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Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894.

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Tage der kühle Sommerabend zum Spaziergang lockt, so
ist es fraglich, ob sie folgen darf, eben um ihrer exponirten
Stellung willen: Verabredungen mit andern Damen lassen
sich nicht immer treffen; ginge sie allein, so könnte sie
verdächtigt werden. So bleibt sie oft zu Haus, trotz
allen Luftbedürfnisses, und sieht vielleicht die männlichen
Collegen, sieht städtische Familien mit ihren Töchtern
fröhlich vorüberziehen an ihrem Fenster. Während also die
Herren in unbeschränkter Freiheit ihre Abende verbringen,
"bummeln", Theater oder Conzerte besuchen, last not least
mit Zechcumpanen in ihrer berühmten Weise des Lebens
sich freuen, müssen wir uns die Studentin fast ausnahms-
los daheim denken. Denn zu Conzerten und Theater fehlt
ihr, wie gesagt, die Zeit: die schon erwähnte, "anfzu- bessernde" Vorbildung, häufig Reparaturen ihres Anzugs,
nicht selten auch die mangelnde pecunia fesseln sie zu
Hause. Jst sie musikalisch und besitzen ihre Wirthe ein
Clavier, so erblüht ihr wohl an diesem manch schöner
Augenblick - aber, Alles in Allem genommen, hat die
Studentin jede Ursache, sich mit Genügsamkeit zu rüsten.
Das wird vielleicht später einmal besser werden, nachdem
die jetzt hindernden "Wenns und Abers" werden gehoben
sein - gegenwärtig jedoch ist dies der durchschnittliche
Thatbestand. Die Studirende sei glücklich in ihren vier
Pfählen, im Gefühl des allmählichen Vorwärtsschreitens,
in der Vorfreude des erreichten Ziels. Und wenn auch,
zum mindesten in unserm Deutschland, dies "erreichte Ziel"
noch jede staatliche Anstellung ausschließt, die halbwegs
den gemachten Anstrengungen entspräche, wenn es auch
nur in dem empfehlenden Aushängeschild des Doctortitels
besteht und in dem, eine gewisse Sicherheit verleihenden
Gefühl, eine bestimmte Stufe der Bildung erklommen zu
haben, so ist auch dies schon "des Schweißes der Edlen

Tage der kühle Sommerabend zum Spaziergang lockt, so
ist es fraglich, ob sie folgen darf, eben um ihrer exponirten
Stellung willen: Verabredungen mit andern Damen lassen
sich nicht immer treffen; ginge sie allein, so könnte sie
verdächtigt werden. So bleibt sie oft zu Haus, trotz
allen Luftbedürfnisses, und sieht vielleicht die männlichen
Collegen, sieht städtische Familien mit ihren Töchtern
fröhlich vorüberziehen an ihrem Fenster. Während also die
Herren in unbeschränkter Freiheit ihre Abende verbringen,
„bummeln“, Theater oder Conzerte besuchen, last not least
mit Zechcumpanen in ihrer berühmten Weise des Lebens
sich freuen, müssen wir uns die Studentin fast ausnahms-
los daheim denken. Denn zu Conzerten und Theater fehlt
ihr, wie gesagt, die Zeit: die schon erwähnte, „anfzu- bessernde“ Vorbildung, häufig Reparaturen ihres Anzugs,
nicht selten auch die mangelnde pecunia fesseln sie zu
Hause. Jst sie musikalisch und besitzen ihre Wirthe ein
Clavier, so erblüht ihr wohl an diesem manch schöner
Augenblick – aber, Alles in Allem genommen, hat die
Studentin jede Ursache, sich mit Genügsamkeit zu rüsten.
Das wird vielleicht später einmal besser werden, nachdem
die jetzt hindernden „Wenns und Abers“ werden gehoben
sein – gegenwärtig jedoch ist dies der durchschnittliche
Thatbestand. Die Studirende sei glücklich in ihren vier
Pfählen, im Gefühl des allmählichen Vorwärtsschreitens,
in der Vorfreude des erreichten Ziels. Und wenn auch,
zum mindesten in unserm Deutschland, dies „erreichte Ziel“
noch jede staatliche Anstellung ausschließt, die halbwegs
den gemachten Anstrengungen entspräche, wenn es auch
nur in dem empfehlenden Aushängeschild des Doctortitels
besteht und in dem, eine gewisse Sicherheit verleihenden
Gefühl, eine bestimmte Stufe der Bildung erklommen zu
haben, so ist auch dies schon „des Schweißes der Edlen

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[22/0025] Tage der kühle Sommerabend zum Spaziergang lockt, so ist es fraglich, ob sie folgen darf, eben um ihrer exponirten Stellung willen: Verabredungen mit andern Damen lassen sich nicht immer treffen; ginge sie allein, so könnte sie verdächtigt werden. So bleibt sie oft zu Haus, trotz allen Luftbedürfnisses, und sieht vielleicht die männlichen Collegen, sieht städtische Familien mit ihren Töchtern fröhlich vorüberziehen an ihrem Fenster. Während also die Herren in unbeschränkter Freiheit ihre Abende verbringen, „bummeln“, Theater oder Conzerte besuchen, last not least mit Zechcumpanen in ihrer berühmten Weise des Lebens sich freuen, müssen wir uns die Studentin fast ausnahms- los daheim denken. Denn zu Conzerten und Theater fehlt ihr, wie gesagt, die Zeit: die schon erwähnte, „anfzu- bessernde“ Vorbildung, häufig Reparaturen ihres Anzugs, nicht selten auch die mangelnde pecunia fesseln sie zu Hause. Jst sie musikalisch und besitzen ihre Wirthe ein Clavier, so erblüht ihr wohl an diesem manch schöner Augenblick – aber, Alles in Allem genommen, hat die Studentin jede Ursache, sich mit Genügsamkeit zu rüsten. Das wird vielleicht später einmal besser werden, nachdem die jetzt hindernden „Wenns und Abers“ werden gehoben sein – gegenwärtig jedoch ist dies der durchschnittliche Thatbestand. Die Studirende sei glücklich in ihren vier Pfählen, im Gefühl des allmählichen Vorwärtsschreitens, in der Vorfreude des erreichten Ziels. Und wenn auch, zum mindesten in unserm Deutschland, dies „erreichte Ziel“ noch jede staatliche Anstellung ausschließt, die halbwegs den gemachten Anstrengungen entspräche, wenn es auch nur in dem empfehlenden Aushängeschild des Doctortitels besteht und in dem, eine gewisse Sicherheit verleihenden Gefühl, eine bestimmte Stufe der Bildung erklommen zu haben, so ist auch dies schon „des Schweißes der Edlen

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Zitationshilfe: Schubert-Feder, Cläre: Das Leben der Studentinnen in Zürich. Berlin, 1894, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubertfeder_studentinnen_1894/25>, abgerufen am 21.11.2024.