Kein Baum, keine Staude -- was sage ich? kein Grashalm zeigt sich hier, weil er kein Wurzelfädchen ausrecken konnte.
Durch diese Verwüstung fährt man über eine halbe Stunde fort, und man ist, bei der Menge von Betrachtungen, die sich einem dar- bieten, wie betäubt. Auf einmal sieht man sich vor einem neuen Meere von Steinen, die an Größe alle vorigen übertreffen. So weit dem Auge zu blicken gestattet ist, erscheinen Anhöhe und Thal mit diesen, wild durch ein- ander geworfenen, in einander gerüttelten, auf einander gethürmten, über einander schweben- den, ungeheuren Felsenklumpen, für die der Zentner ein Kindergewicht ist, bestreuet und überschüttet. Bald sind sie eckigt, bald abge- rundet, bald flach, bald keilförmig; nie haben sie die Lage, die ihre Schwere sich gegeben haben würde; sie waren, als sie stürzten, in Reibung mit tausend andern die zugleich stürz- ten, und arbeiteten im Gegendrucke von tau- send andern als sie sich lagerten. Man sieht
Kein Baum, keine Staude — was ſage ich? kein Grashalm zeigt ſich hier, weil er kein Wurzelfaͤdchen ausrecken konnte.
Durch dieſe Verwuͤſtung faͤhrt man uͤber eine halbe Stunde fort, und man iſt, bei der Menge von Betrachtungen, die ſich einem dar- bieten, wie betaͤubt. Auf einmal ſieht man ſich vor einem neuen Meere von Steinen, die an Groͤße alle vorigen uͤbertreffen. So weit dem Auge zu blicken geſtattet iſt, erſcheinen Anhoͤhe und Thal mit dieſen, wild durch ein- ander geworfenen, in einander geruͤttelten, auf einander gethuͤrmten, uͤber einander ſchweben- den, ungeheuren Felſenklumpen, fuͤr die der Zentner ein Kindergewicht iſt, beſtreuet und uͤberſchuͤttet. Bald ſind ſie eckigt, bald abge- rundet, bald flach, bald keilfoͤrmig; nie haben ſie die Lage, die ihre Schwere ſich gegeben haben wuͤrde; ſie waren, als ſie ſtuͤrzten, in Reibung mit tauſend andern die zugleich ſtuͤrz- ten, und arbeiteten im Gegendrucke von tau- ſend andern als ſie ſich lagerten. Man ſieht
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Kein Baum, keine Staude — was ſage ich?
kein Grashalm zeigt ſich hier, weil er kein
Wurzelfaͤdchen ausrecken konnte.
Durch dieſe Verwuͤſtung faͤhrt man uͤber
eine halbe Stunde fort, und man iſt, bei der
Menge von Betrachtungen, die ſich einem dar-
bieten, wie betaͤubt. Auf einmal ſieht man
ſich vor einem neuen Meere von Steinen, die
an Groͤße alle vorigen uͤbertreffen. So weit
dem Auge zu blicken geſtattet iſt, erſcheinen
Anhoͤhe und Thal mit dieſen, wild durch ein-
ander geworfenen, in einander geruͤttelten, auf
einander gethuͤrmten, uͤber einander ſchweben-
den, ungeheuren Felſenklumpen, fuͤr die der
Zentner ein Kindergewicht iſt, beſtreuet und
uͤberſchuͤttet. Bald ſind ſie eckigt, bald abge-
rundet, bald flach, bald keilfoͤrmig; nie haben
ſie die Lage, die ihre Schwere ſich gegeben
haben wuͤrde; ſie waren, als ſie ſtuͤrzten, in
Reibung mit tauſend andern die zugleich ſtuͤrz-
ten, und arbeiteten im Gegendrucke von tau-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Neue Reise durch Italien" ist auch erschiene… [mehr]
Die "Neue Reise durch Italien" ist auch erschienen als 7. Heft der "Reise eines Livländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau [...] nach Bozen in Tyrol".
Schulz, Friedrich: Neue Reise durch Italien. Bd. 1, H. 1. Berlin, 1797, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_italien_1797/54>, abgerufen am 26.06.2024.
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