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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

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hatten die heißesten Sommertage, aber Nach-
mittags um 4 Uhr drängte man sich schon,
auf Gefahr seiner Glieder, ins Theater, stand
bis zehn Uhr Mann an Mann auf Einem
Flecke, und sah erst mit Ungeduld und Wi-
derwillen ein langweiliges Stück aufführen,
um dann den fünf Minuten langen Rausch,
immer dasselbe "pas-de-deux" zu sehen,
unermüdlich zu genießen. In dieser folterar-
tigen Stellung sahe man selbst Damen im
Parterre; und doch gieng alles, was heute
Zuschauer gewesen war, morgen von neuem
wieder hin.

Das Ballet nahm seinen Anfang. Die
eigentlichen Tänzer arbeiteten nach Vermögen.
Man sah sie nicht. Alle Augen waren nach
den Koulissen gerichtet, aus denen die beyden
Hauptpersonen herausschweben sollten. Machte
die Musik des Ballets eine Pause, sprangen
die Figuranten auf die Seite: so entstand
plötzlich eine allgemeine Stille; alle Gesichter
erheiterten sich; man hob sich auf die Zehen

hatten die heißeſten Sommertage, aber Nach-
mittags um 4 Uhr draͤngte man ſich ſchon,
auf Gefahr ſeiner Glieder, ins Theater, ſtand
bis zehn Uhr Mann an Mann auf Einem
Flecke, und ſah erſt mit Ungeduld und Wi-
derwillen ein langweiliges Stuͤck auffuͤhren,
um dann den fuͤnf Minuten langen Rauſch,
immer daſſelbe „pas-de-deux“ zu ſehen,
unermuͤdlich zu genießen. In dieſer folterar-
tigen Stellung ſahe man ſelbſt Damen im
Parterre; und doch gieng alles, was heute
Zuſchauer geweſen war, morgen von neuem
wieder hin.

Das Ballet nahm ſeinen Anfang. Die
eigentlichen Taͤnzer arbeiteten nach Vermoͤgen.
Man ſah ſie nicht. Alle Augen waren nach
den Kouliſſen gerichtet, aus denen die beyden
Hauptperſonen herausſchweben ſollten. Machte
die Muſik des Ballets eine Pauſe, ſprangen
die Figuranten auf die Seite: ſo entſtand
ploͤtzlich eine allgemeine Stille; alle Geſichter
erheiterten ſich; man hob ſich auf die Zehen

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[199/0471] hatten die heißeſten Sommertage, aber Nach- mittags um 4 Uhr draͤngte man ſich ſchon, auf Gefahr ſeiner Glieder, ins Theater, ſtand bis zehn Uhr Mann an Mann auf Einem Flecke, und ſah erſt mit Ungeduld und Wi- derwillen ein langweiliges Stuͤck auffuͤhren, um dann den fuͤnf Minuten langen Rauſch, immer daſſelbe „pas-de-deux“ zu ſehen, unermuͤdlich zu genießen. In dieſer folterar- tigen Stellung ſahe man ſelbſt Damen im Parterre; und doch gieng alles, was heute Zuſchauer geweſen war, morgen von neuem wieder hin. Das Ballet nahm ſeinen Anfang. Die eigentlichen Taͤnzer arbeiteten nach Vermoͤgen. Man ſah ſie nicht. Alle Augen waren nach den Kouliſſen gerichtet, aus denen die beyden Hauptperſonen herausſchweben ſollten. Machte die Muſik des Ballets eine Pauſe, ſprangen die Figuranten auf die Seite: ſo entſtand ploͤtzlich eine allgemeine Stille; alle Geſichter erheiterten ſich; man hob ſich auf die Zehen

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/471>, abgerufen am 22.11.2024.