die aber jämmerlich werden, wenn Kasperl den Einfall hat, ernsthafte, edle Stücke, oder die gewöhnlichen Ritterschauspiele zu geben: ein Einfall, den er jetzt oft bekömmt, und der seinem Theater über kurz oder lang schaden wird, weil es dadurch einen gewissen zwey- deutigen Charakter von schlechtem und besserem Geschmack bekömmt, der mir, als ich es dieß- mal besuchte, aufgefallen ist. Wien bedarf, bey der Gemüthsart seiner Bewohner, eine Bühne, wo Witz, Laune und selbst Sinnlich- keit etwas mehr wagen kann, als sich ein großes Theater billiger- und vernünftigerweise erlauben soll; und das Marinelli'sche wäre übrigens ganz dazu gemacht. Kasperl, seiner Rolle nach, ein oberösterreichischer Bauer, der feig, gefräßig, furchtsam, geschwätzig, verliebt, aber auch ein loses Maul und ein satyrischer Kopf ist, wäre, wenn man ihm noch ein paar andre dahin passende Züge unterlegte, vorzüg- lich geschickt, die Lächerlichkeiten und Verkehrt- heiten einer großen, üppigen Stadt sehr an-
O 2
die aber jaͤmmerlich werden, wenn Kaſperl den Einfall hat, ernſthafte, edle Stuͤcke, oder die gewoͤhnlichen Ritterſchauſpiele zu geben: ein Einfall, den er jetzt oft bekoͤmmt, und der ſeinem Theater uͤber kurz oder lang ſchaden wird, weil es dadurch einen gewiſſen zwey- deutigen Charakter von ſchlechtem und beſſerem Geſchmack bekoͤmmt, der mir, als ich es dieß- mal beſuchte, aufgefallen iſt. Wien bedarf, bey der Gemuͤthsart ſeiner Bewohner, eine Buͤhne, wo Witz, Laune und ſelbſt Sinnlich- keit etwas mehr wagen kann, als ſich ein großes Theater billiger- und vernuͤnftigerweiſe erlauben ſoll; und das Marinelli'ſche waͤre uͤbrigens ganz dazu gemacht. Kaſperl, ſeiner Rolle nach, ein oberoͤſterreichiſcher Bauer, der feig, gefraͤßig, furchtſam, geſchwaͤtzig, verliebt, aber auch ein loſes Maul und ein ſatyriſcher Kopf iſt, waͤre, wenn man ihm noch ein paar andre dahin paſſende Zuͤge unterlegte, vorzuͤg- lich geſchickt, die Laͤcherlichkeiten und Verkehrt- heiten einer großen, uͤppigen Stadt ſehr an-
O 2
<TEI><text><body><div><floatingText><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0483"n="211"/>
die aber jaͤmmerlich werden, wenn Kaſperl den<lb/>
Einfall hat, ernſthafte, edle Stuͤcke, oder die<lb/>
gewoͤhnlichen Ritterſchauſpiele zu geben: ein<lb/>
Einfall, den er jetzt oft bekoͤmmt, und der<lb/>ſeinem Theater uͤber kurz oder lang ſchaden<lb/>
wird, weil es dadurch einen gewiſſen zwey-<lb/>
deutigen Charakter von ſchlechtem und beſſerem<lb/>
Geſchmack bekoͤmmt, der mir, als ich es dieß-<lb/>
mal beſuchte, aufgefallen iſt. Wien bedarf,<lb/>
bey der Gemuͤthsart ſeiner Bewohner, eine<lb/>
Buͤhne, wo Witz, Laune und ſelbſt Sinnlich-<lb/>
keit etwas mehr wagen kann, als ſich ein<lb/>
großes Theater billiger- und vernuͤnftigerweiſe<lb/>
erlauben ſoll; und das Marinelli'ſche waͤre<lb/>
uͤbrigens ganz dazu gemacht. Kaſperl, ſeiner<lb/>
Rolle nach, ein oberoͤſterreichiſcher Bauer, der<lb/>
feig, gefraͤßig, furchtſam, geſchwaͤtzig, verliebt,<lb/>
aber auch ein loſes Maul und ein ſatyriſcher<lb/>
Kopf iſt, waͤre, wenn man ihm noch ein paar<lb/>
andre dahin paſſende Zuͤge unterlegte, vorzuͤg-<lb/>
lich geſchickt, die Laͤcherlichkeiten und Verkehrt-<lb/>
heiten einer großen, uͤppigen Stadt ſehr an-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 2</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></body></text></TEI>
[211/0483]
die aber jaͤmmerlich werden, wenn Kaſperl den
Einfall hat, ernſthafte, edle Stuͤcke, oder die
gewoͤhnlichen Ritterſchauſpiele zu geben: ein
Einfall, den er jetzt oft bekoͤmmt, und der
ſeinem Theater uͤber kurz oder lang ſchaden
wird, weil es dadurch einen gewiſſen zwey-
deutigen Charakter von ſchlechtem und beſſerem
Geſchmack bekoͤmmt, der mir, als ich es dieß-
mal beſuchte, aufgefallen iſt. Wien bedarf,
bey der Gemuͤthsart ſeiner Bewohner, eine
Buͤhne, wo Witz, Laune und ſelbſt Sinnlich-
keit etwas mehr wagen kann, als ſich ein
großes Theater billiger- und vernuͤnftigerweiſe
erlauben ſoll; und das Marinelli'ſche waͤre
uͤbrigens ganz dazu gemacht. Kaſperl, ſeiner
Rolle nach, ein oberoͤſterreichiſcher Bauer, der
feig, gefraͤßig, furchtſam, geſchwaͤtzig, verliebt,
aber auch ein loſes Maul und ein ſatyriſcher
Kopf iſt, waͤre, wenn man ihm noch ein paar
andre dahin paſſende Zuͤge unterlegte, vorzuͤg-
lich geſchickt, die Laͤcherlichkeiten und Verkehrt-
heiten einer großen, uͤppigen Stadt ſehr an-
O 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/483>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.