und suche aus der- selben einen Widerspruch zu deduziren. Gelingt dies, so wird der Beweis apagogisch geleistet sein. Gesetzt, es gelinge. Der Widerspruch bestehe darin, dass aus A B1 gefolgert ist, eine Aussage C müsse gelten, während andrerseits gefolgert oder ander- weitig bekannt, längst anerkannt und feststehend ist, dass sie nicht gelte, d. h. dass C1 gelte. Ersteres, in Formeln gesetzt, gibt: A B1  C, letzteres: A B1  C1 — auch dann, wenn die Folgerung keine logische oder denknotwendige sein sollte; wenn nämlich C1 nur anerkanntermassen gilt, so ist es ja

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/301>, abgerufen am 23.11.2024.