Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Leonore stürzte auf den Verwalter zu, sie hob bittend, weinend die Hände zu ihm auf. Fräulein, es thut mir leid ihretwegen, entgegnete der Entrüstete, aber was ist das auch für ein Ansinnen! Wie können Sie mir zumuthen, ich soll die große Gefälligkeit haben, mich Halunken und weiß Gott was Alles schimpfen zu lassen? Nein, Herr Baron Joseph von Windschrot, gehen Sie, woher Sie eben angelangt sind, nach dem Lande, in dem der Pfeffer wächs't; oder suchen Sie Ihren Herrn Vater auf, der als Jacobiner und Uebelthäter zu Trier unter Dach und Fach gebracht ist. Hier haben Sie nichts zu schaffen, dies Schloß gehört dem Kurfürsten, meinem gnädigen Herrn, und nicht Sie, ich habe hier zu bestimmen, wer ein Schlingel ist! Damit wandte der Verwalter den Rücken und schlug die Thüre seines Hauses hinter sich zu. Joseph war todtenblaß; er blickte seiner Schwester ins Gesicht, aber sie sah es nicht, und es war gut, daß sie diesen Blick voll Wuth und Verzweiflung nicht sehen konnte; sie hatte die Augen geschlossen und sich schluchzend an seine Brust geflüchtet. Er führte sie ins Haus und hier warf er sich in einen Stuhl und bedeckte die Augen mit seiner Rechten. Leonore nahm seine andere Hand und so vor ihm stehend, versuchte sie endlich ihn zu trösten. Laß mich, laß mich -- sagte er -- nein, bleib Leonore stürzte auf den Verwalter zu, sie hob bittend, weinend die Hände zu ihm auf. Fräulein, es thut mir leid ihretwegen, entgegnete der Entrüstete, aber was ist das auch für ein Ansinnen! Wie können Sie mir zumuthen, ich soll die große Gefälligkeit haben, mich Halunken und weiß Gott was Alles schimpfen zu lassen? Nein, Herr Baron Joseph von Windschrot, gehen Sie, woher Sie eben angelangt sind, nach dem Lande, in dem der Pfeffer wächs't; oder suchen Sie Ihren Herrn Vater auf, der als Jacobiner und Uebelthäter zu Trier unter Dach und Fach gebracht ist. Hier haben Sie nichts zu schaffen, dies Schloß gehört dem Kurfürsten, meinem gnädigen Herrn, und nicht Sie, ich habe hier zu bestimmen, wer ein Schlingel ist! Damit wandte der Verwalter den Rücken und schlug die Thüre seines Hauses hinter sich zu. Joseph war todtenblaß; er blickte seiner Schwester ins Gesicht, aber sie sah es nicht, und es war gut, daß sie diesen Blick voll Wuth und Verzweiflung nicht sehen konnte; sie hatte die Augen geschlossen und sich schluchzend an seine Brust geflüchtet. Er führte sie ins Haus und hier warf er sich in einen Stuhl und bedeckte die Augen mit seiner Rechten. Leonore nahm seine andere Hand und so vor ihm stehend, versuchte sie endlich ihn zu trösten. Laß mich, laß mich — sagte er — nein, bleib <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <pb facs="#f0076"/> <p>Leonore stürzte auf den Verwalter zu, sie hob bittend, weinend die Hände zu ihm auf.</p><lb/> <p>Fräulein, es thut mir leid ihretwegen, entgegnete der Entrüstete, aber was ist das auch für ein Ansinnen! Wie können Sie mir zumuthen, ich soll die große Gefälligkeit haben, mich Halunken und weiß Gott was Alles schimpfen zu lassen? Nein, Herr Baron Joseph von Windschrot, gehen Sie, woher Sie eben angelangt sind, nach dem Lande, in dem der Pfeffer wächs't; oder suchen Sie Ihren Herrn Vater auf, der als Jacobiner und Uebelthäter zu Trier unter Dach und Fach gebracht ist. Hier haben Sie nichts zu schaffen, dies Schloß gehört dem Kurfürsten, meinem gnädigen Herrn, und nicht Sie, ich habe hier zu bestimmen, wer ein Schlingel ist!</p><lb/> <p>Damit wandte der Verwalter den Rücken und schlug die Thüre seines Hauses hinter sich zu.</p><lb/> <p>Joseph war todtenblaß; er blickte seiner Schwester ins Gesicht, aber sie sah es nicht, und es war gut, daß sie diesen Blick voll Wuth und Verzweiflung nicht sehen konnte; sie hatte die Augen geschlossen und sich schluchzend an seine Brust geflüchtet.</p><lb/> <p>Er führte sie ins Haus und hier warf er sich in einen Stuhl und bedeckte die Augen mit seiner Rechten. Leonore nahm seine andere Hand und so vor ihm stehend, versuchte sie endlich ihn zu trösten.</p><lb/> <p>Laß mich, laß mich — sagte er — nein, bleib<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0076]
Leonore stürzte auf den Verwalter zu, sie hob bittend, weinend die Hände zu ihm auf.
Fräulein, es thut mir leid ihretwegen, entgegnete der Entrüstete, aber was ist das auch für ein Ansinnen! Wie können Sie mir zumuthen, ich soll die große Gefälligkeit haben, mich Halunken und weiß Gott was Alles schimpfen zu lassen? Nein, Herr Baron Joseph von Windschrot, gehen Sie, woher Sie eben angelangt sind, nach dem Lande, in dem der Pfeffer wächs't; oder suchen Sie Ihren Herrn Vater auf, der als Jacobiner und Uebelthäter zu Trier unter Dach und Fach gebracht ist. Hier haben Sie nichts zu schaffen, dies Schloß gehört dem Kurfürsten, meinem gnädigen Herrn, und nicht Sie, ich habe hier zu bestimmen, wer ein Schlingel ist!
Damit wandte der Verwalter den Rücken und schlug die Thüre seines Hauses hinter sich zu.
Joseph war todtenblaß; er blickte seiner Schwester ins Gesicht, aber sie sah es nicht, und es war gut, daß sie diesen Blick voll Wuth und Verzweiflung nicht sehen konnte; sie hatte die Augen geschlossen und sich schluchzend an seine Brust geflüchtet.
Er führte sie ins Haus und hier warf er sich in einen Stuhl und bedeckte die Augen mit seiner Rechten. Leonore nahm seine andere Hand und so vor ihm stehend, versuchte sie endlich ihn zu trösten.
Laß mich, laß mich — sagte er — nein, bleib
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