ter welchem sich ihre eigentliche Natur verbirgt, ge- stört wird. Jener Mörder, den ein wohlthätiger Rich- terspruch an den Karren schmiedet, scheint, so lange er hier den ganzen Tag mit Arbeiten zubringt, und des Nachts tief ermüdet schläft, das nicht was er ist, seine blutdürstige Natur verbirgt sich hinter dem ge- zwungenen Geschäfte, aber sobald ihn Don Quichote oder ein frommer Gilpin von den Ketten losmacht, wird er sich in seiner eigentlichen Gestalt zeigen, wie der halbverhungerte Wollüstling bey besserer Pflege gar bald wieder das wird, was er gewesen.
Nicht bloß jede Störung im Verdauungsgeschäft erzeugt uns im Schlafe unruhige, bilderreiche Träume, sondern es ist bekannt, daß eine schnell unterbrochene Milchabsonderung, eine auf einmal sich aufhebende Wassersucht, ein zur Unzeit unterdrückter Ausschlag öfters sogleich Wahnsinn erzeugen, eben so wie umge- kehrt Wahnsinn durch künstlich erregte Geschwüre und andere materielle Beschäftigungen des Bildungstriebes auch gehoben wird. Wie oft gehet eine tiefe Melan- cholie aus einer Unterdrückung oder dem zu langen Ausbleiben der monatlichen Reinigung, tiefe Neigung zum Selbstmord, aus einer Störung des vegetativen Lebens durch Onanie und andere Ausschweifungen oder auch aus andern krankhaften körperlichen Stimmun- gen; *) eine an Wahnsinn gränzende Hypochondrie aus einer Erschwerung und Hemmung des Verdau-
ungs-
*) So haben die am Pellagra leidenden Personen eine fast unwiderstehliche Lust sich ins Wasser zu stürzen.
ter welchem ſich ihre eigentliche Natur verbirgt, ge- ſtoͤrt wird. Jener Moͤrder, den ein wohlthaͤtiger Rich- terſpruch an den Karren ſchmiedet, ſcheint, ſo lange er hier den ganzen Tag mit Arbeiten zubringt, und des Nachts tief ermuͤdet ſchlaͤft, das nicht was er iſt, ſeine blutduͤrſtige Natur verbirgt ſich hinter dem ge- zwungenen Geſchaͤfte, aber ſobald ihn Don Quichote oder ein frommer Gilpin von den Ketten losmacht, wird er ſich in ſeiner eigentlichen Geſtalt zeigen, wie der halbverhungerte Wolluͤſtling bey beſſerer Pflege gar bald wieder das wird, was er geweſen.
Nicht bloß jede Stoͤrung im Verdauungsgeſchaͤft erzeugt uns im Schlafe unruhige, bilderreiche Traͤume, ſondern es iſt bekannt, daß eine ſchnell unterbrochene Milchabſonderung, eine auf einmal ſich aufhebende Waſſerſucht, ein zur Unzeit unterdruͤckter Ausſchlag oͤfters ſogleich Wahnſinn erzeugen, eben ſo wie umge- kehrt Wahnſinn durch kuͤnſtlich erregte Geſchwuͤre und andere materielle Beſchaͤftigungen des Bildungstriebes auch gehoben wird. Wie oft gehet eine tiefe Melan- cholie aus einer Unterdruͤckung oder dem zu langen Ausbleiben der monatlichen Reinigung, tiefe Neigung zum Selbſtmord, aus einer Stoͤrung des vegetativen Lebens durch Onanie und andere Ausſchweifungen oder auch aus andern krankhaften koͤrperlichen Stimmun- gen; *) eine an Wahnſinn graͤnzende Hypochondrie aus einer Erſchwerung und Hemmung des Verdau-
ungs-
*) So haben die am Pellagra leidenden Perſonen eine faſt unwiderſtehliche Luſt ſich ins Waſſer zu ſtuͤrzen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0125"n="115"/>
ter welchem ſich ihre eigentliche Natur verbirgt, ge-<lb/>ſtoͤrt wird. Jener Moͤrder, den ein wohlthaͤtiger Rich-<lb/>
terſpruch an den Karren ſchmiedet, ſcheint, ſo lange<lb/>
