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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ten im verschwenderischesten Luxus erzogen, war sie mehr verwöhnt, als gerade anspruchsvoll, und die Spuren von Dürftigkeit und Leerheit des Hauses, welche ihrem Auge nicht verborgen bleiben konnten, erregten ihr mehr Verwunderung, als große Unbehaglichkeit, und ließen sie nur auf einen grenzenlosen Mangel an Bildung und Civilisation und Lebensart bei den guten Deutschen schließen. Sie suchte sich zu beherrschen und befriedigt zu scheinen -- schon um ihres Gatten willen, den sie zu verletzen fürchtete. Doch war sie freilich an hundert Dinge so gewöhnt, daß sie eine Existenz ohne dieselben gar nicht begriff, und diese Naivetät mußte Leonoren denn oft genug auf die Folter spannen.

Der Verwalter und der Pfarrer waren zur Theilnahme am Souper gebeten. Verletzt durch Joseph's herrisches Benehmen, der in Gegenwart seiner Christine den Seigneur herauskehrte, waren sie schweigsam.

Joseph trug die Kosten der Unterhaltung, wobei es ihm außerordentlich zu statten kam, daß seine Frau kein Deutsch und die anderen Anwesenden kein Holländisch verstanden. Er beutete diesen Umstand mit großem Geschicke aus. Wenn er einige Worte Deutsch von den Anwesenden gehört, wandte er sich zu seiner Frau und theilte ihr auf Holländisch mit, welche Berichte über die außerordentlich glänzenden Verhältnisse, Einkünfte und Vergrößerungen der Baronie Windschrot er soeben von den Beamten empfange: gleich darauf schlüpfte über seine Lippen wieder das theure heimat-

ten im verschwenderischesten Luxus erzogen, war sie mehr verwöhnt, als gerade anspruchsvoll, und die Spuren von Dürftigkeit und Leerheit des Hauses, welche ihrem Auge nicht verborgen bleiben konnten, erregten ihr mehr Verwunderung, als große Unbehaglichkeit, und ließen sie nur auf einen grenzenlosen Mangel an Bildung und Civilisation und Lebensart bei den guten Deutschen schließen. Sie suchte sich zu beherrschen und befriedigt zu scheinen — schon um ihres Gatten willen, den sie zu verletzen fürchtete. Doch war sie freilich an hundert Dinge so gewöhnt, daß sie eine Existenz ohne dieselben gar nicht begriff, und diese Naivetät mußte Leonoren denn oft genug auf die Folter spannen.

Der Verwalter und der Pfarrer waren zur Theilnahme am Souper gebeten. Verletzt durch Joseph's herrisches Benehmen, der in Gegenwart seiner Christine den Seigneur herauskehrte, waren sie schweigsam.

Joseph trug die Kosten der Unterhaltung, wobei es ihm außerordentlich zu statten kam, daß seine Frau kein Deutsch und die anderen Anwesenden kein Holländisch verstanden. Er beutete diesen Umstand mit großem Geschicke aus. Wenn er einige Worte Deutsch von den Anwesenden gehört, wandte er sich zu seiner Frau und theilte ihr auf Holländisch mit, welche Berichte über die außerordentlich glänzenden Verhältnisse, Einkünfte und Vergrößerungen der Baronie Windschrot er soeben von den Beamten empfange: gleich darauf schlüpfte über seine Lippen wieder das theure heimat-

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[0057] ten im verschwenderischesten Luxus erzogen, war sie mehr verwöhnt, als gerade anspruchsvoll, und die Spuren von Dürftigkeit und Leerheit des Hauses, welche ihrem Auge nicht verborgen bleiben konnten, erregten ihr mehr Verwunderung, als große Unbehaglichkeit, und ließen sie nur auf einen grenzenlosen Mangel an Bildung und Civilisation und Lebensart bei den guten Deutschen schließen. Sie suchte sich zu beherrschen und befriedigt zu scheinen — schon um ihres Gatten willen, den sie zu verletzen fürchtete. Doch war sie freilich an hundert Dinge so gewöhnt, daß sie eine Existenz ohne dieselben gar nicht begriff, und diese Naivetät mußte Leonoren denn oft genug auf die Folter spannen. Der Verwalter und der Pfarrer waren zur Theilnahme am Souper gebeten. Verletzt durch Joseph's herrisches Benehmen, der in Gegenwart seiner Christine den Seigneur herauskehrte, waren sie schweigsam. Joseph trug die Kosten der Unterhaltung, wobei es ihm außerordentlich zu statten kam, daß seine Frau kein Deutsch und die anderen Anwesenden kein Holländisch verstanden. Er beutete diesen Umstand mit großem Geschicke aus. Wenn er einige Worte Deutsch von den Anwesenden gehört, wandte er sich zu seiner Frau und theilte ihr auf Holländisch mit, welche Berichte über die außerordentlich glänzenden Verhältnisse, Einkünfte und Vergrößerungen der Baronie Windschrot er soeben von den Beamten empfange: gleich darauf schlüpfte über seine Lippen wieder das theure heimat-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/57>, abgerufen am 18.12.2024.