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Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.

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über. Dieser Schein trügt: es nimmt in Wahrheit ein
jeder innerlich Stellung dazu, pro oder contra, und wenn
nicht eher, so wird bei den Examen diese Sachlage zum
Ereigniß. Fast eine jede Candidatin, die geistig selbständige
vorweg, hat unter ihren Examinatoren einen principiellen
Gegner, der, von Galanterie ganz zu geschweigen, des
Billigkeitsgefühls in jener Stunde des Gerichts vergißt
und ihr gehäufte Schwierigkeiten entgegenbringt. Da gilt
es: alle Mann an Bord, unverzagt und ohne Grauen!
Jn den meisten Fällen wagt sich die Studentin nicht in's
Examen, wenn sie sich nicht ziemlich sicher fühlt, und des-
halb geht sie aus dem Kampf, der Regel nach, als Siegerin
hervor und nimmt als Trophäe die Achtung ihres Gegners
mit hinweg. Von sogenannten "meineidigen" Examen,
d. h. solchen, bei denen der Candidat mit dem Prüfungs-
stoff unrechtmäßigerweise vorher bekannt gemacht worden,
die hier und da von der Gesellschaft mit schmunzelnd
spöttischem Behagen für die Studentinnen vorausgesetzt
wurden, ist eben bei diesen am allerwenigsten die Rede. -

Bei dem an den deutschen und auch an den schweize-
rischen Universitäten herrschenden System hat die Studentin
außerhalb des Collegs wenig oder gar keine Gelegenheit,
mit ihrem Professor in Berührung zu kommen, und doch
wird sie, vielleicht viel öfter als ihr männlicher College,
den Wunsch hegen, um Rath zu fragen, um mancherlei
Erklärungen zu bitten; denn sie leidet mehr als jener an
Vereinsamung und an Lücken ihrer Vorbildung. Voll herz-
lichen Dankes bleibe ich der Erlaubniß meiner Lehrer ein-
gedenk, Fragezettel für einen jeden von ihnen anzulegen,
mit welchen, wenn gefüllt, ich an ihre Thür klopfen durfte,
freundlicher Auskunft und manchen nützlichen Winkes ge-
wiß. Auch mein principieller Gegner, der beim Doctorats-

über. Dieser Schein trügt: es nimmt in Wahrheit ein
jeder innerlich Stellung dazu, pro oder contra, und wenn
nicht eher, so wird bei den Examen diese Sachlage zum
Ereigniß. Fast eine jede Candidatin, die geistig selbständige
vorweg, hat unter ihren Examinatoren einen principiellen
Gegner, der, von Galanterie ganz zu geschweigen, des
Billigkeitsgefühls in jener Stunde des Gerichts vergißt
und ihr gehäufte Schwierigkeiten entgegenbringt. Da gilt
es: alle Mann an Bord, unverzagt und ohne Grauen!
Jn den meisten Fällen wagt sich die Studentin nicht in's
Examen, wenn sie sich nicht ziemlich sicher fühlt, und des-
halb geht sie aus dem Kampf, der Regel nach, als Siegerin
hervor und nimmt als Trophäe die Achtung ihres Gegners
mit hinweg. Von sogenannten „meineidigen“ Examen,
d. h. solchen, bei denen der Candidat mit dem Prüfungs-
stoff unrechtmäßigerweise vorher bekannt gemacht worden,
die hier und da von der Gesellschaft mit schmunzelnd
spöttischem Behagen für die Studentinnen vorausgesetzt
wurden, ist eben bei diesen am allerwenigsten die Rede. –

Bei dem an den deutschen und auch an den schweize-
rischen Universitäten herrschenden System hat die Studentin
außerhalb des Collegs wenig oder gar keine Gelegenheit,
mit ihrem Professor in Berührung zu kommen, und doch
wird sie, vielleicht viel öfter als ihr männlicher College,
den Wunsch hegen, um Rath zu fragen, um mancherlei
Erklärungen zu bitten; denn sie leidet mehr als jener an
Vereinsamung und an Lücken ihrer Vorbildung. Voll herz-
lichen Dankes bleibe ich der Erlaubniß meiner Lehrer ein-
gedenk, Fragezettel für einen jeden von ihnen anzulegen,
mit welchen, wenn gefüllt, ich an ihre Thür klopfen durfte,
freundlicher Auskunft und manchen nützlichen Winkes ge-
wiß. Auch mein principieller Gegner, der beim Doctorats-

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[9/0012] über. Dieser Schein trügt: es nimmt in Wahrheit ein jeder innerlich Stellung dazu, pro oder contra, und wenn nicht eher, so wird bei den Examen diese Sachlage zum Ereigniß. Fast eine jede Candidatin, die geistig selbständige vorweg, hat unter ihren Examinatoren einen principiellen Gegner, der, von Galanterie ganz zu geschweigen, des Billigkeitsgefühls in jener Stunde des Gerichts vergißt und ihr gehäufte Schwierigkeiten entgegenbringt. Da gilt es: alle Mann an Bord, unverzagt und ohne Grauen! Jn den meisten Fällen wagt sich die Studentin nicht in's Examen, wenn sie sich nicht ziemlich sicher fühlt, und des- halb geht sie aus dem Kampf, der Regel nach, als Siegerin hervor und nimmt als Trophäe die Achtung ihres Gegners mit hinweg. Von sogenannten „meineidigen“ Examen, d. h. solchen, bei denen der Candidat mit dem Prüfungs- stoff unrechtmäßigerweise vorher bekannt gemacht worden, die hier und da von der Gesellschaft mit schmunzelnd spöttischem Behagen für die Studentinnen vorausgesetzt wurden, ist eben bei diesen am allerwenigsten die Rede. – Bei dem an den deutschen und auch an den schweize- rischen Universitäten herrschenden System hat die Studentin außerhalb des Collegs wenig oder gar keine Gelegenheit, mit ihrem Professor in Berührung zu kommen, und doch wird sie, vielleicht viel öfter als ihr männlicher College, den Wunsch hegen, um Rath zu fragen, um mancherlei Erklärungen zu bitten; denn sie leidet mehr als jener an Vereinsamung und an Lücken ihrer Vorbildung. Voll herz- lichen Dankes bleibe ich der Erlaubniß meiner Lehrer ein- gedenk, Fragezettel für einen jeden von ihnen anzulegen, mit welchen, wenn gefüllt, ich an ihre Thür klopfen durfte, freundlicher Auskunft und manchen nützlichen Winkes ge- wiß. Auch mein principieller Gegner, der beim Doctorats-

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Zitationshilfe: Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubertfeder_studentinnen_1894/12>, abgerufen am 23.11.2024.