Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 17). 1. Bd. Stuttgart, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

"Sie dauerte mich. Um sie zu zerstreuen, ließ ich sie Stunden nehmen und borgte ihr Bücher. Sie las mit einer wahren Gier. Aber anstatt besser wurde es immer ärger und ärger mit ihr!"

"Das hätte ich Ihnen im voraus sagen können," meinte der Oberst. Ohne auf diese Bemerkung etwas zu erwidern, nahm Swoyschin seinen Bericht wieder auf:

"Sie trieb mich mit den unmöglichsten Fragen in die Enge, wie zum Beispiel, ob sie, wenn sie sich einmal von ihrer Vergangenheit losgelöst haben würde, noch das Recht hätte, einen Ehrenmann zu heiraten oder in einer anständigen Familie Erzieherin zu werden. Und andre solche Fragen, auf die es keine Antworten gibt, die sich in den Sackgassen der Civilisation die Köpfe wund stoßen. Mir war so schrecklich leid um sie, aber da ich gar keinen Ausweg mehr wußte und ich ohnehin zu diesem Verhältnis gekommen war wie der Pontius ins Credo, so zog ich mich zurück, löste es endlich schriftlich. Ich atmete auf, als es vorüber war. Eigentlich wunderte ich mich, daß sie die Trennung so ruhig hinnahm, - spottete mich aus dafür, daß ich die Person ernst genommen, und meinte, die tröstet sich mit einem andern.

Kurze Zeit darauf kommt meine Mutter mit meiner Cousine Annie nach Wien. Ich war selig und von früh bis abends mit den beiden beisammen, denen ich recht ausgiebig die Honneurs der Kaiserstadt

„Sie dauerte mich. Um sie zu zerstreuen, ließ ich sie Stunden nehmen und borgte ihr Bücher. Sie las mit einer wahren Gier. Aber anstatt besser wurde es immer ärger und ärger mit ihr!“

„Das hätte ich Ihnen im voraus sagen können,“ meinte der Oberst. Ohne auf diese Bemerkung etwas zu erwidern, nahm Swoyschin seinen Bericht wieder auf:

„Sie trieb mich mit den unmöglichsten Fragen in die Enge, wie zum Beispiel, ob sie, wenn sie sich einmal von ihrer Vergangenheit losgelöst haben würde, noch das Recht hätte, einen Ehrenmann zu heiraten oder in einer anständigen Familie Erzieherin zu werden. Und andre solche Fragen, auf die es keine Antworten gibt, die sich in den Sackgassen der Civilisation die Köpfe wund stoßen. Mir war so schrecklich leid um sie, aber da ich gar keinen Ausweg mehr wußte und ich ohnehin zu diesem Verhältnis gekommen war wie der Pontius ins Credo, so zog ich mich zurück, löste es endlich schriftlich. Ich atmete auf, als es vorüber war. Eigentlich wunderte ich mich, daß sie die Trennung so ruhig hinnahm, – spottete mich aus dafür, daß ich die Person ernst genommen, und meinte, die tröstet sich mit einem andern.

Kurze Zeit darauf kommt meine Mutter mit meiner Cousine Annie nach Wien. Ich war selig und von früh bis abends mit den beiden beisammen, denen ich recht ausgiebig die Honneurs der Kaiserstadt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="59"/>
&#x201E;Sie dauerte mich. Um sie zu zerstreuen, ließ ich sie Stunden nehmen und borgte ihr Bücher. Sie las mit einer wahren Gier. Aber anstatt besser wurde es immer ärger und ärger mit ihr!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Das hätte ich Ihnen im voraus sagen können,&#x201C; meinte der Oberst. Ohne auf diese Bemerkung etwas zu erwidern, nahm Swoyschin seinen Bericht wieder auf:</p>
        <p>&#x201E;Sie trieb mich mit den unmöglichsten Fragen in die Enge, wie zum Beispiel, ob sie, wenn sie sich einmal von ihrer Vergangenheit losgelöst haben würde, noch das Recht hätte, einen Ehrenmann zu heiraten oder in einer anständigen Familie Erzieherin zu werden. Und andre solche Fragen, auf die es keine Antworten gibt, die sich in den Sackgassen der Civilisation die Köpfe wund stoßen. Mir war so schrecklich leid um sie, aber da ich gar keinen Ausweg mehr wußte und ich ohnehin zu diesem Verhältnis gekommen war wie der Pontius ins Credo, so zog ich mich zurück, löste es endlich schriftlich. Ich atmete auf, als es vorüber war. Eigentlich wunderte ich mich, daß sie die Trennung so ruhig hinnahm, &#x2013; spottete mich aus dafür, daß ich die Person ernst genommen, und meinte, die tröstet sich mit einem andern.</p>
        <p>Kurze Zeit darauf kommt meine Mutter mit meiner Cousine Annie nach Wien. Ich war selig und von früh bis abends mit den beiden beisammen, denen ich recht ausgiebig die Honneurs der Kaiserstadt
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0060] „Sie dauerte mich. Um sie zu zerstreuen, ließ ich sie Stunden nehmen und borgte ihr Bücher. Sie las mit einer wahren Gier. Aber anstatt besser wurde es immer ärger und ärger mit ihr!“ „Das hätte ich Ihnen im voraus sagen können,“ meinte der Oberst. Ohne auf diese Bemerkung etwas zu erwidern, nahm Swoyschin seinen Bericht wieder auf: „Sie trieb mich mit den unmöglichsten Fragen in die Enge, wie zum Beispiel, ob sie, wenn sie sich einmal von ihrer Vergangenheit losgelöst haben würde, noch das Recht hätte, einen Ehrenmann zu heiraten oder in einer anständigen Familie Erzieherin zu werden. Und andre solche Fragen, auf die es keine Antworten gibt, die sich in den Sackgassen der Civilisation die Köpfe wund stoßen. Mir war so schrecklich leid um sie, aber da ich gar keinen Ausweg mehr wußte und ich ohnehin zu diesem Verhältnis gekommen war wie der Pontius ins Credo, so zog ich mich zurück, löste es endlich schriftlich. Ich atmete auf, als es vorüber war. Eigentlich wunderte ich mich, daß sie die Trennung so ruhig hinnahm, – spottete mich aus dafür, daß ich die Person ernst genommen, und meinte, die tröstet sich mit einem andern. Kurze Zeit darauf kommt meine Mutter mit meiner Cousine Annie nach Wien. Ich war selig und von früh bis abends mit den beiden beisammen, denen ich recht ausgiebig die Honneurs der Kaiserstadt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche „—“ werden als normale Gedankenstriche „–“ wiedergegeben.
  • Die Majuskelschreibweise Ae, Oe, Ue wird als Ä, Ö, Ü wiedergegeben.
  • Worttrennungen am Zeilenende werden ignoriert. Das Wort wird noch auf der gleichen Seite vervollständigt.
  • Die Transkription folgt im Übrigen dem Original.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber01_1899/60
Zitationshilfe: Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 17). 1. Bd. Stuttgart, 1899, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber01_1899/60>, abgerufen am 19.05.2024.