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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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Zweiundzwanzigste Vorlesung.
fortgesetzt werden. Gleichwol wird man auch hier aus Ermüdung irgendwo
stehen bleiben, und das Ergebniss ist der vorgestellte Punkt.

"Mathematischen Punkt" nennen wir dagegen einen solchen Raumteil,
bei welchem wir den erwähnten Teilungsprozess solange fortgesetzt an-
nehmen bis sich an dem zuletzt hervorgehobnen Teile keine weiteren Teile
mehr unterscheiden lassen würden. Einen solchen kann man sich wohl
"denken" aber nicht mehr vorstellen und er bleibt ein Ideal, das wir mit
unsrer Vorstellung nur mehr beliebig nahe zu erreichen vermögen.

Nennen wir "ausgedehnt" ein jedes Mannigfaltige, an welchem sich
noch (verschiedene) Teile unterscheiden lassen, so wird also anzuerkennen
sein, dass der Punkt "keine Ausdehnung" habe. Zur Definition des Punktes
kann aber dieses negative Merkmal in der That nur verwendet werden
indem man es verbindet mit der positiven Anforderung, dass der Punkt
einen Raumteil vorzustellen habe. Erklärte man in der thatsächlich noch fast
allgemein verbreiteten Weise für einen "Punkt" schlechtweg das, was keine
Ausdehnung besitzt, so müsste in der That auch das Nichts, ein Augenblick,
ein (cum grano salis) Pfiff, Schreck (!), und dergleichen mehr, als Raum-
punkt anerkannt werden. Jedenfalls sollte der Raumpunkt doch etwas
Räumliches sein, etwas an oder in dem Raume, und solange es nicht ge-
lungen, den Punkt in wissenschaftlich befriedigender Weise als ein blosses
Merkmal des Raums zu definiren -- "Merkmal" hier als im Gegensatz zu
"Teil" verstanden (die Teile eines Dinges sind ja auch Merkmale desselben)
-- wird man in der That den Punkt als einen "Teil" des Raumes zu
charakterisiren haben.

Ein jeder Punkt kann frei im Raume bewegt und in die Lage jedes
andern Punktes gebracht werden. Jedenfalls: bringt man zwei Punkte
mittelst Lagenänderung des einen, oder beider, in eine solche Lage, dass
sie ein räumliches Gebiet, einen Raumteil gemein haben (und die Möglich-
keit scheint postulirt werden zu müssen), so werden sie zusammenfallen,
sich decken müssen, denn das ihnen gemeinsame räumliche Gebiet muss
mit dem einen sowol als mit dem andern von ihnen identisch sein, ansonst
wir zu dem Widerspruch mit dem Begriffe des Punktes gelangen würden,
an diesem echte Teile (als den gemeinsamen und den nicht gemeinsamen
Teil) unterschieden zu haben. M. a. W.: Alle Raumpunkte sind einander
kongruent, unterscheiden sich von einander lediglich durch ihre Lage; der
Punkt markirt nur einen "Ort" im Raume, und besitzt ausser diesem einen
kein weiteres Merkmal. [Dieses "eine" ist dann freilich noch ein sehr zu-
sammengesetztes Merkmal, sodass sich als mit ihm gegeben gleichwol noch
unbegrenzt viele Merkmale für einen bestimmten Punkt schon hervor-
heben lassen.]

Es wurde schon darauf hingedeutet, dass wir einen Raumteil "schlecht-
weg", welcher nicht als das ideale Ergebniss eines Prozesses von unbegrenzt
fortgesetzten Raumteilungen zu bezeichnen ist, einen geometrischen Körper
zu nennen haben.

Analysiren wir nun aber unsre Anschauung von einem ganz bestimmten
geometrischen Körper, so nehmen wir wahr, dass sich an ihm solche Punkte

Zweiundzwanzigste Vorlesung.
fortgesetzt werden. Gleichwol wird man auch hier aus Ermüdung irgendwo
stehen bleiben, und das Ergebniss ist der vorgestellte Punkt.

„Mathematischen Punkt“ nennen wir dagegen einen solchen Raumteil,
bei welchem wir den erwähnten Teilungsprozess solange fortgesetzt an-
nehmen bis sich an dem zuletzt hervorgehobnen Teile keine weiteren Teile
mehr unterscheiden lassen würden. Einen solchen kann man sich wohl
„denken“ aber nicht mehr vorstellen und er bleibt ein Ideal, das wir mit
unsrer Vorstellung nur mehr beliebig nahe zu erreichen vermögen.

Nennen wir „ausgedehnt“ ein jedes Mannigfaltige, an welchem sich
noch (verschiedene) Teile unterscheiden lassen, so wird also anzuerkennen
sein, dass der Punkt „keine Ausdehnung“ habe. Zur Definition des Punktes
kann aber dieses negative Merkmal in der That nur verwendet werden
indem man es verbindet mit der positiven Anforderung, dass der Punkt
einen Raumteil vorzustellen habe. Erklärte man in der thatsächlich noch fast
allgemein verbreiteten Weise für einen „Punkt“ schlechtweg das, was keine
Ausdehnung besitzt, so müsste in der That auch das Nichts, ein Augenblick,
ein (cum grano salis) Pfiff, Schreck (!), und dergleichen mehr, als Raum-
punkt anerkannt werden. Jedenfalls sollte der Raumpunkt doch etwas
Räumliches sein, etwas an oder in dem Raume, und solange es nicht ge-
lungen, den Punkt in wissenschaftlich befriedigender Weise als ein blosses
Merkmal des Raums zu definiren — „Merkmal“ hier als im Gegensatz zu
„Teil“ verstanden (die Teile eines Dinges sind ja auch Merkmale desselben)
— wird man in der That den Punkt als einen „Teil“ des Raumes zu
charakterisiren haben.

