Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Mysterien, ertönte, wie in einer Shakspearischen Tra-
gödie, die Stimme des Lachens über Baubo und Jac-
chus; mitten unter zum Theil komischen und heitern
Feyerlichkeiten, blickte öfters ein sehr ernster und tra-
gischer Sinn hervor.

Ein ähnlicher Humorismus der Natur hat denn
auch Liebe und Haß in der ganzen Region der Sin-
nenwelt aufs mannigfaltigste verschwistert. Beyde lie-
gen sich hier so nahe, daß man oft bey gewissen Aeu-
ßerungen, z. B. der thierischen Natur nicht zu un-
terscheiden vermag, aus welcher von beyden Quellen
sie gekommen. Das Fest der Liebe wird bey vielen
Thieren mit Zweykämpfen der Männchen, mit bluti-
ger Erbitterung begonnen, furchtbarer Haß und ra-
sende Zuneigung gehen aus derselben Basis hervor,
und östers (wenn z. B. das männliche Raubthier
das Weibchen, um dessen Gunst es sich lange verge-
bens bemüht, zuletzt zerreißt, und mit ungewöhnlicher
Wuth frißt, *) oder wenn das Weibchen mancher
Insecten sein Männchen gleich nach der Begattung
umbringt und zerstückt,) erscheint die sinnliche Zunei-
gung nur wie ein grimmiger Haß, welcher die Mas-
ke der Liebe angenommen, und umgekehrt.

So findet sich denn auch anderwärts in der Na-
tur dieselbe (ironische) Zusammenstellung der entfern-
testen Extreme. Unmittelbar auf den vernünftigen,

ge-
*) Wie jener Bär in einem vormaligen Thiergarten der
sächsischen Schweiz.

Myſterien, ertoͤnte, wie in einer Shakſpeariſchen Tra-
goͤdie, die Stimme des Lachens uͤber Baubo und Jac-
chus; mitten unter zum Theil komiſchen und heitern
Feyerlichkeiten, blickte oͤfters ein ſehr ernſter und tra-
giſcher Sinn hervor.

Ein aͤhnlicher Humorismus der Natur hat denn
auch Liebe und Haß in der ganzen Region der Sin-
nenwelt aufs mannigfaltigſte verſchwiſtert. Beyde lie-
gen ſich hier ſo nahe, daß man oft bey gewiſſen Aeu-
ßerungen, z. B. der thieriſchen Natur nicht zu un-
terſcheiden vermag, aus welcher von beyden Quellen
ſie gekommen. Das Feſt der Liebe wird bey vielen
Thieren mit Zweykaͤmpfen der Maͤnnchen, mit bluti-
ger Erbitterung begonnen, furchtbarer Haß und ra-
ſende Zuneigung gehen aus derſelben Baſis hervor,
und oͤſters (wenn z. B. das maͤnnliche Raubthier
das Weibchen, um deſſen Gunſt es ſich lange verge-
bens bemuͤht, zuletzt zerreißt, und mit ungewoͤhnlicher
Wuth frißt, *) oder wenn das Weibchen mancher
Inſecten ſein Maͤnnchen gleich nach der Begattung
umbringt und zerſtuͤckt,) erſcheint die ſinnliche Zunei-
gung nur wie ein grimmiger Haß, welcher die Mas-
ke der Liebe angenommen, und umgekehrt.

So findet ſich denn auch anderwaͤrts in der Na-
tur dieſelbe (ironiſche) Zuſammenſtellung der entfern-
teſten Extreme. Unmittelbar auf den vernuͤnftigen,

