Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

individualisirten Theile des menschlichen Körpers, die
sich durch ihr falsches Selbstständigwerden und Abson-
dern, der Einheit des wachen Willens entziehen, und
sich in die Region der Besonderheit, der äußern Na-
turdinge versetzen. So wie der Mensch öfters im
Traume und anderen hiermit verwandten Zuständen,
ganz zufällig scheinende äußere Begebenheiten: z. B.
den Einsturz einer Wand, eines Schachtes oder andre
Ereignisse, die ihm den Untergang drohen, voraus er-
fährt; so entfliehen auch Thiere, dem nach menschli-
chen Einsichten durchaus nicht vorauszusehenden Berg-
sturze; der sonst so zärtlich besorgte Muttervogel, ver-
läßt selbst die am unsichern Orte besindliche Brut, wäh-
rend der wache Mensch noch mit unbedachtsamen Leicht-
sinne, unten im Thale, in dem schon für ihn geöffne-
tem Grabe, Freudentänze und Lustbarkeiten hält. Auf
dieselbe Weise vermeiden Thiere oft lange vorher Ge-
genden, denen ein vulkanischer Ausbruch oder Erdbeben
bevorstehen, *) während der Mensch noch unwissend
auf dem gefahrvollen Boden gräbt und erndtet, und es
sind Beyspiele bekannt, wo Thiere, besonders Pferde,
mit einem fast menschenähnlichen Ahndungsvermögen,
nahen Gefahren ausgewichen **). Jene Combina-
tionsgabe ist es, welche die wandernden Thiere über
weite Meere hin, sicher nach dem fernen Welttheile
führet, während der menschliche Verstand Jahrhun-

derte
*) Z. B. der Seidenschwanz in dem Jahre 1551.
**) Kluges Versuch einer Darstellung des thierischen
Magnetismus als Heilmittel. Pag. 290.

individualiſirten Theile des menſchlichen Koͤrpers, die
ſich durch ihr falſches Selbſtſtaͤndigwerden und Abſon-
dern, der Einheit des wachen Willens entziehen, und
ſich in die Region der Beſonderheit, der aͤußern Na-
turdinge verſetzen. So wie der Menſch oͤfters im
Traume und anderen hiermit verwandten Zuſtaͤnden,
ganz zufaͤllig ſcheinende aͤußere Begebenheiten: z. B.
den Einſturz einer Wand, eines Schachtes oder andre
Ereigniſſe, die ihm den Untergang drohen, voraus er-
faͤhrt; ſo entfliehen auch Thiere, dem nach menſchli-
chen Einſichten durchaus nicht vorauszuſehenden Berg-
ſturze; der ſonſt ſo zaͤrtlich beſorgte Muttervogel, ver-
laͤßt ſelbſt die am unſichern Orte beſindliche Brut, waͤh-
rend der wache Menſch noch mit unbedachtſamen Leicht-
ſinne, unten im Thale, in dem ſchon fuͤr ihn geoͤffne-
tem Grabe, Freudentaͤnze und Luſtbarkeiten haͤlt. Auf
dieſelbe Weiſe vermeiden Thiere oft lange vorher Ge-
genden, denen ein vulkaniſcher Ausbruch oder Erdbeben
bevorſtehen, *) waͤhrend der Menſch noch unwiſſend
auf dem gefahrvollen Boden graͤbt und erndtet, und es
ſind Beyſpiele bekannt, wo Thiere, beſonders Pferde,
mit einem faſt menſchenaͤhnlichen Ahndungsvermoͤgen,
nahen Gefahren ausgewichen **). Jene Combina-
tionsgabe iſt es, welche die wandernden Thiere uͤber
weite Meere hin, ſicher nach dem fernen Welttheile
fuͤhret, waͤhrend der menſchliche Verſtand Jahrhun-

