Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0017" n="17"/> <p><lb/> Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. 15</p> <p><lb/> Im ganzen indess hat ihn, von der Sprache abgesehen, an den Erzeugnissen<lb/> keltischer Literaturen das Stoffliche immer lebhafter interessiert als die Form.<lb/> Von dem tapferen Führer der Briten gegen Angeln und Sachsen, dem<lb/> dux bellorum Arthur, meldet die Historia Brittonum des Nennius, deren<lb/> verworrenen Inhalt Zimmer in verschiedenen Anläufen, äußeren Anregungen<lb/> Müllenhoffs (1880/81) und Theodor Mommsens (1892) folgend, für die<lb/> geschichtliche Forschung benutzbar zu machen mit seltener, keine Schwierig-<lb/> keit umgehender Energie bemüht gewesen ist. Für die Ausgabe in den<lb/> Chronica minora hat er den irischen Zweig der Überlieferung bearbeitet, in<lb/> seinem Nennius vindicatus (1893) allen Problemen der Analyse und Quellen-<lb/> forschung eine tiefschürfende Untersuchung zuteil werden lassen, voll reichen<lb/> Ertrages für die Geschichte der keltischen Literaturen, der Völkerbeziehungen<lb/> und Kulturzusammenhänge auf den britischen Inseln. Eine starke Kraft<lb/> konstruktiver Phantasie sehen wir am Werk, aus den vielfach zerschlagenen<lb/> und durcheinandergeworfenen Trümmern der Überlieferung einen in sich<lb/> lückenlos geschlossenen Bau wieder aufzurichten. Bis in alle Einzelheiten<lb/> wird die Geschichte des Buches, durch alle Phasen seines wechselvollen<lb/> Schicksals, rekonstruiert und nacherzählt, wobei es denn freilich nicht hat<lb/> ausbleiben können, daß die Tragfähigkeit der die Rekonstruktion stützenden<lb/> Kombinationen zuweilen überschätzt und die Zusammenfügung der aneinander-<lb/> passenden Werkstücke verfehlt worden ist. Doch als Theodor Mommsen<lb/> an einem entscheidenden Punkte den Nachweis erbrachte, daß das Zeugnis<lb/> einer von Zimmer nicht ausreichend gewerteten wichtigen Handschrift die<lb/> Grundlagen der Rekonstruktion verschiebe, bekannte er zugleich: ‘Zu den<lb/> Verdiensten, die der geschichtlichen Forschung durch mich erwachsen sind,<lb/> werde ich immer dasjenige zählen, daß Heinrich Zimmers Nennius vindi-<lb/> catus vielleicht nicht erschienen wäre, wenn nicht meine durch die Arbeiten<lb/> für die Monumenta Germaniae historica veranlaßten Anfragen und Wünsche<lb/> diesem Werke zum Hebel geworden wären. Denn darüber wird kaum eine<lb/> Meinungsverschiedenheit bestehen, daß dies Buch uns den geschichtlichen<lb/> Horizont erweitert und in dem Kreis derjenigen Forschung, die von dem<lb/> untergehenden Römerstaat zu den Anfängen der Neuzeit die Brücke finden<lb/> möchte, die Zweige des Keltentums zu rechter Geltung gebracht hat’ (Neues<lb/> Archiv 19, 285).<lb/> Das niemals aussetzende Studium der irischen Heldensage führte einen<lb/> Forscher wie Zimmer, der jedes Problem in seinem Kerne zu erfassen</p> </div> </body> </text> </TEI> [17/0017]
Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. 15
Im ganzen indess hat ihn, von der Sprache abgesehen, an den Erzeugnissen
keltischer Literaturen das Stoffliche immer lebhafter interessiert als die Form.
Von dem tapferen Führer der Briten gegen Angeln und Sachsen, dem
dux bellorum Arthur, meldet die Historia Brittonum des Nennius, deren
verworrenen Inhalt Zimmer in verschiedenen Anläufen, äußeren Anregungen
Müllenhoffs (1880/81) und Theodor Mommsens (1892) folgend, für die
geschichtliche Forschung benutzbar zu machen mit seltener, keine Schwierig-
keit umgehender Energie bemüht gewesen ist. Für die Ausgabe in den
Chronica minora hat er den irischen Zweig der Überlieferung bearbeitet, in
seinem Nennius vindicatus (1893) allen Problemen der Analyse und Quellen-
forschung eine tiefschürfende Untersuchung zuteil werden lassen, voll reichen
Ertrages für die Geschichte der keltischen Literaturen, der Völkerbeziehungen
und Kulturzusammenhänge auf den britischen Inseln. Eine starke Kraft
konstruktiver Phantasie sehen wir am Werk, aus den vielfach zerschlagenen
und durcheinandergeworfenen Trümmern der Überlieferung einen in sich
lückenlos geschlossenen Bau wieder aufzurichten. Bis in alle Einzelheiten
wird die Geschichte des Buches, durch alle Phasen seines wechselvollen
Schicksals, rekonstruiert und nacherzählt, wobei es denn freilich nicht hat
ausbleiben können, daß die Tragfähigkeit der die Rekonstruktion stützenden
Kombinationen zuweilen überschätzt und die Zusammenfügung der aneinander-
passenden Werkstücke verfehlt worden ist. Doch als Theodor Mommsen
an einem entscheidenden Punkte den Nachweis erbrachte, daß das Zeugnis
einer von Zimmer nicht ausreichend gewerteten wichtigen Handschrift die
Grundlagen der Rekonstruktion verschiebe, bekannte er zugleich: ‘Zu den
Verdiensten, die der geschichtlichen Forschung durch mich erwachsen sind,
werde ich immer dasjenige zählen, daß Heinrich Zimmers Nennius vindi-
catus vielleicht nicht erschienen wäre, wenn nicht meine durch die Arbeiten
für die Monumenta Germaniae historica veranlaßten Anfragen und Wünsche
diesem Werke zum Hebel geworden wären. Denn darüber wird kaum eine
Meinungsverschiedenheit bestehen, daß dies Buch uns den geschichtlichen
Horizont erweitert und in dem Kreis derjenigen Forschung, die von dem
untergehenden Römerstaat zu den Anfängen der Neuzeit die Brücke finden
möchte, die Zweige des Keltentums zu rechter Geltung gebracht hat’ (Neues
Archiv 19, 285).
Das niemals aussetzende Studium der irischen Heldensage führte einen
Forscher wie Zimmer, der jedes Problem in seinem Kerne zu erfassen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Digitalisate und OCR.
(2020-03-03T12:13:05Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, OCR-D: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2020-03-04T12:13:05Z)
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |