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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Anblick auf mich den unauslöschlichen Eindruck machte, den die Erscheinung eines strahlenden Engels auf einen armen Sterblichen machen würde? O, antworten Sie mir, ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, antworten Sie mir!

Conde ließ ihren Arm fahren und kniete vor ihr nieder, indem er ihre Hand mit Küssen bedeckte.

Ich bitte Sie, sagte Leonore, deren Herz stille stand vor innerer Bewegung, lassen Sie uns zurückkehren -- es ist Niemand mehr im Garten, bei Allem, was Ihnen heilig ist, Herzog, lassen Sie uns zurückkehren!

Wenn Sie mich so beschwören, so muß ich gehorchen. Aber ich muß Sie einmal noch allein sprechen. Ein freundliches Wort müssen Sie mir mitsenden in den Krieg, in welchem Ihr Bild vor mir herziehen wird, wie eine zweite Jungfrau von Domremy, um mich zum Siege zu führen, zum Siege Frankreichs und seines Königs, zum Siege jener heiligen Weltordnung, der die Religion, die Jahrhunderte und die Hingebung unserer Väter ihre unantastbare Sanction verliehen haben.

Conde küßte noch einmal ihre Hand, und dann führte er sie in die Gesellschaft zurück. Als er die Thüre des kleinen Blumencabinets vor ihr offen warf, murmelte er zwischen den Zähnen:

Ma foi, il ne l'aura pas!

Leonoren kam ihr Bruder entgegengeschossen.

Ums Himmels willen, Leonore, welche Thorheit begehst du, sagte er leise, aber mit großer Heftigkeit: Graf Artois hat dreimal nach dir gefragt.

Anblick auf mich den unauslöschlichen Eindruck machte, den die Erscheinung eines strahlenden Engels auf einen armen Sterblichen machen würde? O, antworten Sie mir, ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, antworten Sie mir!

Condé ließ ihren Arm fahren und kniete vor ihr nieder, indem er ihre Hand mit Küssen bedeckte.

Ich bitte Sie, sagte Leonore, deren Herz stille stand vor innerer Bewegung, lassen Sie uns zurückkehren — es ist Niemand mehr im Garten, bei Allem, was Ihnen heilig ist, Herzog, lassen Sie uns zurückkehren!

Wenn Sie mich so beschwören, so muß ich gehorchen. Aber ich muß Sie einmal noch allein sprechen. Ein freundliches Wort müssen Sie mir mitsenden in den Krieg, in welchem Ihr Bild vor mir herziehen wird, wie eine zweite Jungfrau von Domremy, um mich zum Siege zu führen, zum Siege Frankreichs und seines Königs, zum Siege jener heiligen Weltordnung, der die Religion, die Jahrhunderte und die Hingebung unserer Väter ihre unantastbare Sanction verliehen haben.

Condé küßte noch einmal ihre Hand, und dann führte er sie in die Gesellschaft zurück. Als er die Thüre des kleinen Blumencabinets vor ihr offen warf, murmelte er zwischen den Zähnen:

Ma foi, il ne l’aura pas!

Leonoren kam ihr Bruder entgegengeschossen.

Ums Himmels willen, Leonore, welche Thorheit begehst du, sagte er leise, aber mit großer Heftigkeit: Graf Artois hat dreimal nach dir gefragt.

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[0085] Anblick auf mich den unauslöschlichen Eindruck machte, den die Erscheinung eines strahlenden Engels auf einen armen Sterblichen machen würde? O, antworten Sie mir, ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, antworten Sie mir! Condé ließ ihren Arm fahren und kniete vor ihr nieder, indem er ihre Hand mit Küssen bedeckte. Ich bitte Sie, sagte Leonore, deren Herz stille stand vor innerer Bewegung, lassen Sie uns zurückkehren — es ist Niemand mehr im Garten, bei Allem, was Ihnen heilig ist, Herzog, lassen Sie uns zurückkehren! Wenn Sie mich so beschwören, so muß ich gehorchen. Aber ich muß Sie einmal noch allein sprechen. Ein freundliches Wort müssen Sie mir mitsenden in den Krieg, in welchem Ihr Bild vor mir herziehen wird, wie eine zweite Jungfrau von Domremy, um mich zum Siege zu führen, zum Siege Frankreichs und seines Königs, zum Siege jener heiligen Weltordnung, der die Religion, die Jahrhunderte und die Hingebung unserer Väter ihre unantastbare Sanction verliehen haben. Condé küßte noch einmal ihre Hand, und dann führte er sie in die Gesellschaft zurück. Als er die Thüre des kleinen Blumencabinets vor ihr offen warf, murmelte er zwischen den Zähnen: Ma foi, il ne l’aura pas! Leonoren kam ihr Bruder entgegengeschossen. Ums Himmels willen, Leonore, welche Thorheit begehst du, sagte er leise, aber mit großer Heftigkeit: Graf Artois hat dreimal nach dir gefragt.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/85>, abgerufen am 21.11.2024.