Ein jeder Punkt kann frei im Raume bewegt und in die Lage jedes
andern Punktes gebracht werden. Jedenfalls: bringt man zwei Punkte
mittelst Lagenänderung des einen, oder beider, in eine solche Lage, dass
sie ein räumliches Gebiet, einen Raumteil gemein haben (und die Möglich-
keit scheint postulirt werden zu müssen), so werden sie zusammenfallen,
sich decken müssen, denn das ihnen gemeinsame räumliche Gebiet muss
mit dem einen sowol als mit dem andern von ihnen identisch sein, ansonst
wir zu dem Widerspruch mit dem Begriffe des Punktes gelangen würden,
an diesem echte Teile (als den gemeinsamen und den nicht gemeinsamen
Teil) unterschieden zu haben. M. a. W.: Alle Raumpunkte sind einander
kongruent, unterscheiden sich von einander lediglich durch ihre Lage; der
Punkt markirt nur einen „Ort“ im Raume, und besitzt ausser diesem einen
kein weiteres Merkmal. [Dieses „eine“ ist dann freilich noch ein sehr zu-
sammengesetztes Merkmal, sodass sich als mit ihm gegeben gleichwol noch
unbegrenzt viele Merkmale für einen bestimmten Punkt schon hervor-
heben lassen.]

Es wurde schon darauf hingedeutet, dass wir einen Raumteil „schlecht-
weg“, welcher nicht als das ideale Ergebniss eines Prozesses von unbegrenzt
fortgesetzten Raumteilungen zu bezeichnen ist, einen geometrischen Körper
zu nennen haben.

Analysiren wir nun aber unsre Anschauung von einem ganz bestimmten
geometrischen Körper, so nehmen wir wahr, dass sich an ihm solche Punkte

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[342/0366] Zweiundzwanzigste Vorlesung. fortgesetzt werden. Gleichwol wird man auch hier aus Ermüdung irgendwo stehen bleiben, und das Ergebniss ist der vorgestellte Punkt. „Mathematischen Punkt“ nennen wir dagegen einen solchen Raumteil, bei welchem wir den erwähnten Teilungsprozess solange fortgesetzt an- nehmen bis sich an dem zuletzt hervorgehobnen Teile keine weiteren Teile mehr unterscheiden lassen würden. Einen solchen kann man sich wohl „denken“ aber nicht mehr vorstellen und er bleibt ein Ideal, das wir mit unsrer Vorstellung nur mehr beliebig nahe zu erreichen vermögen. Nennen wir „ausgedehnt“ ein jedes Mannigfaltige, an welchem sich noch (verschiedene) Teile unterscheiden lassen, so wird also anzuerkennen sein, dass der Punkt „keine Ausdehnung“ habe. Zur Definition des Punktes kann aber dieses negative Merkmal in der That nur verwendet werden indem man es verbindet mit der positiven Anforderung, dass der Punkt einen Raumteil vorzustellen habe. Erklärte man in der thatsächlich noch fast allgemein verbreiteten Weise für einen „Punkt“ schlechtweg das, was keine Ausdehnung besitzt, so müsste in der That auch das Nichts, ein Augenblick, ein (cum grano salis) Pfiff, Schreck (!), und dergleichen mehr, als Raum- punkt anerkannt werden. Jedenfalls sollte der Raumpunkt doch etwas Räumliches sein, etwas an oder in dem Raume, und solange es nicht ge- lungen, den Punkt in wissenschaftlich befriedigender Weise als ein blosses Merkmal des Raums zu definiren — „Merkmal“ hier als im Gegensatz zu „Teil“ verstanden (die Teile eines Dinges sind ja auch Merkmale desselben) — wird man in der That den Punkt als einen „Teil“ des Raumes zu charakterisiren haben. Ein jeder Punkt kann frei im Raume bewegt und in die Lage jedes andern Punktes gebracht werden. Jedenfalls: bringt man zwei Punkte mittelst Lagenänderung des einen, oder beider, in eine solche Lage, dass sie ein räumliches Gebiet, einen Raumteil gemein haben (und die Möglich- keit scheint postulirt werden zu müssen), so werden sie zusammenfallen, sich decken müssen, denn das ihnen gemeinsame räumliche Gebiet muss mit dem einen sowol als mit dem andern von ihnen identisch sein, ansonst wir zu dem Widerspruch mit dem Begriffe des Punktes gelangen würden, an diesem echte Teile (als den gemeinsamen und den nicht gemeinsamen Teil) unterschieden zu haben. M. a. W.: Alle Raumpunkte sind einander kongruent, unterscheiden sich von einander lediglich durch ihre Lage; der Punkt markirt nur einen „Ort“ im Raume, und besitzt ausser diesem einen kein weiteres Merkmal. [Dieses „eine“ ist dann freilich noch ein sehr zu- sammengesetztes Merkmal, sodass sich als mit ihm gegeben gleichwol noch unbegrenzt viele Merkmale für einen bestimmten Punkt schon hervor- heben lassen.] Es wurde schon darauf hingedeutet, dass wir einen Raumteil „schlecht- weg“, welcher nicht als das ideale Ergebniss eines Prozesses von unbegrenzt fortgesetzten Raumteilungen zu bezeichnen ist, einen geometrischen Körper zu nennen haben. Analysiren wir nun aber unsre Anschauung von einem ganz bestimmten geometrischen Körper, so nehmen wir wahr, dass sich an ihm solche Punkte

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/366>, abgerufen am 25.11.2024.