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Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.

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W. SCHULZE:


1897--1901). Mag man im einzelnen noch so oft zweifeln und anstoßen,
der Eindruck des Ganzen bleibt imponierend, weil man je länger, je stärker
hinter dem geringfügigsten Detail die lebendige Kraft einer geschlossenen,
Kleines wie Großes, Nahes und Fernes in ihren Dienst zwingenden Konzep-
tion zu spüren bekommt. Die Idee der pankeltischen Philologie, getragen
von stets bereiter, scheinbar müheloser Beherrschung alles Stofflichen, gibt
jeder einzelnen Frage Zusammenhang und Hintergrund. Überall zeigen die
grammatischen Deduktionen über Wortgebrauch und Etymologie die durch
keinen Bücherstaub gebleichte Farbe unmittelbarer Anschauung, der An-
schauung gegenwärtigen und vergangenen Lebens, der die Erinnerung an
irische Bauernsitte ebenso selbstverständlich wie die Kenntnis mittelalter-
licher Beichtpraxis zu einem Mittel des philologischen Verständnisses wird.
Und wie wirksam weiß Zimmer umgekehrt den Wandel der Zeiten und An-
schauungen, den Gegensatz der unabhängigen irischen Kirche und der unter
die Herrschaft Roms gebeugten an der Bedeutungsgeschichte etwa des
Wortes crabud zu demonstrieren, das zuerst fides, religio, dann Kasteiung
und Abtötung bedeutet (Zeitschrift für Deutsches Altertum 33, 303)!
Da Zimmers Plan eines durch das wichtigste mittelirische Material
erweiterten Altirischen Wörterbuches mit Ascolis Arbeiten und Zukunfts-
dispositionen kollidierte, erfolgt um die Mitte der achtziger Jahre eine ent-
schiedenere Hinwendung zu literargeschichtlichen Forschungen, die durch
die umfängliche Studie 'Über den kompilatorischen Charakter der irischen
Sagentexte im sogenannten Lebor na hUidre' (Zeitschrift für vergleichende
Sprachforschung 28, 467--689: 18. Okt. 1886) eingeleitet wurden. Immer
wieder hat er die bedeutendsten Dokumente der irischen Heldensage mit vor-
geschritteneren Studenten oder jüngeren, meist ausländischen Gelehrten, die
zur Förderung ihrer keltischen Studien seinen Unterricht suchten, manches
Mal unter Drangabe seiner Ferienmuße, durchgearbeitet und war dabei zu
einer Gesamtauffassung ihrer Überlieferungsgeschichte gelangt, die den Hin-
tergrund abgibt für die großen Untersuchungen über nordgermanische Ein-
flüsse auf irische Sagenbildung und Sagentradition (Zeitschrift für Deutsches
Altertum 32, 1888, und 35, 1891; vgl. auch Göttingische Gelehrte Anzeigen
1887, 185). Hier wird die Sage, deren Entwickelung "von den ältesten Auf-
zeichnungen bis in die romanzenhaften Erzählungen, die heutigen Tages im
Westen und Süden Irlands umgehen", schon früh sein Interesse in Anspruch
genommen (Deutsche Literaturzeitung 1881, 201), zu einem "Spiegel irischer


