mönchischen Lehren vom Fasten und der Ehe- losigkeit nähert, wenn man es gut versorgten Sterblichen übel nimmt, daß sie ihrer glückli- chern Lage genießen. Die Wiener thun dies in angemessener Fülle, und werden fortfahren, es zu thun, so lange sie können, trotz ihren nördlichen Landsleuten und deren Sticheleyen, die sie für Kinder des Neides halten, so ernst- haft auch jene erklären, ihr Eifer entstehe aus wahrem Mitleid über ihr Zurückbleiben in der Religion, in der Weltweißheit und in den Künsten und Wissenschaften überhaupt. Wahr ist es, die Wiener haben nicht so viel Schrift- steller und Künstler, als manche kleine nörd- lichdeutsche Stadt; aber ihre Gelehrten sind so gut besoldet und essen so reichlich, daß sie nicht nöthig haben, Bücher zu machen; und ihre Künstler werden für ihre Arbeiten so gut belohnt, daß sie nicht in Gefahr kommen, ihre Leibes- und Geisteskräfte über Titelkupfern und Vignetten aufzuopfern, um nur ihre Nothdurft zu gewinnen.
moͤnchiſchen Lehren vom Faſten und der Ehe- loſigkeit naͤhert, wenn man es gut verſorgten Sterblichen uͤbel nimmt, daß ſie ihrer gluͤckli- chern Lage genießen. Die Wiener thun dies in angemeſſener Fuͤlle, und werden fortfahren, es zu thun, ſo lange ſie koͤnnen, trotz ihren noͤrdlichen Landsleuten und deren Sticheleyen, die ſie fuͤr Kinder des Neides halten, ſo ernſt- haft auch jene erklaͤren, ihr Eifer entſtehe aus wahrem Mitleid uͤber ihr Zuruͤckbleiben in der Religion, in der Weltweißheit und in den Kuͤnſten und Wiſſenſchaften uͤberhaupt. Wahr iſt es, die Wiener haben nicht ſo viel Schrift- ſteller und Kuͤnſtler, als manche kleine noͤrd- lichdeutſche Stadt; aber ihre Gelehrten ſind ſo gut beſoldet und eſſen ſo reichlich, daß ſie nicht noͤthig haben, Buͤcher zu machen; und ihre Kuͤnſtler werden fuͤr ihre Arbeiten ſo gut belohnt, daß ſie nicht in Gefahr kommen, ihre Leibes- und Geiſteskraͤfte uͤber Titelkupfern und Vignetten aufzuopfern, um nur ihre Nothdurft zu gewinnen.
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moͤnchiſchen Lehren vom Faſten und der Ehe-
loſigkeit naͤhert, wenn man es gut verſorgten
Sterblichen uͤbel nimmt, daß ſie ihrer gluͤckli-
chern Lage genießen. Die Wiener thun dies
in angemeſſener Fuͤlle, und werden fortfahren,
es zu thun, ſo lange ſie koͤnnen, trotz ihren
noͤrdlichen Landsleuten und deren Sticheleyen,
die ſie fuͤr Kinder des Neides halten, ſo ernſt-
haft auch jene erklaͤren, ihr Eifer entſtehe aus
wahrem Mitleid uͤber ihr Zuruͤckbleiben in der
Religion, in der Weltweißheit und in den
Kuͤnſten und Wiſſenſchaften uͤberhaupt. Wahr
iſt es, die Wiener haben nicht ſo viel Schrift-
ſteller und Kuͤnſtler, als manche kleine noͤrd-
lichdeutſche Stadt; aber ihre Gelehrten ſind
ſo gut beſoldet und eſſen ſo reichlich, daß ſie
nicht noͤthig haben, Buͤcher zu machen; und
ihre Kuͤnſtler werden fuͤr ihre Arbeiten ſo gut
belohnt, daß ſie nicht in Gefahr kommen, ihre
Leibes- und Geiſteskraͤfte uͤber Titelkupfern und
Vignetten aufzuopfern, um nur ihre Nothdurft
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/462>, abgerufen am 22.11.2024.
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