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Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

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bewussten oder doch halbbewussten Nachahmung zu
sein. Da Schmidt2 der Meinung ist "es herrsche,
F. Müller ausgenommen, allgemeines Einverständniss
darüber dass sämmtliche Lautveränderungen sich ohne
Bewusstsein der Sprechenden vollziehen, keine Moden
sind, welche der Einzelne nach Belieben mitmachen
oder ablehnen kann", so stehen hier einige gegen-
theilige Zeugnisse. Th. Benfey sagt (Gött. Nachr. 1877
S. 556): "diese Aussprache fing an Autorität zu er-
langen, für richtig und schön zu gelten und ward in
Folge davon auch von Individuen und Complexen an-
genommen denen die Nöthigung welche sie herbei-
geführt hatte, ganz fremd gewesen sein konnte",
nimmt jedoch an (S. 557) "dass die Sprechenden
von der Umwandelung gar kein Bewusstsein hatten";
Bezzenberger: "der Lautwandel kann sich auch mit
Bewusstsein entwickeln" -- "nach der Aussprache
jenes einen oder jener wenigen richten sich aus Grün-
den des Geschmacks mehrere"; Collitz: "die laut-
liche Umwandelung gefällt denen welchen sie auf-
gefallen ist, sie wird Mode, sei es dass man ihr aus
Bequemlichkeit, aus ästhetischen Rücksichten oder aus
irgend einem anderen Grunde folgt; aber man folgt ihr
nicht unbewusst" ; Delbrück12 führt neben der Be-
quemlichkeit auch den ästhetischen Trieb als Grund
des Lautwandels an, er erwähnt (2) eine gewisse Art
zu sprechen, welche sich verbreite, "weil es so Mode
ist und gefällt", sieht aber als unzweifelhaft an "dass
alle (oder doch fast alle) diese Akte unbewusst voll-
zogen werden", und dieser unbewusste Vollzug wird
wiederum von ihm (3) unter den Argumenten zu Gunsten
der Gesetzmässigkeit des Lautwandels vorgebracht.
Ich werde daher wohl nicht fehl gehen, wenn ich mit

bewussten oder doch halbbewussten Nachahmung zu
sein. Da Schmidt2 der Meinung ist „es herrsche,
F. Müller ausgenommen, allgemeines Einverständniss
darüber dass sämmtliche Lautveränderungen sich ohne
Bewusstsein der Sprechenden vollziehen, keine Moden
sind, welche der Einzelne nach Belieben mitmachen
oder ablehnen kann“, so stehen hier einige gegen-
theilige Zeugnisse. Th. Benfey sagt (Gött. Nachr. 1877
S. 556): „diese Aussprache fing an Autorität zu er-
langen, für richtig und schön zu gelten und ward in
Folge davon auch von Individuen und Complexen an-
genommen denen die Nöthigung welche sie herbei-
geführt hatte, ganz fremd gewesen sein konnte“,
nimmt jedoch an (S. 557) „dass die Sprechenden
von der Umwandelung gar kein Bewusstsein hatten“;
Bezzenberger: „der Lautwandel kann sich auch mit
Bewusstsein entwickeln“ — „nach der Aussprache
jenes einen oder jener wenigen richten sich aus Grün-
den des Geschmacks mehrere“; Collitz: „die laut-
liche Umwandelung gefällt denen welchen sie auf-
gefallen ist, sie wird Mode, sei es dass man ihr aus
Bequemlichkeit, aus ästhetischen Rücksichten oder aus
irgend einem anderen Grunde folgt; aber man folgt ihr
nicht unbewusst“ ; Delbrück₁2 führt neben der Be-
quemlichkeit auch den ästhetischen Trieb als Grund
des Lautwandels an, er erwähnt (2) eine gewisse Art
zu sprechen, welche sich verbreite, „weil es so Mode
ist und gefällt“, sieht aber als unzweifelhaft an „dass
alle (oder doch fast alle) diese Akte unbewusst voll-
zogen werden“, und dieser unbewusste Vollzug wird
wiederum von ihm (3) unter den Argumenten zu Gunsten
der Gesetzmässigkeit des Lautwandels vorgebracht.
Ich werde daher wohl nicht fehl gehen, wenn ich mit

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[14/0026] bewussten oder doch halbbewussten Nachahmung zu sein. Da Schmidt2 der Meinung ist „es herrsche, F. Müller ausgenommen, allgemeines Einverständniss darüber dass sämmtliche Lautveränderungen sich ohne Bewusstsein der Sprechenden vollziehen, keine Moden sind, welche der Einzelne nach Belieben mitmachen oder ablehnen kann“, so stehen hier einige gegen- theilige Zeugnisse. Th. Benfey sagt (Gött. Nachr. 1877 S. 556): „diese Aussprache fing an Autorität zu er- langen, für richtig und schön zu gelten und ward in Folge davon auch von Individuen und Complexen an- genommen denen die Nöthigung welche sie herbei- geführt hatte, ganz fremd gewesen sein konnte“, nimmt jedoch an (S. 557) „dass die Sprechenden von der Umwandelung gar kein Bewusstsein hatten“; Bezzenberger: „der Lautwandel kann sich auch mit Bewusstsein entwickeln“ — „nach der Aussprache jenes einen oder jener wenigen richten sich aus Grün- den des Geschmacks mehrere“; Collitz: „die laut- liche Umwandelung gefällt denen welchen sie auf- gefallen ist, sie wird Mode, sei es dass man ihr aus Bequemlichkeit, aus ästhetischen Rücksichten oder aus irgend einem anderen Grunde folgt; aber man folgt ihr nicht unbewusst“ ; Delbrück₁2 führt neben der Be- quemlichkeit auch den ästhetischen Trieb als Grund des Lautwandels an, er erwähnt (2) eine gewisse Art zu sprechen, welche sich verbreite, „weil es so Mode ist und gefällt“, sieht aber als unzweifelhaft an „dass alle (oder doch fast alle) diese Akte unbewusst voll- zogen werden“, und dieser unbewusste Vollzug wird wiederum von ihm (3) unter den Argumenten zu Gunsten der Gesetzmässigkeit des Lautwandels vorgebracht. Ich werde daher wohl nicht fehl gehen, wenn ich mit

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Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/26>, abgerufen am 21.11.2024.