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Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.

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es mir noch schlimmer: Die Verlegenheit machte mich un-
geschickt, der unglückselige Hut fiel zur Erde. Anstatt nun,
daß einer der Herren Studenten sich gebückt und mir ihn
aufgehoben hätte, wichen sie alle einen Schritt zurück,
damit ich Raum genug behalten sollte, ihn mir selber auf-
zuheben. - Das ist die Stellung der Studentin gegenüber
dem Studenten: gleiche Rechte, gleiche Pflichten, aber keine
Galanterie, oder doch nur so viel, als der Anstand ge-
bieterisch fordert. Dies völlig sine ira et studio, bereits
in einem Vortrag im vergangenen Jahre wiedergegebene
Geschichtchen ist es wohl gewesen, das Herrn Professor
Dr. Eulenburg, einem sehr anregenden Aufsatz in der
"Nation" zufolge, ("Die Frauen und das Studium der
Medizin" Nr. 41 und 42 vom 4. und 11. Juli 1891) zu
der Annahme veranlaßt hat, als ob die Beziehungen zwischen
den männlichen und weiblichen Studenten keine freund-
lichen wären. Das anzudeuten lag nicht in meiner Absicht,
denn es würde der Wahrheit nicht entsprechen. Aber
freilich, das wünschte ich anzudeuten, daß das Verhältniß
zwischen Herren und Damen, wie es im Salon sich ab-
spielt, im Auditorium sich nicht fortsetzt. Hie Welf, hie
Waibling, heißt es; Student und Studentin bewegen sich
in gesonderten Kreisen, die nur hie und da sich berühren,
ohne jedoch hart auf einander zu stoßen. Besucht eine
Frau als einzige unter Männern eine Vorlesung, wie mir
das häufig erging, so kann auch in Zürich das Gefühl des
nur Geduldetseins über sie kommen. Wenn ich in dieser,
manchmal auftauchenden Empfindung, bei Vorweisungen z.B.,
bescheiden zurückstand, da machten die Herren Collegen
wohl meistens Raum, damit ich vorträte und sagten etwa:
Wänd Se nüd velicht vorga? (Wollen Sie nicht vortreten?)
Dies eben erwähnte Bewußtsein der Jsolirung und Ver-

es mir noch schlimmer: Die Verlegenheit machte mich un-
geschickt, der unglückselige Hut fiel zur Erde. Anstatt nun,
daß einer der Herren Studenten sich gebückt und mir ihn
aufgehoben hätte, wichen sie alle einen Schritt zurück,
damit ich Raum genug behalten sollte, ihn mir selber auf-
zuheben. – Das ist die Stellung der Studentin gegenüber
dem Studenten: gleiche Rechte, gleiche Pflichten, aber keine
Galanterie, oder doch nur so viel, als der Anstand ge-
bieterisch fordert. Dies völlig sine ira et studio, bereits
in einem Vortrag im vergangenen Jahre wiedergegebene
Geschichtchen ist es wohl gewesen, das Herrn Professor
Dr. Eulenburg, einem sehr anregenden Aufsatz in der
„Nation“ zufolge, („Die Frauen und das Studium der
Medizin“ Nr. 41 und 42 vom 4. und 11. Juli 1891) zu
der Annahme veranlaßt hat, als ob die Beziehungen zwischen
den männlichen und weiblichen Studenten keine freund-
lichen wären. Das anzudeuten lag nicht in meiner Absicht,
denn es würde der Wahrheit nicht entsprechen. Aber
freilich, das wünschte ich anzudeuten, daß das Verhältniß
zwischen Herren und Damen, wie es im Salon sich ab-
spielt, im Auditorium sich nicht fortsetzt. Hie Welf, hie
Waibling, heißt es; Student und Studentin bewegen sich
in gesonderten Kreisen, die nur hie und da sich berühren,
ohne jedoch hart auf einander zu stoßen. Besucht eine
Frau als einzige unter Männern eine Vorlesung, wie mir
das häufig erging, so kann auch in Zürich das Gefühl des
nur Geduldetseins über sie kommen. Wenn ich in dieser,
manchmal auftauchenden Empfindung, bei Vorweisungen z.B.,
bescheiden zurückstand, da machten die Herren Collegen
wohl meistens Raum, damit ich vorträte und sagten etwa:
Wänd Se nüd velicht vorga? (Wollen Sie nicht vortreten?)
Dies eben erwähnte Bewußtsein der Jsolirung und Ver-

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[14/0017] es mir noch schlimmer: Die Verlegenheit machte mich un- geschickt, der unglückselige Hut fiel zur Erde. Anstatt nun, daß einer der Herren Studenten sich gebückt und mir ihn aufgehoben hätte, wichen sie alle einen Schritt zurück, damit ich Raum genug behalten sollte, ihn mir selber auf- zuheben. – Das ist die Stellung der Studentin gegenüber dem Studenten: gleiche Rechte, gleiche Pflichten, aber keine Galanterie, oder doch nur so viel, als der Anstand ge- bieterisch fordert. Dies völlig sine ira et studio, bereits in einem Vortrag im vergangenen Jahre wiedergegebene Geschichtchen ist es wohl gewesen, das Herrn Professor Dr. Eulenburg, einem sehr anregenden Aufsatz in der „Nation“ zufolge, („Die Frauen und das Studium der Medizin“ Nr. 41 und 42 vom 4. und 11. Juli 1891) zu der Annahme veranlaßt hat, als ob die Beziehungen zwischen den männlichen und weiblichen Studenten keine freund- lichen wären. Das anzudeuten lag nicht in meiner Absicht, denn es würde der Wahrheit nicht entsprechen. Aber freilich, das wünschte ich anzudeuten, daß das Verhältniß zwischen Herren und Damen, wie es im Salon sich ab- spielt, im Auditorium sich nicht fortsetzt. Hie Welf, hie Waibling, heißt es; Student und Studentin bewegen sich in gesonderten Kreisen, die nur hie und da sich berühren, ohne jedoch hart auf einander zu stoßen. Besucht eine Frau als einzige unter Männern eine Vorlesung, wie mir das häufig erging, so kann auch in Zürich das Gefühl des nur Geduldetseins über sie kommen. Wenn ich in dieser, manchmal auftauchenden Empfindung, bei Vorweisungen z.B., bescheiden zurückstand, da machten die Herren Collegen wohl meistens Raum, damit ich vorträte und sagten etwa: Wänd Se nüd velicht vorga? (Wollen Sie nicht vortreten?) Dies eben erwähnte Bewußtsein der Jsolirung und Ver-

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Zitationshilfe: Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubertfeder_studentinnen_1894/17>, abgerufen am 21.11.2024.