ge-
*) Wie jener Baͤr in einem vormaligen Thiergarten der
ſaͤchſiſchen Schweiz.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="32"/>
My&#x017F;terien, erto&#x0364;nte, wie in einer Shak&#x017F;peari&#x017F;chen Tra-<lb/>
go&#x0364;die, die Stimme des Lachens u&#x0364;ber Baubo und Jac-<lb/>
chus; mitten unter zum Theil komi&#x017F;chen und heitern<lb/>
Feyerlichkeiten, blickte o&#x0364;fters ein &#x017F;ehr ern&#x017F;ter und tra-<lb/>
gi&#x017F;cher Sinn hervor.</p><lb/>
        <p>Ein a&#x0364;hnlicher Humorismus der Natur hat denn<lb/>
auch Liebe und Haß in der ganzen Region der Sin-<lb/>
nenwelt aufs mannigfaltig&#x017F;te ver&#x017F;chwi&#x017F;tert. Beyde lie-<lb/>
gen &#x017F;ich hier &#x017F;o nahe, daß man oft bey gewi&#x017F;&#x017F;en Aeu-<lb/>
ßerungen, z. B. der thieri&#x017F;chen Natur nicht zu un-<lb/>
ter&#x017F;cheiden vermag, aus welcher von beyden Quellen<lb/>
&#x017F;ie gekommen. Das Fe&#x017F;t der Liebe wird bey vielen<lb/>
Thieren mit Zweyka&#x0364;mpfen der Ma&#x0364;nnchen, mit bluti-<lb/>
ger Erbitterung begonnen, furchtbarer Haß und ra-<lb/>
&#x017F;ende Zuneigung gehen aus der&#x017F;elben Ba&#x017F;is hervor,<lb/>
und o&#x0364;&#x017F;ters (wenn z. B. das ma&#x0364;nnliche Raubthier<lb/>
das Weibchen, um de&#x017F;&#x017F;en Gun&#x017F;t es &#x017F;ich lange verge-<lb/>
bens bemu&#x0364;ht, zuletzt zerreißt, und mit ungewo&#x0364;hnlicher<lb/>
Wuth frißt, <note place="foot" n="*)">Wie jener Ba&#x0364;r in einem vormaligen Thiergarten der<lb/>
&#x017F;a&#x0364;ch&#x017F;i&#x017F;chen Schweiz.</note> oder wenn das Weibchen mancher<lb/>
In&#x017F;ecten &#x017F;ein Ma&#x0364;nnchen gleich nach der Begattung<lb/>
umbringt und zer&#x017F;tu&#x0364;ckt,) er&#x017F;cheint die &#x017F;innliche Zunei-<lb/>
gung nur wie ein grimmiger Haß, welcher die Mas-<lb/>
ke der Liebe angenommen, und umgekehrt.</p><lb/>
        <p>So findet &#x017F;ich denn auch anderwa&#x0364;rts in der Na-<lb/>
tur die&#x017F;elbe (ironi&#x017F;che) Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung der entfern-<lb/>
te&#x017F;ten Extreme. Unmittelbar auf den vernu&#x0364;nftigen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0042] Myſterien, ertoͤnte, wie in einer Shakſpeariſchen Tra- goͤdie, die Stimme des Lachens uͤber Baubo und Jac- chus; mitten unter zum Theil komiſchen und heitern Feyerlichkeiten, blickte oͤfters ein ſehr ernſter und tra- giſcher Sinn hervor. Ein aͤhnlicher Humorismus der Natur hat denn auch Liebe und Haß in der ganzen Region der Sin- nenwelt aufs mannigfaltigſte verſchwiſtert. Beyde lie- gen ſich hier ſo nahe, daß man oft bey gewiſſen Aeu- ßerungen, z. B. der thieriſchen Natur nicht zu un- terſcheiden vermag, aus welcher von beyden Quellen ſie gekommen. Das Feſt der Liebe wird bey vielen Thieren mit Zweykaͤmpfen der Maͤnnchen, mit bluti- ger Erbitterung begonnen, furchtbarer Haß und ra- ſende Zuneigung gehen aus derſelben Baſis hervor, und oͤſters (wenn z. B. das maͤnnliche Raubthier das Weibchen, um deſſen Gunſt es ſich lange verge- bens bemuͤht, zuletzt zerreißt, und mit ungewoͤhnlicher Wuth frißt, *) oder wenn das Weibchen mancher Inſecten ſein Maͤnnchen gleich nach der Begattung umbringt und zerſtuͤckt,) erſcheint die ſinnliche Zunei- gung nur wie ein grimmiger Haß, welcher die Mas- ke der Liebe angenommen, und umgekehrt. So findet ſich denn auch anderwaͤrts in der Na- tur dieſelbe (ironiſche) Zuſammenſtellung der entfern- teſten Extreme. Unmittelbar auf den vernuͤnftigen, ge- *) Wie jener Baͤr in einem vormaligen Thiergarten der ſaͤchſiſchen Schweiz.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/42
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/42>, abgerufen am 21.11.2024.