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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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ist, jenseit des Mittags, dem Gemüth klar geworden,
was jenes tiefe Streben, jenes Sehnen in uns
begehrt. Siehe mit dreygetheiltem Gipfel, erhaben
über den Flug der Wolken, von ewigen Schnee ver-
hüllt, blickt dort ein Sinnbild des Ueberirdischen und
Unvergänglichen, das Alpengebürge herüber. Zwar
die ehehin friedliche Bläue des Himmels ist verhüllt, je-
ne unvergänglichen Höhen stehen aber noch in ungetrüb-
ter Heiterkeit, von dem Glanz der Sonne strahlend,
ein hohes Sinnbild des ewigen Lichts. Da strebt das
Gemüth mit seinen höchsten Kräften nach dem unver-
gänglichen Gipfel; doch der Drang der Leidenschaften
in uns ist zum Strom geworden, welcher Schiffe
mit sich hinabführt. Wir ringen öfters fruchtlos mit
seinen Wellen, hinüber nach dem jenseitigen Ufer und
dem hohen Gebürge, und nur in den Stunden der Be-
geisterung hebt sich das Gemüth, wie jener Adler, wel-
cher die Wolken und den Strom ferne zurückgelassen,
nach den unvergänglichen Höhen. Wenn nun das inn-
re Streben ermattete, von dem letzten Theil des Weges,
welcher voller Felsen war und Klippen, da wird hier,
am diesseitigen Ufer, ein Ruheort gefunden, unter dem
Kreuz, welches friedlich über Felsen steht. Endlich
erkennt das Gemüth an, daß die Heymath jenes Seh-
nens, das uns bis hieher geführt, nicht auf der Erde
sey. Eile dann hinab Strom! wo deine Wogen in

einzelne Hütten, im Mannsalter am Ufer des Stromes ei-
ne große Stadt, im Greisenalter sieht man sich in einem
Kirchhof.

iſt, jenſeit des Mittags, dem Gemuͤth klar geworden,
was jenes tiefe Streben, jenes Sehnen in uns
begehrt. Siehe mit dreygetheiltem Gipfel, erhaben
uͤber den Flug der Wolken, von ewigen Schnee ver-
huͤllt, blickt dort ein Sinnbild des Ueberirdiſchen und
Unvergaͤnglichen, das Alpengebuͤrge heruͤber. Zwar
die ehehin friedliche Blaͤue des Himmels iſt verhuͤllt, je-
ne unvergaͤnglichen Hoͤhen ſtehen aber noch in ungetruͤb-
ter Heiterkeit, von dem Glanz der Sonne ſtrahlend,
ein hohes Sinnbild des ewigen Lichts. Da ſtrebt das
Gemuͤth mit ſeinen hoͤchſten Kraͤften nach dem unver-
gaͤnglichen Gipfel; doch der Drang der Leidenſchaften
in uns iſt zum Strom geworden, welcher Schiffe
mit ſich hinabfuͤhrt. Wir ringen oͤfters fruchtlos mit
ſeinen Wellen, hinuͤber nach dem jenſeitigen Ufer und
dem hohen Gebuͤrge, und nur in den Stunden der Be-
geiſterung hebt ſich das Gemuͤth, wie jener Adler, wel-
cher die Wolken und den Strom ferne zuruͤckgelaſſen,
nach den unvergaͤnglichen Hoͤhen. Wenn nun das inn-
re Streben ermattete, von dem letzten Theil des Weges,
welcher voller Felſen war und Klippen, da wird hier,
am dieſſeitigen Ufer, ein Ruheort gefunden, unter dem
Kreuz, welches friedlich uͤber Felſen ſteht. Endlich
erkennt das Gemuͤth an, daß die Heymath jenes Seh-
nens, das uns bis hieher gefuͤhrt, nicht auf der Erde
ſey. Eile dann hinab Strom! wo deine Wogen in

einzelne Huͤtten, im Mannsalter am Ufer des Stromes ei-
ne große Stadt, im Greiſenalter ſieht man ſich in einem
Kirchhof.
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[306/0320] iſt, jenſeit des Mittags, dem Gemuͤth klar geworden, was jenes tiefe Streben, jenes Sehnen in uns begehrt. Siehe mit dreygetheiltem Gipfel, erhaben uͤber den Flug der Wolken, von ewigen Schnee ver- huͤllt, blickt dort ein Sinnbild des Ueberirdiſchen und Unvergaͤnglichen, das Alpengebuͤrge heruͤber. Zwar die ehehin friedliche Blaͤue des Himmels iſt verhuͤllt, je- ne unvergaͤnglichen Hoͤhen ſtehen aber noch in ungetruͤb- ter Heiterkeit, von dem Glanz der Sonne ſtrahlend, ein hohes Sinnbild des ewigen Lichts. Da ſtrebt das Gemuͤth mit ſeinen hoͤchſten Kraͤften nach dem unver- gaͤnglichen Gipfel; doch der Drang der Leidenſchaften in uns iſt zum Strom geworden, welcher Schiffe mit ſich hinabfuͤhrt. Wir ringen oͤfters fruchtlos mit ſeinen Wellen, hinuͤber nach dem jenſeitigen Ufer und dem hohen Gebuͤrge, und nur in den Stunden der Be- geiſterung hebt ſich das Gemuͤth, wie jener Adler, wel- cher die Wolken und den Strom ferne zuruͤckgelaſſen, nach den unvergaͤnglichen Hoͤhen. Wenn nun das inn- re Streben ermattete, von dem letzten Theil des Weges, welcher voller Felſen war und Klippen, da wird hier, am dieſſeitigen Ufer, ein Ruheort gefunden, unter dem Kreuz, welches friedlich uͤber Felſen ſteht. Endlich erkennt das Gemuͤth an, daß die Heymath jenes Seh- nens, das uns bis hieher gefuͤhrt, nicht auf der Erde ſey. Eile dann hinab Strom! wo deine Wogen in *) *) einzelne Huͤtten, im Mannsalter am Ufer des Stromes ei- ne große Stadt, im Greiſenalter ſieht man ſich in einem Kirchhof.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/320>, abgerufen am 24.11.2024.