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Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.

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tritt. Jm Sommersemester 1892 waren 70 Damen imma-
trikulirt, und dieselben gehören 15 verschiedenen Ländern
an: Preußen, Bayern, Hessen und Baden, das Sachsenland,
Jtalien, Oesterreich und Ungarn, Serbien und Rumänien,
die freie Reichsstadt Lübeck, Rußland, England und Amerika
und selbstredend die Schweiz sandten Töchter an die
Züricher Universität, und meist sendet Zürich sie ihnen
wieder als fertige Doctoren.

Wenn nun auch in manchen Fällen Gemeinsamkeit
des Strebens zusammenführt und freundschaftlich verbindet,
so ist es doch begreiflich, daß in den weitaus zahlreicheren
Fällen das nicht geschieht. Die allzu große Verschieden-
heit trägt daran Schuld. Jhrer Landeszugehörigkeit ent-
sprechen ihre Sitten und Gewohnheiten nicht minder als
ihrer sehr verschiedenen Herkunft d. h. dem Stande ihrer
Familie; das Alter, die Vermögensverhältnisse bestimmen
tiefgehende Unterschiede. Neben der hohen Aristokratin
studirt vielleicht ein Handwerkerkind, und die Vossische
Zeitung, welche in dem Artikel "Höhere Frauenbildung"
vom 20. November 1890 erklärte, es seien nur Töchter des
niedrigeren Bürgerstandes und verarmter Familien, die sich
dem Studium widmeten, hat sich eines groben Jrrthums
schuldig gemacht. Jch erinnere mich einer lieben ungarischen
Collegin, die ihren Familiensilberkasten mitgebracht hatte
nach Zürich, und bei der es hoch und fein herging, wenn sie mitunter etliche von uns zum Thee geladen hatte, und
Anderer erinnere ich mich, von denen es bekannt wurde,
daß sie Monate hindurch von nichts gelebt, als von Thee
und Brot, und denen einzig die Liebe zum Studium und
die Hoffnung auf die Zukunft den Heldenmuth gegeben,
dies zu ertragen.

Seitdem die Leistungsfähigkeit der Züricher höheren
Töchterschule derartig gewachsen ist, daß die wohlbestandene

tritt. Jm Sommersemester 1892 waren 70 Damen imma-
trikulirt, und dieselben gehören 15 verschiedenen Ländern
an: Preußen, Bayern, Hessen und Baden, das Sachsenland,
Jtalien, Oesterreich und Ungarn, Serbien und Rumänien,
die freie Reichsstadt Lübeck, Rußland, England und Amerika
und selbstredend die Schweiz sandten Töchter an die
Züricher Universität, und meist sendet Zürich sie ihnen
wieder als fertige Doctoren.

Wenn nun auch in manchen Fällen Gemeinsamkeit
des Strebens zusammenführt und freundschaftlich verbindet,
so ist es doch begreiflich, daß in den weitaus zahlreicheren
Fällen das nicht geschieht. Die allzu große Verschieden-
heit trägt daran Schuld. Jhrer Landeszugehörigkeit ent-
sprechen ihre Sitten und Gewohnheiten nicht minder als
ihrer sehr verschiedenen Herkunft d. h. dem Stande ihrer
Familie; das Alter, die Vermögensverhältnisse bestimmen
tiefgehende Unterschiede. Neben der hohen Aristokratin
studirt vielleicht ein Handwerkerkind, und die Vossische
Zeitung, welche in dem Artikel „Höhere Frauenbildung“
vom 20. November 1890 erklärte, es seien nur Töchter des
niedrigeren Bürgerstandes und verarmter Familien, die sich
dem Studium widmeten, hat sich eines groben Jrrthums
schuldig gemacht. Jch erinnere mich einer lieben ungarischen
Collegin, die ihren Familiensilberkasten mitgebracht hatte
nach Zürich, und bei der es hoch und fein herging, wenn sie mitunter etliche von uns zum Thee geladen hatte, und
Anderer erinnere ich mich, von denen es bekannt wurde,
daß sie Monate hindurch von nichts gelebt, als von Thee
und Brot, und denen einzig die Liebe zum Studium und
die Hoffnung auf die Zukunft den Heldenmuth gegeben,
dies zu ertragen.

Seitdem die Leistungsfähigkeit der Züricher höheren
Töchterschule derartig gewachsen ist, daß die wohlbestandene

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[18/0021] tritt. Jm Sommersemester 1892 waren 70 Damen imma- trikulirt, und dieselben gehören 15 verschiedenen Ländern an: Preußen, Bayern, Hessen und Baden, das Sachsenland, Jtalien, Oesterreich und Ungarn, Serbien und Rumänien, die freie Reichsstadt Lübeck, Rußland, England und Amerika und selbstredend die Schweiz sandten Töchter an die Züricher Universität, und meist sendet Zürich sie ihnen wieder als fertige Doctoren. Wenn nun auch in manchen Fällen Gemeinsamkeit des Strebens zusammenführt und freundschaftlich verbindet, so ist es doch begreiflich, daß in den weitaus zahlreicheren Fällen das nicht geschieht. Die allzu große Verschieden- heit trägt daran Schuld. Jhrer Landeszugehörigkeit ent- sprechen ihre Sitten und Gewohnheiten nicht minder als ihrer sehr verschiedenen Herkunft d. h. dem Stande ihrer Familie; das Alter, die Vermögensverhältnisse bestimmen tiefgehende Unterschiede. Neben der hohen Aristokratin studirt vielleicht ein Handwerkerkind, und die Vossische Zeitung, welche in dem Artikel „Höhere Frauenbildung“ vom 20. November 1890 erklärte, es seien nur Töchter des niedrigeren Bürgerstandes und verarmter Familien, die sich dem Studium widmeten, hat sich eines groben Jrrthums schuldig gemacht. Jch erinnere mich einer lieben ungarischen Collegin, die ihren Familiensilberkasten mitgebracht hatte nach Zürich, und bei der es hoch und fein herging, wenn sie mitunter etliche von uns zum Thee geladen hatte, und Anderer erinnere ich mich, von denen es bekannt wurde, daß sie Monate hindurch von nichts gelebt, als von Thee und Brot, und denen einzig die Liebe zum Studium und die Hoffnung auf die Zukunft den Heldenmuth gegeben, dies zu ertragen. Seitdem die Leistungsfähigkeit der Züricher höheren Töchterschule derartig gewachsen ist, daß die wohlbestandene

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Zitationshilfe: Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubertfeder_studentinnen_1894/21>, abgerufen am 21.11.2024.