er hier den ganzen Tag mit Arbeiten zubringt, und<lb/>
des Nachts tief ermuͤdet ſchlaͤft, das nicht was er iſt,<lb/>ſeine blutduͤrſtige Natur verbirgt ſich hinter dem ge-<lb/>
zwungenen Geſchaͤfte, aber ſobald ihn Don Quichote<lb/>
oder ein frommer Gilpin von den Ketten losmacht,<lb/>
wird er ſich in ſeiner eigentlichen Geſtalt zeigen, wie<lb/>
der halbverhungerte Wolluͤſtling bey beſſerer Pflege<lb/>
gar bald wieder das wird, was er geweſen.</p><lb/><p>Nicht bloß jede Stoͤrung im Verdauungsgeſchaͤft<lb/>
erzeugt uns im Schlafe unruhige, bilderreiche Traͤume,<lb/>ſondern es iſt bekannt, daß eine ſchnell unterbrochene<lb/>
Milchabſonderung, eine auf einmal ſich aufhebende<lb/>
Waſſerſucht, ein zur Unzeit unterdruͤckter Ausſchlag<lb/>
oͤfters ſogleich Wahnſinn erzeugen, eben ſo wie umge-<lb/>
kehrt Wahnſinn durch kuͤnſtlich erregte Geſchwuͤre und<lb/>
andere materielle Beſchaͤftigungen des Bildungstriebes<lb/>
auch gehoben wird. Wie oft gehet eine tiefe Melan-<lb/>
cholie aus einer Unterdruͤckung oder dem zu langen<lb/>
Ausbleiben der monatlichen Reinigung, tiefe Neigung<lb/>
zum Selbſtmord, aus einer Stoͤrung des vegetativen<lb/>
Lebens durch Onanie und andere Ausſchweifungen oder<lb/>
auch aus andern krankhaften koͤrperlichen Stimmun-<lb/>
gen; <noteplace="foot"n="*)">So haben die am Pellagra leidenden Perſonen eine<lb/>
faſt unwiderſtehliche Luſt ſich ins Waſſer zu ſtuͤrzen.</note> eine an Wahnſinn graͤnzende Hypochondrie<lb/>
aus einer Erſchwerung und Hemmung des Verdau-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ungs-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[115/0125]
ter welchem ſich ihre eigentliche Natur verbirgt, ge-
ſtoͤrt wird. Jener Moͤrder, den ein wohlthaͤtiger Rich-
terſpruch an den Karren ſchmiedet, ſcheint, ſo lange
er hier den ganzen Tag mit Arbeiten zubringt, und
des Nachts tief ermuͤdet ſchlaͤft, das nicht was er iſt,
ſeine blutduͤrſtige Natur verbirgt ſich hinter dem ge-
zwungenen Geſchaͤfte, aber ſobald ihn Don Quichote
oder ein frommer Gilpin von den Ketten losmacht,
wird er ſich in ſeiner eigentlichen Geſtalt zeigen, wie
der halbverhungerte Wolluͤſtling bey beſſerer Pflege
gar bald wieder das wird, was er geweſen.
Nicht bloß jede Stoͤrung im Verdauungsgeſchaͤft
erzeugt uns im Schlafe unruhige, bilderreiche Traͤume,
ſondern es iſt bekannt, daß eine ſchnell unterbrochene
Milchabſonderung, eine auf einmal ſich aufhebende
Waſſerſucht, ein zur Unzeit unterdruͤckter Ausſchlag
oͤfters ſogleich Wahnſinn erzeugen, eben ſo wie umge-
kehrt Wahnſinn durch kuͤnſtlich erregte Geſchwuͤre und
andere materielle Beſchaͤftigungen des Bildungstriebes
auch gehoben wird. Wie oft gehet eine tiefe Melan-
cholie aus einer Unterdruͤckung oder dem zu langen
Ausbleiben der monatlichen Reinigung, tiefe Neigung
zum Selbſtmord, aus einer Stoͤrung des vegetativen
Lebens durch Onanie und andere Ausſchweifungen oder
auch aus andern krankhaften koͤrperlichen Stimmun-
gen; *) eine an Wahnſinn graͤnzende Hypochondrie
aus einer Erſchwerung und Hemmung des Verdau-
ungs-
*) So haben die am Pellagra leidenden Perſonen eine
faſt unwiderſtehliche Luſt ſich ins Waſſer zu ſtuͤrzen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/125>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.