Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ruhig unter seiner Hausthüre stehen sah, als ob es in der Welt nichts für ihn zu thun gäbe. Darum überschüttete er ihn mit einem Strome von Vorwürfen. Der Verwalter aber war durchaus nicht in der Laune, sich Dinge sagen zu lassen, welche so wenig Schmeichelhaftes für ihn hatten, als nur irgend Worte ausdrücken können. War es nicht genug, daß Gertrude ihm heute, während des Spazierganges der Herrschaft, in einer sehr lebhaften Debatte die Vorzüge seines äußern Menschen höchst schnippischer Weise in Frage gestellt? Und nun wollte noch dieser verlorene Sohn seine innere Würde, seinen moralischen Menschen durch liebenswürdige Aufrichtigkeiten, wie Faulenzer, ungetreuer Knecht, Schlingel u. s. w. -- antasten? Das war zu viel. Mein Herr, ich rathe Ihnen, schweigen Sie, oder ich sage Ihnen etwas -- Ich bitte dich, schweig, Joseph, sagte zitternd Leonore, die in diesem Augenblicke den Arm ihres Bruders ergriff, um ihn fortzuziehen. Schweigen soll ich? Geh, geh, Leonore, dies ist keine Scene, bei der Frauen etwas zu thun haben. Geh, ich will diesem unverschämten Menschen hier seinen Laufpaß geben. Alle Donnerwetter, brach jetzt der Verwalter los -- meinen Laufpaß geben! -- was verhindert mich, Sie noch in diesem Augenblicke aus dem Schlosse zu weisen? ruhig unter seiner Hausthüre stehen sah, als ob es in der Welt nichts für ihn zu thun gäbe. Darum überschüttete er ihn mit einem Strome von Vorwürfen. Der Verwalter aber war durchaus nicht in der Laune, sich Dinge sagen zu lassen, welche so wenig Schmeichelhaftes für ihn hatten, als nur irgend Worte ausdrücken können. War es nicht genug, daß Gertrude ihm heute, während des Spazierganges der Herrschaft, in einer sehr lebhaften Debatte die Vorzüge seines äußern Menschen höchst schnippischer Weise in Frage gestellt? Und nun wollte noch dieser verlorene Sohn seine innere Würde, seinen moralischen Menschen durch liebenswürdige Aufrichtigkeiten, wie Faulenzer, ungetreuer Knecht, Schlingel u. s. w. — antasten? Das war zu viel. Mein Herr, ich rathe Ihnen, schweigen Sie, oder ich sage Ihnen etwas — Ich bitte dich, schweig, Joseph, sagte zitternd Leonore, die in diesem Augenblicke den Arm ihres Bruders ergriff, um ihn fortzuziehen. Schweigen soll ich? Geh, geh, Leonore, dies ist keine Scene, bei der Frauen etwas zu thun haben. Geh, ich will diesem unverschämten Menschen hier seinen Laufpaß geben. Alle Donnerwetter, brach jetzt der Verwalter los — meinen Laufpaß geben! — was verhindert mich, Sie noch in diesem Augenblicke aus dem Schlosse zu weisen? <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0075"/> ruhig unter seiner Hausthüre stehen sah, als ob es in der Welt nichts für ihn zu thun gäbe. Darum überschüttete er ihn mit einem Strome von Vorwürfen. Der Verwalter aber war durchaus nicht in der Laune, sich Dinge sagen zu lassen, welche so wenig Schmeichelhaftes für ihn hatten, als nur irgend Worte ausdrücken können. War es nicht genug, daß Gertrude ihm heute, während des Spazierganges der Herrschaft, in einer sehr lebhaften Debatte die Vorzüge seines äußern Menschen höchst schnippischer Weise in Frage gestellt? Und nun wollte noch dieser verlorene Sohn seine innere Würde, seinen moralischen Menschen durch liebenswürdige Aufrichtigkeiten, wie Faulenzer, ungetreuer Knecht, Schlingel u. s. w. — antasten? Das war zu viel.</p><lb/> <p>Mein Herr, ich rathe Ihnen, schweigen Sie, oder ich sage Ihnen etwas —</p><lb/> <p>Ich bitte dich, schweig, Joseph, sagte zitternd Leonore, die in diesem Augenblicke den Arm ihres Bruders ergriff, um ihn fortzuziehen.</p><lb/> <p>Schweigen soll ich? Geh, geh, Leonore, dies ist keine Scene, bei der Frauen etwas zu thun haben. Geh, ich will diesem unverschämten Menschen hier seinen Laufpaß geben.</p><lb/> <p>Alle Donnerwetter, brach jetzt der Verwalter los — meinen Laufpaß geben! — was verhindert mich, Sie noch in diesem Augenblicke aus dem Schlosse zu weisen?</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0075]
ruhig unter seiner Hausthüre stehen sah, als ob es in der Welt nichts für ihn zu thun gäbe. Darum überschüttete er ihn mit einem Strome von Vorwürfen. Der Verwalter aber war durchaus nicht in der Laune, sich Dinge sagen zu lassen, welche so wenig Schmeichelhaftes für ihn hatten, als nur irgend Worte ausdrücken können. War es nicht genug, daß Gertrude ihm heute, während des Spazierganges der Herrschaft, in einer sehr lebhaften Debatte die Vorzüge seines äußern Menschen höchst schnippischer Weise in Frage gestellt? Und nun wollte noch dieser verlorene Sohn seine innere Würde, seinen moralischen Menschen durch liebenswürdige Aufrichtigkeiten, wie Faulenzer, ungetreuer Knecht, Schlingel u. s. w. — antasten? Das war zu viel.
Mein Herr, ich rathe Ihnen, schweigen Sie, oder ich sage Ihnen etwas —
Ich bitte dich, schweig, Joseph, sagte zitternd Leonore, die in diesem Augenblicke den Arm ihres Bruders ergriff, um ihn fortzuziehen.
Schweigen soll ich? Geh, geh, Leonore, dies ist keine Scene, bei der Frauen etwas zu thun haben. Geh, ich will diesem unverschämten Menschen hier seinen Laufpaß geben.
Alle Donnerwetter, brach jetzt der Verwalter los — meinen Laufpaß geben! — was verhindert mich, Sie noch in diesem Augenblicke aus dem Schlosse zu weisen?
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