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Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.

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ein Unglück bezeichnen. Mir selbst sind mehrere verheirathete
Collegienpaare bekannt, deren Ehe eine völlig glückliche
geworden ist. Leichtere, als Liebeleien qualifizirbare Be-
ziehungen gehören zu den großen Seltenheiten und sind
wohl kaum jemals von Bestand. Das hat verschiedene
Ursachen, und ich muß mich überwinden, stark aus der
Schule zu plaudern, um hierin ganz klar zu sein. Die
Studentin ist heute noch meist älter als ihr männlicher
Commiliton, weil sie oft nach langen, innern und äußern
Kämpfen erst zur Möglichkeit des Studiums gelangt, sie
ist daher zweck- und zielbewußt, und es würde viel dazu
gehören, sie vom rechten Wege abzubringen. Sodann -
und dies Bekenntniß fällt mir besonders schwer - hat die
Studentin zu oft Gelegenheit, die Herren Collegen in un-
günstigem Lichte zu sehen: sie kommen entweder früh ins
erste Colleg mit übernächtigem Gesicht, matten, schläfrig
trüben Augen u. s. w., oder mit wenig sauberer Wäsche u. s. w.,
oder es ergiebt sich in den verschiedenen Seminaren, daß
ihr Wissen ein großes Stückwerk ist - kurz, es fehlt der
poetische Duft der unbestimmten Ferne und der verklärende
Reiz des sich nur selten Sehens. Die Studentin will aber
von ihrem Commilitonen auch gar nicht geliebt, sie will
nur von ihm geachtet sein und, wofern sie fleißig und
tüchtig, einfach, bescheiden und natürlich in ihrem Auftreten ist, wird diese Achtung ihr nicht fehlen. Würden männliche
und weibliche Studenten, statt an derselben, an zwei ge-
sonderten Universitäten studiren, dann wäre vielleicht der
Liebe zwischen ihnen mehr, aber der Achtung sicher weniger;
denn gerade das Miteinanderarbeiten, das sich geistig an
einander Messen führt auch die gegenseitige Achtung auf
das richtige, objectiv verdiente Maaß. Man denke an die
durchschnittlich ganz ungehörige, weil unverdiente Gering-

ein Unglück bezeichnen. Mir selbst sind mehrere verheirathete
Collegienpaare bekannt, deren Ehe eine völlig glückliche
geworden ist. Leichtere, als Liebeleien qualifizirbare Be-
ziehungen gehören zu den großen Seltenheiten und sind
wohl kaum jemals von Bestand. Das hat verschiedene
Ursachen, und ich muß mich überwinden, stark aus der
Schule zu plaudern, um hierin ganz klar zu sein. Die
Studentin ist heute noch meist älter als ihr männlicher
Commiliton, weil sie oft nach langen, innern und äußern
Kämpfen erst zur Möglichkeit des Studiums gelangt, sie
ist daher zweck- und zielbewußt, und es würde viel dazu
gehören, sie vom rechten Wege abzubringen. Sodann –
und dies Bekenntniß fällt mir besonders schwer – hat die
Studentin zu oft Gelegenheit, die Herren Collegen in un-
günstigem Lichte zu sehen: sie kommen entweder früh ins
erste Colleg mit übernächtigem Gesicht, matten, schläfrig
trüben Augen u. s. w., oder mit wenig sauberer Wäsche u. s. w.,
oder es ergiebt sich in den verschiedenen Seminaren, daß
ihr Wissen ein großes Stückwerk ist – kurz, es fehlt der
poetische Duft der unbestimmten Ferne und der verklärende
Reiz des sich nur selten Sehens. Die Studentin will aber
von ihrem Commilitonen auch gar nicht geliebt, sie will
nur von ihm geachtet sein und, wofern sie fleißig und
tüchtig, einfach, bescheiden und natürlich in ihrem Auftreten ist, wird diese Achtung ihr nicht fehlen. Würden männliche
und weibliche Studenten, statt an derselben, an zwei ge-
sonderten Universitäten studiren, dann wäre vielleicht der
Liebe zwischen ihnen mehr, aber der Achtung sicher weniger;
denn gerade das Miteinanderarbeiten, das sich geistig an
einander Messen führt auch die gegenseitige Achtung auf
das richtige, objectiv verdiente Maaß. Man denke an die
durchschnittlich ganz ungehörige, weil unverdiente Gering-

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[16/0019] ein Unglück bezeichnen. Mir selbst sind mehrere verheirathete Collegienpaare bekannt, deren Ehe eine völlig glückliche geworden ist. Leichtere, als Liebeleien qualifizirbare Be- ziehungen gehören zu den großen Seltenheiten und sind wohl kaum jemals von Bestand. Das hat verschiedene Ursachen, und ich muß mich überwinden, stark aus der Schule zu plaudern, um hierin ganz klar zu sein. Die Studentin ist heute noch meist älter als ihr männlicher Commiliton, weil sie oft nach langen, innern und äußern Kämpfen erst zur Möglichkeit des Studiums gelangt, sie ist daher zweck- und zielbewußt, und es würde viel dazu gehören, sie vom rechten Wege abzubringen. Sodann – und dies Bekenntniß fällt mir besonders schwer – hat die Studentin zu oft Gelegenheit, die Herren Collegen in un- günstigem Lichte zu sehen: sie kommen entweder früh ins erste Colleg mit übernächtigem Gesicht, matten, schläfrig trüben Augen u. s. w., oder mit wenig sauberer Wäsche u. s. w., oder es ergiebt sich in den verschiedenen Seminaren, daß ihr Wissen ein großes Stückwerk ist – kurz, es fehlt der poetische Duft der unbestimmten Ferne und der verklärende Reiz des sich nur selten Sehens. Die Studentin will aber von ihrem Commilitonen auch gar nicht geliebt, sie will nur von ihm geachtet sein und, wofern sie fleißig und tüchtig, einfach, bescheiden und natürlich in ihrem Auftreten ist, wird diese Achtung ihr nicht fehlen. Würden männliche und weibliche Studenten, statt an derselben, an zwei ge- sonderten Universitäten studiren, dann wäre vielleicht der Liebe zwischen ihnen mehr, aber der Achtung sicher weniger; denn gerade das Miteinanderarbeiten, das sich geistig an einander Messen führt auch die gegenseitige Achtung auf das richtige, objectiv verdiente Maaß. Man denke an die durchschnittlich ganz ungehörige, weil unverdiente Gering-

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Zitationshilfe: Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubertfeder_studentinnen_1894/19>, abgerufen am 21.11.2024.