Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 17). 1. Bd. Stuttgart, 1899.einer Dame mußte es sein, das war klar; undiszipliniert und kühn, großmächtig und steil füllte sie fast die ganze Fläche des Umschlags aus, obwohl die Adresse sich, alle offiziellen Floskeln weglassend, knapp auf Titel und Namen des Obersten beschränkte. Postmarke und Stempel fehlten, der Brief mochte persönlich abgegeben worden sein. "Wo kommt der Brief her?" fragte der Oberst etwas unwirsch seinen Diener, der soeben frisch gestopfte Tschibuks für die Herren hereintrug. "Ich bitte, Herr Oberst, der Herr Graf Swoyschin haben den Brief gebracht." Dem Obersten sagte der Name nichts, er schüttelte den Kopf, stierte ärgerlich vor sich hin, bis einer seiner Majore ihm ins Gedächtnis zu rufen wagte: "Der neue Oberlieutenant." "Ach richtig ... der, der von den Windischgrätz-Dragonern herversetzt worden ist," murmelte der Oberst. "Den hatte ich ganz vergessen. Ja, ja, er sollte heute eintreffen - der Wind hatte mir ihn aus dem Kopf geblasen. Aber was fällt denn dem ein, mir gleich mit so einer Epistel ins Haus zu fallen?" "Hm, der Brief enthält gewiß eine warme Empfehlung des jungen Mannes von einer nahen Anverwandten," bemerkte der Oberstlieutenant von Drewinsky, derselbe, der soeben das Junggesellentum des Hausherrn bedauert hatte. Er war ein famoser einer Dame mußte es sein, das war klar; undiszipliniert und kühn, großmächtig und steil füllte sie fast die ganze Fläche des Umschlags aus, obwohl die Adresse sich, alle offiziellen Floskeln weglassend, knapp auf Titel und Namen des Obersten beschränkte. Postmarke und Stempel fehlten, der Brief mochte persönlich abgegeben worden sein. „Wo kommt der Brief her?“ fragte der Oberst etwas unwirsch seinen Diener, der soeben frisch gestopfte Tschibuks für die Herren hereintrug. „Ich bitte, Herr Oberst, der Herr Graf Swoyschin haben den Brief gebracht.“ Dem Obersten sagte der Name nichts, er schüttelte den Kopf, stierte ärgerlich vor sich hin, bis einer seiner Majore ihm ins Gedächtnis zu rufen wagte: „Der neue Oberlieutenant.“ „Ach richtig … der, der von den Windischgrätz-Dragonern herversetzt worden ist,“ murmelte der Oberst. „Den hatte ich ganz vergessen. Ja, ja, er sollte heute eintreffen – der Wind hatte mir ihn aus dem Kopf geblasen. Aber was fällt denn dem ein, mir gleich mit so einer Epistel ins Haus zu fallen?“ „Hm, der Brief enthält gewiß eine warme Empfehlung des jungen Mannes von einer nahen Anverwandten,“ bemerkte der Oberstlieutenant von Drewinsky, derselbe, der soeben das Junggesellentum des Hausherrn bedauert hatte. Er war ein famoser <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0008" n="7"/> einer Dame mußte es sein, das war klar; undiszipliniert und kühn, großmächtig und steil füllte sie fast die ganze Fläche des Umschlags aus, obwohl die Adresse sich, alle offiziellen Floskeln weglassend, knapp auf Titel und Namen des Obersten beschränkte. Postmarke und Stempel fehlten, der Brief mochte persönlich abgegeben worden sein.</p> <p>„Wo kommt der Brief her?“ fragte der Oberst etwas unwirsch seinen Diener, der soeben frisch gestopfte Tschibuks für die Herren hereintrug.</p> <p>„Ich bitte, Herr Oberst, der Herr Graf Swoyschin haben den Brief gebracht.“</p> <p>Dem Obersten sagte der Name nichts, er schüttelte den Kopf, stierte ärgerlich vor sich hin, bis einer seiner Majore ihm ins Gedächtnis zu rufen wagte: „Der neue Oberlieutenant.“</p> <p>„Ach richtig … der, der von den Windischgrätz-Dragonern herversetzt worden ist,“ murmelte der Oberst. „Den hatte ich ganz vergessen. Ja, ja, er sollte heute eintreffen – der Wind hatte mir ihn aus dem Kopf geblasen. Aber was fällt denn dem ein, mir gleich mit so einer Epistel ins Haus zu fallen?“</p> <p>„Hm, der Brief enthält gewiß eine warme Empfehlung des jungen Mannes von einer nahen Anverwandten,“ bemerkte der Oberstlieutenant von Drewinsky, derselbe, der soeben das Junggesellentum des Hausherrn bedauert hatte. Er war ein famoser </p> </div> </body> </text> </TEI> [7/0008]
einer Dame mußte es sein, das war klar; undiszipliniert und kühn, großmächtig und steil füllte sie fast die ganze Fläche des Umschlags aus, obwohl die Adresse sich, alle offiziellen Floskeln weglassend, knapp auf Titel und Namen des Obersten beschränkte. Postmarke und Stempel fehlten, der Brief mochte persönlich abgegeben worden sein.
„Wo kommt der Brief her?“ fragte der Oberst etwas unwirsch seinen Diener, der soeben frisch gestopfte Tschibuks für die Herren hereintrug.
„Ich bitte, Herr Oberst, der Herr Graf Swoyschin haben den Brief gebracht.“
Dem Obersten sagte der Name nichts, er schüttelte den Kopf, stierte ärgerlich vor sich hin, bis einer seiner Majore ihm ins Gedächtnis zu rufen wagte: „Der neue Oberlieutenant.“
„Ach richtig … der, der von den Windischgrätz-Dragonern herversetzt worden ist,“ murmelte der Oberst. „Den hatte ich ganz vergessen. Ja, ja, er sollte heute eintreffen – der Wind hatte mir ihn aus dem Kopf geblasen. Aber was fällt denn dem ein, mir gleich mit so einer Epistel ins Haus zu fallen?“
„Hm, der Brief enthält gewiß eine warme Empfehlung des jungen Mannes von einer nahen Anverwandten,“ bemerkte der Oberstlieutenant von Drewinsky, derselbe, der soeben das Junggesellentum des Hausherrn bedauert hatte. Er war ein famoser
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