Gerüst auf einem langen Saale aufschlagen müssen, der ziemlich niedrig war, und mich an das Theater der Drey Rosen, in der Wills- drufer Vorstadt bey Dresden, erinnerte. Viel- leicht wäre mir diese Gesellschaft minder gut vorgekommen, wenn mir die letzten Vorstellun- gen, die ich auf deutschen Bühnen gesehen, minder mißfallen hätten. In der That, diese Leute hatten doch Anstand, Ton und Leichtig- keit; konnten doch, wie Leute von Erziehung, gehen, stehen und sich setzen; und hatten ihre Rollen so gefaßt und gelernt, daß sie dieselben passend und höchst geläufig zu geben verstanden. Auch die Zuschauer ihrerseits waren schon nicht mehr so wunderlich deutsch gesinnt, daß sie ihren Beyfall ängstlich zurück gehalten, daß sie nicht von ganzem Herzen gelacht hätten, wenn etwas Lächerliches vorkam, und daß sie nicht jeden kleinen gefallenden Zug herausgehoben und dem Dichter, wie dem Schauspieler, jedem was ihm gebührte, zugetheilt haben sollten. In der That, die Deutschen, besonders die Niederdeutschen, sind zu feyerliche Schauspieler und Schauspielliebhaber; und mir scheint es, als ob sie die alten protestantisch-theologischen
Sechstes Heft. U
Geruͤſt auf einem langen Saale aufſchlagen muͤſſen, der ziemlich niedrig war, und mich an das Theater der Drey Roſen, in der Wills- drufer Vorſtadt bey Dresden, erinnerte. Viel- leicht waͤre mir dieſe Geſellſchaft minder gut vorgekommen, wenn mir die letzten Vorſtellun- gen, die ich auf deutſchen Buͤhnen geſehen, minder mißfallen haͤtten. In der That, dieſe Leute hatten doch Anſtand, Ton und Leichtig- keit; konnten doch, wie Leute von Erziehung, gehen, ſtehen und ſich ſetzen; und hatten ihre Rollen ſo gefaßt und gelernt, daß ſie dieſelben paſſend und hoͤchſt gelaͤufig zu geben verſtanden. Auch die Zuſchauer ihrerſeits waren ſchon nicht mehr ſo wunderlich deutſch geſinnt, daß ſie ihren Beyfall aͤngſtlich zuruͤck gehalten, daß ſie nicht von ganzem Herzen gelacht haͤtten, wenn etwas Laͤcherliches vorkam, und daß ſie nicht jeden kleinen gefallenden Zug herausgehoben und dem Dichter, wie dem Schauſpieler, jedem was ihm gebuͤhrte, zugetheilt haben ſollten. In der That, die Deutſchen, beſonders die Niederdeutſchen, ſind zu feyerliche Schauſpieler und Schauſpielliebhaber; und mir ſcheint es, als ob ſie die alten proteſtantiſch-theologiſchen
Sechstes Heft. U
<TEI><text><body><div><floatingText><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0577"n="305"/>
Geruͤſt auf einem langen Saale aufſchlagen<lb/>
muͤſſen, der ziemlich niedrig war, und mich an<lb/>
das Theater der <hirendition="#g">Drey Roſen</hi>, in der Wills-<lb/>
drufer Vorſtadt bey Dresden, erinnerte. Viel-<lb/>
leicht waͤre mir dieſe Geſellſchaft minder gut<lb/>
vorgekommen, wenn mir die letzten Vorſtellun-<lb/>
gen, die ich auf deutſchen Buͤhnen geſehen,<lb/>
minder mißfallen haͤtten. In der That, dieſe<lb/>
Leute hatten doch Anſtand, Ton und Leichtig-<lb/>
keit; konnten doch, wie Leute von Erziehung,<lb/>
gehen, ſtehen und ſich ſetzen; und hatten ihre<lb/>
Rollen ſo gefaßt und gelernt, daß ſie dieſelben<lb/>
paſſend und hoͤchſt gelaͤufig zu geben verſtanden.<lb/>
Auch die Zuſchauer ihrerſeits waren ſchon nicht<lb/>
mehr ſo wunderlich deutſch geſinnt, daß ſie<lb/>
ihren Beyfall aͤngſtlich zuruͤck gehalten, daß ſie<lb/>
nicht von ganzem Herzen gelacht haͤtten, wenn<lb/>
etwas Laͤcherliches vorkam, und daß ſie nicht<lb/>
jeden kleinen gefallenden Zug herausgehoben<lb/>
und dem Dichter, wie dem Schauſpieler, jedem<lb/>
was ihm gebuͤhrte, zugetheilt haben ſollten.<lb/>
In der That, die Deutſchen, beſonders die<lb/>
Niederdeutſchen, ſind zu feyerliche Schauſpieler<lb/>
und Schauſpielliebhaber; und mir ſcheint es,<lb/>
als ob ſie die alten proteſtantiſch-theologiſchen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Sechstes Heft. U</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></body></text></TEI>
[305/0577]
Geruͤſt auf einem langen Saale aufſchlagen
muͤſſen, der ziemlich niedrig war, und mich an
das Theater der Drey Roſen, in der Wills-
drufer Vorſtadt bey Dresden, erinnerte. Viel-
leicht waͤre mir dieſe Geſellſchaft minder gut
vorgekommen, wenn mir die letzten Vorſtellun-
gen, die ich auf deutſchen Buͤhnen geſehen,
minder mißfallen haͤtten. In der That, dieſe
Leute hatten doch Anſtand, Ton und Leichtig-
keit; konnten doch, wie Leute von Erziehung,
gehen, ſtehen und ſich ſetzen; und hatten ihre
Rollen ſo gefaßt und gelernt, daß ſie dieſelben
paſſend und hoͤchſt gelaͤufig zu geben verſtanden.
Auch die Zuſchauer ihrerſeits waren ſchon nicht
mehr ſo wunderlich deutſch geſinnt, daß ſie
ihren Beyfall aͤngſtlich zuruͤck gehalten, daß ſie
nicht von ganzem Herzen gelacht haͤtten, wenn
etwas Laͤcherliches vorkam, und daß ſie nicht
jeden kleinen gefallenden Zug herausgehoben
und dem Dichter, wie dem Schauſpieler, jedem
was ihm gebuͤhrte, zugetheilt haben ſollten.
In der That, die Deutſchen, beſonders die
Niederdeutſchen, ſind zu feyerliche Schauſpieler
und Schauſpielliebhaber; und mir ſcheint es,
als ob ſie die alten proteſtantiſch-theologiſchen
Sechstes Heft. U
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/577>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.