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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

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die aber jämmerlich werden, wenn Kasperl den
Einfall hat, ernsthafte, edle Stücke, oder die
gewöhnlichen Ritterschauspiele zu geben: ein
Einfall, den er jetzt oft bekömmt, und der
seinem Theater über kurz oder lang schaden
wird, weil es dadurch einen gewissen zwey-
deutigen Charakter von schlechtem und besserem
Geschmack bekömmt, der mir, als ich es dieß-
mal besuchte, aufgefallen ist. Wien bedarf,
bey der Gemüthsart seiner Bewohner, eine
Bühne, wo Witz, Laune und selbst Sinnlich-
keit etwas mehr wagen kann, als sich ein
großes Theater billiger- und vernünftigerweise
erlauben soll; und das Marinelli'sche wäre
übrigens ganz dazu gemacht. Kasperl, seiner
Rolle nach, ein oberösterreichischer Bauer, der
feig, gefräßig, furchtsam, geschwätzig, verliebt,
aber auch ein loses Maul und ein satyrischer
Kopf ist, wäre, wenn man ihm noch ein paar
andre dahin passende Züge unterlegte, vorzüg-
lich geschickt, die Lächerlichkeiten und Verkehrt-
heiten einer großen, üppigen Stadt sehr an-

O 2

die aber jaͤmmerlich werden, wenn Kaſperl den
Einfall hat, ernſthafte, edle Stuͤcke, oder die
gewoͤhnlichen Ritterſchauſpiele zu geben: ein
Einfall, den er jetzt oft bekoͤmmt, und der
ſeinem Theater uͤber kurz oder lang ſchaden
wird, weil es dadurch einen gewiſſen zwey-
deutigen Charakter von ſchlechtem und beſſerem
Geſchmack bekoͤmmt, der mir, als ich es dieß-
mal beſuchte, aufgefallen iſt. Wien bedarf,
bey der Gemuͤthsart ſeiner Bewohner, eine
Buͤhne, wo Witz, Laune und ſelbſt Sinnlich-
keit etwas mehr wagen kann, als ſich ein
großes Theater billiger- und vernuͤnftigerweiſe
erlauben ſoll; und das Marinelli'ſche waͤre
uͤbrigens ganz dazu gemacht. Kaſperl, ſeiner
Rolle nach, ein oberoͤſterreichiſcher Bauer, der
feig, gefraͤßig, furchtſam, geſchwaͤtzig, verliebt,
aber auch ein loſes Maul und ein ſatyriſcher
Kopf iſt, waͤre, wenn man ihm noch ein paar
andre dahin paſſende Zuͤge unterlegte, vorzuͤg-
lich geſchickt, die Laͤcherlichkeiten und Verkehrt-
heiten einer großen, uͤppigen Stadt ſehr an-

O 2
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[211/0483] die aber jaͤmmerlich werden, wenn Kaſperl den Einfall hat, ernſthafte, edle Stuͤcke, oder die gewoͤhnlichen Ritterſchauſpiele zu geben: ein Einfall, den er jetzt oft bekoͤmmt, und der ſeinem Theater uͤber kurz oder lang ſchaden wird, weil es dadurch einen gewiſſen zwey- deutigen Charakter von ſchlechtem und beſſerem Geſchmack bekoͤmmt, der mir, als ich es dieß- mal beſuchte, aufgefallen iſt. Wien bedarf, bey der Gemuͤthsart ſeiner Bewohner, eine Buͤhne, wo Witz, Laune und ſelbſt Sinnlich- keit etwas mehr wagen kann, als ſich ein großes Theater billiger- und vernuͤnftigerweiſe erlauben ſoll; und das Marinelli'ſche waͤre uͤbrigens ganz dazu gemacht. Kaſperl, ſeiner Rolle nach, ein oberoͤſterreichiſcher Bauer, der feig, gefraͤßig, furchtſam, geſchwaͤtzig, verliebt, aber auch ein loſes Maul und ein ſatyriſcher Kopf iſt, waͤre, wenn man ihm noch ein paar andre dahin paſſende Zuͤge unterlegte, vorzuͤg- lich geſchickt, die Laͤcherlichkeiten und Verkehrt- heiten einer großen, uͤppigen Stadt ſehr an- O 2

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/483>, abgerufen am 22.11.2024.