Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Was geht mich Artois an? versetzte Leonore gereizt und wendete stolz und unwillig ihrem Bruder den Rücken. Sie hatte nie in ihrem Leben einen Augenblick gehabt, in welchem sie weniger gestimmt gewesen wäre, Vorwürfe anzuhören. Was er dich angeht? Leonore, sagte Joseph und ergriff ihre Hand, die er kräftig drückte -- keine Thorheit. Du hast allen Grund, dich gegen den Prinzen freundlich zu zeigen. Von ihm hängt das Schicksal unsers Hauses ab. Präg dir das tief ins Herz und -- sei klug! Leonore sah ihn überrascht an -- aber Joseph wandte sich ab und überließ sie einem jungen Marquis, der sie zum Tanze abholte. Als der Tanz beendet, suchte Leonore ihren Bruder wieder auf. Sie fand ihn, nachdem sie sich lange vergeblich nach ihm umgeschaut, mit Frau von Breteuil in einer Fensternische stehend. Man ist voll des besten Willens für Sie, sagte ihm die alte Dame. Sie können darauf rechnen, daß man es sich beim Kurfürsten zu einer Ehrensache machen wird. Warnen Sie Ihre Schwester nur vor Conde. Er ist ein Schalk, und es scheint mir, er beabsichtigt, dem Prinzen einen Streich zu spielen! Still, meine Schwester kommt. -- Leonore, fuhr Joseph fort, als diese herantrat, Frau von Breteuil ist von großer Freundlichkeit für uns. Es sind so viele Fremde da, daß die Equipagen nicht hinreichen, auch Was geht mich Artois an? versetzte Leonore gereizt und wendete stolz und unwillig ihrem Bruder den Rücken. Sie hatte nie in ihrem Leben einen Augenblick gehabt, in welchem sie weniger gestimmt gewesen wäre, Vorwürfe anzuhören. Was er dich angeht? Leonore, sagte Joseph und ergriff ihre Hand, die er kräftig drückte — keine Thorheit. Du hast allen Grund, dich gegen den Prinzen freundlich zu zeigen. Von ihm hängt das Schicksal unsers Hauses ab. Präg dir das tief ins Herz und — sei klug! Leonore sah ihn überrascht an — aber Joseph wandte sich ab und überließ sie einem jungen Marquis, der sie zum Tanze abholte. Als der Tanz beendet, suchte Leonore ihren Bruder wieder auf. Sie fand ihn, nachdem sie sich lange vergeblich nach ihm umgeschaut, mit Frau von Breteuil in einer Fensternische stehend. Man ist voll des besten Willens für Sie, sagte ihm die alte Dame. Sie können darauf rechnen, daß man es sich beim Kurfürsten zu einer Ehrensache machen wird. Warnen Sie Ihre Schwester nur vor Condé. Er ist ein Schalk, und es scheint mir, er beabsichtigt, dem Prinzen einen Streich zu spielen! Still, meine Schwester kommt. — Leonore, fuhr Joseph fort, als diese herantrat, Frau von Breteuil ist von großer Freundlichkeit für uns. Es sind so viele Fremde da, daß die Equipagen nicht hinreichen, auch <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <pb facs="#f0086"/> <p>Was geht mich Artois an? versetzte Leonore gereizt und wendete stolz und unwillig ihrem Bruder den Rücken. Sie hatte nie in ihrem Leben einen Augenblick gehabt, in welchem sie weniger gestimmt gewesen wäre, Vorwürfe anzuhören.</p><lb/> <p>Was er dich angeht? Leonore, sagte Joseph und ergriff ihre Hand, die er kräftig drückte — keine Thorheit. Du hast allen Grund, dich gegen den Prinzen freundlich zu zeigen. Von ihm hängt das Schicksal unsers Hauses ab. Präg dir das tief ins Herz und — sei klug!</p><lb/> <p>Leonore sah ihn überrascht an — aber Joseph wandte sich ab und überließ sie einem jungen Marquis, der sie zum Tanze abholte.</p><lb/> <p>Als der Tanz beendet, suchte Leonore ihren Bruder wieder auf. Sie fand ihn, nachdem sie sich lange vergeblich nach ihm umgeschaut, mit Frau von Breteuil in einer Fensternische stehend.</p><lb/> <p>Man ist voll des besten Willens für Sie, sagte ihm die alte Dame. Sie können darauf rechnen, daß man es sich beim Kurfürsten zu einer Ehrensache machen wird. Warnen Sie Ihre Schwester nur vor Condé. Er ist ein Schalk, und es scheint mir, er beabsichtigt, dem Prinzen einen Streich zu spielen!</p><lb/> <p>Still, meine Schwester kommt. — Leonore, fuhr Joseph fort, als diese herantrat, Frau von Breteuil ist von großer Freundlichkeit für uns. Es sind so viele Fremde da, daß die Equipagen nicht hinreichen, auch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0086]
Was geht mich Artois an? versetzte Leonore gereizt und wendete stolz und unwillig ihrem Bruder den Rücken. Sie hatte nie in ihrem Leben einen Augenblick gehabt, in welchem sie weniger gestimmt gewesen wäre, Vorwürfe anzuhören.
Was er dich angeht? Leonore, sagte Joseph und ergriff ihre Hand, die er kräftig drückte — keine Thorheit. Du hast allen Grund, dich gegen den Prinzen freundlich zu zeigen. Von ihm hängt das Schicksal unsers Hauses ab. Präg dir das tief ins Herz und — sei klug!
Leonore sah ihn überrascht an — aber Joseph wandte sich ab und überließ sie einem jungen Marquis, der sie zum Tanze abholte.
Als der Tanz beendet, suchte Leonore ihren Bruder wieder auf. Sie fand ihn, nachdem sie sich lange vergeblich nach ihm umgeschaut, mit Frau von Breteuil in einer Fensternische stehend.
Man ist voll des besten Willens für Sie, sagte ihm die alte Dame. Sie können darauf rechnen, daß man es sich beim Kurfürsten zu einer Ehrensache machen wird. Warnen Sie Ihre Schwester nur vor Condé. Er ist ein Schalk, und es scheint mir, er beabsichtigt, dem Prinzen einen Streich zu spielen!
Still, meine Schwester kommt. — Leonore, fuhr Joseph fort, als diese herantrat, Frau von Breteuil ist von großer Freundlichkeit für uns. Es sind so viele Fremde da, daß die Equipagen nicht hinreichen, auch
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Zitationshilfe: | Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/86>, abgerufen am 16.02.2025. |