W. SCHULZE:


1897—1901). Mag man im einzelnen noch so oft zweifeln und anstoßen,
der Eindruck des Ganzen bleibt imponierend, weil man je länger, je stärker
hinter dem geringfügigsten Detail die lebendige Kraft einer geschlossenen,
Kleines wie Großes, Nahes und Fernes in ihren Dienst zwingenden Konzep-
tion zu spüren bekommt. Die Idee der pankeltischen Philologie, getragen
von stets bereiter, scheinbar müheloser Beherrschung alles Stofflichen, gibt
jeder einzelnen Frage Zusammenhang und Hintergrund. Überall zeigen die
grammatischen Deduktionen über Wortgebrauch und Etymologie die durch
keinen Bücherstaub gebleichte Farbe unmittelbarer Anschauung, der An-
schauung gegenwärtigen und vergangenen Lebens, der die Erinnerung an
irische Bauernsitte ebenso selbstverständlich wie die Kenntnis mittelalter-
licher Beichtpraxis zu einem Mittel des philologischen Verständnisses wird.
Und wie wirksam weiß Zimmer umgekehrt den Wandel der Zeiten und An-
schauungen, den Gegensatz der unabhängigen irischen Kirche und der unter
die Herrschaft Roms gebeugten an der Bedeutungsgeschichte etwa des
Wortes crabud zu demonstrieren, das zuerst fides, religio, dann Kasteiung
und Abtötung bedeutet (Zeitschrift für Deutsches Altertum 33, 303)!
Da Zimmers Plan eines durch das wichtigste mittelirische Material
erweiterten Altirischen Wörterbuches mit Ascolis Arbeiten und Zukunfts-
dispositionen kollidierte, erfolgt um die Mitte der achtziger Jahre eine ent-
schiedenere Hinwendung zu literargeschichtlichen Forschungen, die durch
die umfängliche Studie ‘Über den kompilatorischen Charakter der irischen
Sagentexte im sogenannten Lebor na hUidre’ (Zeitschrift für vergleichende
Sprachforschung 28, 467—689: 18. Okt. 1886) eingeleitet wurden. Immer
wieder hat er die bedeutendsten Dokumente der irischen Heldensage mit vor-
geschritteneren Studenten oder jüngeren, meist ausländischen Gelehrten, die
zur Förderung ihrer keltischen Studien seinen Unterricht suchten, manches
Mal unter Drangabe seiner Ferienmuße, durchgearbeitet und war dabei zu
einer Gesamtauffassung ihrer Überlieferungsgeschichte gelangt, die den Hin-
tergrund abgibt für die großen Untersuchungen über nordgermanische Ein-
flüsse auf irische Sagenbildung und Sagentradition (Zeitschrift für Deutsches
Altertum 32, 1888, und 35, 1891; vgl. auch Göttingische Gelehrte Anzeigen
1887, 185). Hier wird die Sage, deren Entwickelung »von den ältesten Auf-
zeichnungen bis in die romanzenhaften Erzählungen, die heutigen Tages im
Westen und Süden Irlands umgehen«, schon früh sein Interesse in Anspruch
genommen (Deutsche Literaturzeitung 1881, 201), zu einem »Spiegel irischer

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[14/0014] W. SCHULZE: 1897—1901). Mag man im einzelnen noch so oft zweifeln und anstoßen, der Eindruck des Ganzen bleibt imponierend, weil man je länger, je stärker hinter dem geringfügigsten Detail die lebendige Kraft einer geschlossenen, Kleines wie Großes, Nahes und Fernes in ihren Dienst zwingenden Konzep- tion zu spüren bekommt. Die Idee der pankeltischen Philologie, getragen von stets bereiter, scheinbar müheloser Beherrschung alles Stofflichen, gibt jeder einzelnen Frage Zusammenhang und Hintergrund. Überall zeigen die grammatischen Deduktionen über Wortgebrauch und Etymologie die durch keinen Bücherstaub gebleichte Farbe unmittelbarer Anschauung, der An- schauung gegenwärtigen und vergangenen Lebens, der die Erinnerung an irische Bauernsitte ebenso selbstverständlich wie die Kenntnis mittelalter- licher Beichtpraxis zu einem Mittel des philologischen Verständnisses wird. Und wie wirksam weiß Zimmer umgekehrt den Wandel der Zeiten und An- schauungen, den Gegensatz der unabhängigen irischen Kirche und der unter die Herrschaft Roms gebeugten an der Bedeutungsgeschichte etwa des Wortes crabud zu demonstrieren, das zuerst fides, religio, dann Kasteiung und Abtötung bedeutet (Zeitschrift für Deutsches Altertum 33, 303)! Da Zimmers Plan eines durch das wichtigste mittelirische Material erweiterten Altirischen Wörterbuches mit Ascolis Arbeiten und Zukunfts- dispositionen kollidierte, erfolgt um die Mitte der achtziger Jahre eine ent- schiedenere Hinwendung zu literargeschichtlichen Forschungen, die durch die umfängliche Studie ‘Über den kompilatorischen Charakter der irischen Sagentexte im sogenannten Lebor na hUidre’ (Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 28, 467—689: 18. Okt. 1886) eingeleitet wurden. Immer wieder hat er die bedeutendsten Dokumente der irischen Heldensage mit vor- geschritteneren Studenten oder jüngeren, meist ausländischen Gelehrten, die zur Förderung ihrer keltischen Studien seinen Unterricht suchten, manches Mal unter Drangabe seiner Ferienmuße, durchgearbeitet und war dabei zu einer Gesamtauffassung ihrer Überlieferungsgeschichte gelangt, die den Hin- tergrund abgibt für die großen Untersuchungen über nordgermanische Ein- flüsse auf irische Sagenbildung und Sagentradition (Zeitschrift für Deutsches Altertum 32, 1888, und 35, 1891; vgl. auch Göttingische Gelehrte Anzeigen 1887, 185). Hier wird die Sage, deren Entwickelung »von den ältesten Auf- zeichnungen bis in die romanzenhaften Erzählungen, die heutigen Tages im Westen und Süden Irlands umgehen«, schon früh sein Interesse in Anspruch genommen (Deutsche Literaturzeitung 1881, 201), zu einem »Spiegel irischer

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Zitationshilfe: Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulze_zimmer_1911/14>, abgerufen am 23.11.2024.