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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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gebildet, war später dem in der Nähe eines höheren Da-
seyns nach vollkommener Entfaltung strebenden, gleich-
sam zu eng geworden, und dieses war vielleicht öfters
die nächste Ursache des Todes.

Jene Sterbenden, von denen ich in der nächsten
Vorlesung erzählen werde, erhielten noch kurz vor dem
Tode einen freyeren Gebrauch der Zunge, der ihnen
während des Lebens, ungeachtet aller Mühe die sie zu
ihrer Bildung angewendet hatten, gänzlich versagt
war. Wie öfters sehen wir in Menschen, die sich wäh-
rend ihres ganzen Lebens in einem wüsten und freu-
denlosen Spiel der Leidenschaften umhergetrieben, den
innigsten Wunsch, das lebhafteste Streben nach ei-
nem in sich vollenderen und besseren Zustand erwachen,
welches in dem jetzigen Daseyn, das sich aus seinem
tiefen Irrthum nicht mehr zu retten vermag, durch-
aus ohne Befriedigung bleibt. Bey Einigen scheint,
jenseit der Mitte des Lebens, auf einmal ein neues
mit dem vorhergehenden fast im Widerspruch stehendes
Streben, mit einer solchen Heftigkeit hervorzubrechen,
daß wir noch fast an der Gränze des Lebens eine höhe-
re Metamorphose ihres Wesen eintreten sehen. Die
Geschichte einiger solcher Menschen, hat Georg Müller
in seinen Lebensbeschreibungen merkwürdiger Männer
aufbehalten. Bey den Meisten aber scheint das Leben
erst fern in der 2ten Hälfte, etwas klarer zu werden,
und das Gemüth will nun öfters erst eine höhere und
glücklichere Richtung nehmen. Doch meist vergeblich.

gebildet, war ſpaͤter dem in der Naͤhe eines hoͤheren Da-
ſeyns nach vollkommener Entfaltung ſtrebenden, gleich-
ſam zu eng geworden, und dieſes war vielleicht oͤfters
die naͤchſte Urſache des Todes.

Jene Sterbenden, von denen ich in der naͤchſten
Vorleſung erzaͤhlen werde, erhielten noch kurz vor dem
Tode einen freyeren Gebrauch der Zunge, der ihnen
waͤhrend des Lebens, ungeachtet aller Muͤhe die ſie zu
ihrer Bildung angewendet hatten, gaͤnzlich verſagt
war. Wie oͤfters ſehen wir in Menſchen, die ſich waͤh-
rend ihres ganzen Lebens in einem wuͤſten und freu-
denloſen Spiel der Leidenſchaften umhergetrieben, den
innigſten Wunſch, das lebhafteſte Streben nach ei-
nem in ſich vollenderen und beſſeren Zuſtand erwachen,
welches in dem jetzigen Daſeyn, das ſich aus ſeinem
tiefen Irrthum nicht mehr zu retten vermag, durch-
aus ohne Befriedigung bleibt. Bey Einigen ſcheint,
jenſeit der Mitte des Lebens, auf einmal ein neues
mit dem vorhergehenden faſt im Widerſpruch ſtehendes
Streben, mit einer ſolchen Heftigkeit hervorzubrechen,
daß wir noch faſt an der Graͤnze des Lebens eine hoͤhe-
re Metamorphoſe ihres Weſen eintreten ſehen. Die
Geſchichte einiger ſolcher Menſchen, hat Georg Muͤller
in ſeinen Lebensbeſchreibungen merkwuͤrdiger Maͤnner
aufbehalten. Bey den Meiſten aber ſcheint das Leben
erſt fern in der 2ten Haͤlfte, etwas klarer zu werden,
und das Gemuͤth will nun oͤfters erſt eine hoͤhere und
gluͤcklichere Richtung nehmen. Doch meiſt vergeblich.

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[319/0333] gebildet, war ſpaͤter dem in der Naͤhe eines hoͤheren Da- ſeyns nach vollkommener Entfaltung ſtrebenden, gleich- ſam zu eng geworden, und dieſes war vielleicht oͤfters die naͤchſte Urſache des Todes. Jene Sterbenden, von denen ich in der naͤchſten Vorleſung erzaͤhlen werde, erhielten noch kurz vor dem Tode einen freyeren Gebrauch der Zunge, der ihnen waͤhrend des Lebens, ungeachtet aller Muͤhe die ſie zu ihrer Bildung angewendet hatten, gaͤnzlich verſagt war. Wie oͤfters ſehen wir in Menſchen, die ſich waͤh- rend ihres ganzen Lebens in einem wuͤſten und freu- denloſen Spiel der Leidenſchaften umhergetrieben, den innigſten Wunſch, das lebhafteſte Streben nach ei- nem in ſich vollenderen und beſſeren Zuſtand erwachen, welches in dem jetzigen Daſeyn, das ſich aus ſeinem tiefen Irrthum nicht mehr zu retten vermag, durch- aus ohne Befriedigung bleibt. Bey Einigen ſcheint, jenſeit der Mitte des Lebens, auf einmal ein neues mit dem vorhergehenden faſt im Widerſpruch ſtehendes Streben, mit einer ſolchen Heftigkeit hervorzubrechen, daß wir noch faſt an der Graͤnze des Lebens eine hoͤhe- re Metamorphoſe ihres Weſen eintreten ſehen. Die Geſchichte einiger ſolcher Menſchen, hat Georg Muͤller in ſeinen Lebensbeſchreibungen merkwuͤrdiger Maͤnner aufbehalten. Bey den Meiſten aber ſcheint das Leben erſt fern in der 2ten Haͤlfte, etwas klarer zu werden, und das Gemuͤth will nun oͤfters erſt eine hoͤhere und gluͤcklichere Richtung nehmen. Doch meiſt vergeblich.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/333>, abgerufen am 24.11.2024.