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Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.

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lassenheit unter so vielen Herren wurde mir besonders
schwer in Wien zu überwinden, wo es mir gelungen ist,
offiziell Bahn für uns zu brechen, und wo ich unter
5000 Herren das einzige weibliche Wesen war. Jch ge-
statte mir diesen Seitenblick auf mein Wiener Jntermezzo,
um die nicht geringen seelischen Schwierigkeiten ins rechte
Licht zu setzen, die heute noch der studirenden Frau ent-
gegenstehen können. Die inneren Schwierigkeiten sind hiebei
- ich rede allerdings in erster Linie von mir selbst -
überhaupt die überwiegenden. Damals - im Jahre 1882 -
wurde in Wien noch das alte Kloster als Universität benutzt.
Wenn ich mit stets klopfendem Herzen durch die dicht-
gedrängten, engen Corridore hindurchschritt, da half mir
einzig und allein der Rath einer freundlichen, alten Dame,
die mir einmal anempfahl: "Reden Sie sich nur ein, die
Studenten seien alle Luft; sehen Sie durch sie hindurch."
Das that ich nach besten Kräften, indem ich in meinem
Jnnern vielmals das Napoleonische Motto: sans haine et
sans amour
, dahin abgeändert: sans gene et sans amour
vor mich hinsprach, etwa wie ein furchtsames Kind seine
Gebete. Es half nach Wunsch: die Herren Collegen von
damals wollen mir Alles verzeihen, aber es gab kein
anderes als dieses radikale Mittel, um mich bei ruhiger
Fassung zu erhalten.

Wenn nun die verehrten Leser die Frage aufwerfen
wollten: wie steht es denn nun in Zürich mit dem Ver-
hältniß der Verhältnisse zwischen Student und Studentin,
so kann ich darauf wahrheitsgetreu erwidern: Es kommt
wohl dann und wann vor, daß sich aus gegenseitiger
Schätzung, für welche das Miteinanderarbeiten eben einen
sehr sicheren Maßstab abgiebt, eine ernste Neigung ent-
wickelt, die zur Heirath führt - Niemand wird das als

lassenheit unter so vielen Herren wurde mir besonders
schwer in Wien zu überwinden, wo es mir gelungen ist,
offiziell Bahn für uns zu brechen, und wo ich unter
5000 Herren das einzige weibliche Wesen war. Jch ge-
statte mir diesen Seitenblick auf mein Wiener Jntermezzo,
um die nicht geringen seelischen Schwierigkeiten ins rechte
Licht zu setzen, die heute noch der studirenden Frau ent-
gegenstehen können. Die inneren Schwierigkeiten sind hiebei
– ich rede allerdings in erster Linie von mir selbst –
überhaupt die überwiegenden. Damals – im Jahre 1882 –
wurde in Wien noch das alte Kloster als Universität benutzt.
Wenn ich mit stets klopfendem Herzen durch die dicht-
gedrängten, engen Corridore hindurchschritt, da half mir
einzig und allein der Rath einer freundlichen, alten Dame,
die mir einmal anempfahl: „Reden Sie sich nur ein, die
Studenten seien alle Luft; sehen Sie durch sie hindurch.“
Das that ich nach besten Kräften, indem ich in meinem
Jnnern vielmals das Napoleonische Motto: sans haine et
sans amour
, dahin abgeändert: sans gêne et sans amour
vor mich hinsprach, etwa wie ein furchtsames Kind seine
Gebete. Es half nach Wunsch: die Herren Collegen von
damals wollen mir Alles verzeihen, aber es gab kein
anderes als dieses radikale Mittel, um mich bei ruhiger
Fassung zu erhalten.

Wenn nun die verehrten Leser die Frage aufwerfen
wollten: wie steht es denn nun in Zürich mit dem Ver-
hältniß der Verhältnisse zwischen Student und Studentin,
so kann ich darauf wahrheitsgetreu erwidern: Es kommt
wohl dann und wann vor, daß sich aus gegenseitiger
Schätzung, für welche das Miteinanderarbeiten eben einen
sehr sicheren Maßstab abgiebt, eine ernste Neigung ent-
wickelt, die zur Heirath führt – Niemand wird das als

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[15/0018] lassenheit unter so vielen Herren wurde mir besonders schwer in Wien zu überwinden, wo es mir gelungen ist, offiziell Bahn für uns zu brechen, und wo ich unter 5000 Herren das einzige weibliche Wesen war. Jch ge- statte mir diesen Seitenblick auf mein Wiener Jntermezzo, um die nicht geringen seelischen Schwierigkeiten ins rechte Licht zu setzen, die heute noch der studirenden Frau ent- gegenstehen können. Die inneren Schwierigkeiten sind hiebei – ich rede allerdings in erster Linie von mir selbst – überhaupt die überwiegenden. Damals – im Jahre 1882 – wurde in Wien noch das alte Kloster als Universität benutzt. Wenn ich mit stets klopfendem Herzen durch die dicht- gedrängten, engen Corridore hindurchschritt, da half mir einzig und allein der Rath einer freundlichen, alten Dame, die mir einmal anempfahl: „Reden Sie sich nur ein, die Studenten seien alle Luft; sehen Sie durch sie hindurch.“ Das that ich nach besten Kräften, indem ich in meinem Jnnern vielmals das Napoleonische Motto: sans haine et sans amour, dahin abgeändert: sans gêne et sans amour vor mich hinsprach, etwa wie ein furchtsames Kind seine Gebete. Es half nach Wunsch: die Herren Collegen von damals wollen mir Alles verzeihen, aber es gab kein anderes als dieses radikale Mittel, um mich bei ruhiger Fassung zu erhalten. Wenn nun die verehrten Leser die Frage aufwerfen wollten: wie steht es denn nun in Zürich mit dem Ver- hältniß der Verhältnisse zwischen Student und Studentin, so kann ich darauf wahrheitsgetreu erwidern: Es kommt wohl dann und wann vor, daß sich aus gegenseitiger Schätzung, für welche das Miteinanderarbeiten eben einen sehr sicheren Maßstab abgiebt, eine ernste Neigung ent- wickelt, die zur Heirath führt – Niemand wird das als

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Zitationshilfe: Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubertfeder_studentinnen_1894/18>, abgerufen am 02.06.2024.