derte
*) Z. B. der Seidenſchwanz in dem Jahre 1551.
**) Kluges Verſuch einer Darſtellung des thieriſchen
Magnetismus als Heilmittel. Pag. 290.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0044" n="34"/>
individuali&#x017F;irten Theile des men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;rpers, die<lb/>
&#x017F;ich durch ihr fal&#x017F;ches Selb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigwerden und Ab&#x017F;on-<lb/>
dern, der Einheit des wachen Willens entziehen, und<lb/>
&#x017F;ich in die Region der Be&#x017F;onderheit, der a&#x0364;ußern Na-<lb/>
turdinge ver&#x017F;etzen. So wie der Men&#x017F;ch o&#x0364;fters im<lb/>
Traume und anderen hiermit verwandten Zu&#x017F;ta&#x0364;nden,<lb/>
ganz zufa&#x0364;llig &#x017F;cheinende a&#x0364;ußere Begebenheiten: z. B.<lb/>
den Ein&#x017F;turz einer Wand, eines Schachtes oder andre<lb/>
Ereigni&#x017F;&#x017F;e, die ihm den Untergang drohen, voraus er-<lb/>
fa&#x0364;hrt; &#x017F;o entfliehen auch Thiere, dem nach men&#x017F;chli-<lb/>
chen Ein&#x017F;ichten durchaus nicht vorauszu&#x017F;ehenden Berg-<lb/>
&#x017F;turze; der &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o za&#x0364;rtlich be&#x017F;orgte Muttervogel, ver-<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;elb&#x017F;t die am un&#x017F;ichern Orte be&#x017F;indliche Brut, wa&#x0364;h-<lb/>
rend der wache Men&#x017F;ch noch mit unbedacht&#x017F;amen Leicht-<lb/>
&#x017F;inne, unten im Thale, in dem &#x017F;chon fu&#x0364;r ihn geo&#x0364;ffne-<lb/>
tem Grabe, Freudenta&#x0364;nze und Lu&#x017F;tbarkeiten ha&#x0364;lt. Auf<lb/>
die&#x017F;elbe Wei&#x017F;e vermeiden Thiere oft lange vorher Ge-<lb/>
genden, denen ein vulkani&#x017F;cher Ausbruch oder Erdbeben<lb/>
bevor&#x017F;tehen, <note place="foot" n="*)">Z. B. der Seiden&#x017F;chwanz in dem Jahre 1551.</note> wa&#x0364;hrend der Men&#x017F;ch noch unwi&#x017F;&#x017F;end<lb/>
auf dem gefahrvollen Boden gra&#x0364;bt und erndtet, und es<lb/>
&#x017F;ind Bey&#x017F;piele bekannt, wo Thiere, be&#x017F;onders Pferde,<lb/>
mit einem fa&#x017F;t men&#x017F;chena&#x0364;hnlichen Ahndungsvermo&#x0364;gen,<lb/>
nahen Gefahren ausgewichen <note place="foot" n="**)"><hi rendition="#g">Kluges</hi> Ver&#x017F;uch einer Dar&#x017F;tellung des thieri&#x017F;chen<lb/>
Magnetismus als Heilmittel. Pag. 290.</note>. Jene Combina-<lb/>
tionsgabe i&#x017F;t es, welche die wandernden Thiere u&#x0364;ber<lb/>
weite Meere hin, &#x017F;icher nach dem fernen Welttheile<lb/>
fu&#x0364;hret, wa&#x0364;hrend der men&#x017F;chliche Ver&#x017F;tand Jahrhun-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">derte</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0044] individualiſirten Theile des menſchlichen Koͤrpers, die ſich durch ihr falſches Selbſtſtaͤndigwerden und Abſon- dern, der Einheit des wachen Willens entziehen, und ſich in die Region der Beſonderheit, der aͤußern Na- turdinge verſetzen. So wie der Menſch oͤfters im Traume und anderen hiermit verwandten Zuſtaͤnden, ganz zufaͤllig ſcheinende aͤußere Begebenheiten: z. B. den Einſturz einer Wand, eines Schachtes oder andre Ereigniſſe, die ihm den Untergang drohen, voraus er- faͤhrt; ſo entfliehen auch Thiere, dem nach menſchli- chen Einſichten durchaus nicht vorauszuſehenden Berg- ſturze; der ſonſt ſo zaͤrtlich beſorgte Muttervogel, ver- laͤßt ſelbſt die am unſichern Orte beſindliche Brut, waͤh- rend der wache Menſch noch mit unbedachtſamen Leicht- ſinne, unten im Thale, in dem ſchon fuͤr ihn geoͤffne- tem Grabe, Freudentaͤnze und Luſtbarkeiten haͤlt. Auf dieſelbe Weiſe vermeiden Thiere oft lange vorher Ge- genden, denen ein vulkaniſcher Ausbruch oder Erdbeben bevorſtehen, *) waͤhrend der Menſch noch unwiſſend auf dem gefahrvollen Boden graͤbt und erndtet, und es ſind Beyſpiele bekannt, wo Thiere, beſonders Pferde, mit einem faſt menſchenaͤhnlichen Ahndungsvermoͤgen, nahen Gefahren ausgewichen **). Jene Combina- tionsgabe iſt es, welche die wandernden Thiere uͤber weite Meere hin, ſicher nach dem fernen Welttheile fuͤhret, waͤhrend der menſchliche Verſtand Jahrhun- derte *) Z. B. der Seidenſchwanz in dem Jahre 1551. **) Kluges Verſuch einer Darſtellung des thieriſchen Magnetismus als Heilmittel. Pag. 290.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/44
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/44>, abgerufen am 03.12.2024.