ben selbst den Todten der Hinübertritt in ein neues Da- seyn durch die heilige Weihe erleichtert. *)
Doch ich will jetzt Einiges hieher gehörige aus den Mysterien selber erzählen. In einem traurigen Spie- le, stellten die egyptischen Priester in stillen Frühlings- nächten die Leiden und den Tod des Osiris vor. Ein schöner See an dem Tempel bey Sais war der Schau- platz, und es erschienen in diesen Mysterien Särge und Gräber. Zugleich bedeutete Osiris die zeugende, hervorbringende Kraft. **) Nach der gewöhnlichen Sage war dieser Gatte der Isis von dem Typhon zer- rissen, und dieses erhabene Götterpaar erschien dem Alterthum zugleich als Vorbild der höchsten Vollendung und der tiefsten Leiden. Den Leichnam des Osiris trie- ben die Wellen an die phönicische Küste bey Biblos, wo eine junge Staude den Sarg und den Leichnam in sich empfängt und voll Mitleid in ihrem Stamm be- gräbt. Als den heiligen Stamm der König des Lan- des umzuhauen befohlen, da erscheint plötzlich die einsame, in Schmerzen versunkene Göttin, erst in Ge- stalt eines Weibes, schweigend, nur durch himmli- schen Duft sich verrathend, auf dem Brunnen sitzend,
*) Besonders wurde dieses von dem Samothracischen gehei- men Gottesdienst geglaubt. -- M. vergl. Saint-Croix.
**) Ueberhaupt war der Phallusdienst, der sich in allen My- sterien fand, überall mit Symbolen des Unterganges und Todes verbunden.
ben ſelbſt den Todten der Hinuͤbertritt in ein neues Da- ſeyn durch die heilige Weihe erleichtert. *)
Doch ich will jetzt Einiges hieher gehoͤrige aus den Myſterien ſelber erzaͤhlen. In einem traurigen Spie- le, ſtellten die egyptiſchen Prieſter in ſtillen Fruͤhlings- naͤchten die Leiden und den Tod des Oſiris vor. Ein ſchoͤner See an dem Tempel bey Sais war der Schau- platz, und es erſchienen in dieſen Myſterien Saͤrge und Graͤber. Zugleich bedeutete Oſiris die zeugende, hervorbringende Kraft. **) Nach der gewoͤhnlichen Sage war dieſer Gatte der Iſis von dem Typhon zer- riſſen, und dieſes erhabene Goͤtterpaar erſchien dem Alterthum zugleich als Vorbild der hoͤchſten Vollendung und der tiefſten Leiden. Den Leichnam des Oſiris trie- ben die Wellen an die phoͤniciſche Kuͤſte bey Biblos, wo eine junge Staude den Sarg und den Leichnam in ſich empfaͤngt und voll Mitleid in ihrem Stamm be- graͤbt. Als den heiligen Stamm der Koͤnig des Lan- des umzuhauen befohlen, da erſcheint ploͤtzlich die einſame, in Schmerzen verſunkene Goͤttin, erſt in Ge- ſtalt eines Weibes, ſchweigend, nur durch himmli- ſchen Duft ſich verrathend, auf dem Brunnen ſitzend,
*) Beſonders wurde dieſes von dem Samothraciſchen gehei- men Gottesdienſt geglaubt. — M. vergl. Saint-Croix.
**) Ueberhaupt war der Phallusdienſt, der ſich in allen My- ſterien fand, uͤberall mit Symbolen des Unterganges und Todes verbunden.
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ben ſelbſt den Todten der Hinuͤbertritt in ein neues Da-
ſeyn durch die heilige Weihe erleichtert. *)
Doch ich will jetzt Einiges hieher gehoͤrige aus den
Myſterien ſelber erzaͤhlen. In einem traurigen Spie-
le, ſtellten die egyptiſchen Prieſter in ſtillen Fruͤhlings-
naͤchten die Leiden und den Tod des Oſiris vor. Ein
ſchoͤner See an dem Tempel bey Sais war der Schau-
platz, und es erſchienen in dieſen Myſterien Saͤrge
und Graͤber. Zugleich bedeutete Oſiris die zeugende,
hervorbringende Kraft. **) Nach der gewoͤhnlichen
Sage war dieſer Gatte der Iſis von dem Typhon zer-
riſſen, und dieſes erhabene Goͤtterpaar erſchien dem
Alterthum zugleich als Vorbild der hoͤchſten Vollendung
und der tiefſten Leiden. Den Leichnam des Oſiris trie-
ben die Wellen an die phoͤniciſche Kuͤſte bey Biblos,
wo eine junge Staude den Sarg und den Leichnam in
ſich empfaͤngt und voll Mitleid in ihrem Stamm be-
graͤbt. Als den heiligen Stamm der Koͤnig des Lan-
des umzuhauen befohlen, da erſcheint ploͤtzlich die
einſame, in Schmerzen verſunkene Goͤttin, erſt in Ge-
ſtalt eines Weibes, ſchweigend, nur durch himmli-
ſchen Duft ſich verrathend, auf dem Brunnen ſitzend,
*) Beſonders wurde dieſes von dem Samothraciſchen gehei-
men Gottesdienſt geglaubt. — M. vergl. Saint-Croix.
**) Ueberhaupt war der Phallusdienſt, der ſich in allen My-
ſterien fand, uͤberall mit Symbolen des Unterganges und
Todes verbunden.
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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/86>, abgerufen am 27.11.2024.
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