Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0016" n="16"/> <p><lb/> 14 W. SCHULZE:</p> <p><lb/> den germanischen Piraten immer weiter hinaufgetrieben, die Einsamkeit<lb/> suchten und von denen die erste Kunde über die Färöer-Inseln und Island<lb/> ins Frankenreich gelangte (Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1891, 279).<lb/> In der Studie über Brendans Meerfahrt (Zeitschrift für Deutsches Alter-<lb/> tum 33, 1888, 129. 257) versucht er die Wurzeln eines beliebten mittel-<lb/> alterlichen Erzählungsstoffes in der irischen Profanliteratur und im irischen<lb/> Volksglauben bloßzulegen und seine Eigenart aus der seit den ältesten Zeiten<lb/> für das irische Denken charakteristischen »Freude an dem seltsam über-<lb/> triebenen Wunderbaren« zu erklären. Auch in den Streit der Romanisten<lb/> über die Quellen und Vorgeschichte der Arthussagen hat er mit Unter-<lb/> suchungen von unvergleichlicher Gelehrsamkeit und Spürkraft eingegriffen,<lb/> deren Ziel auch hier die Aufrollung der ganzen Sagenentwicklung war,<lb/> von den Anfängen an, die, echte Heldensage, aus den Kämpfen des 5. und<lb/> 6. Jahrhunderts zwischen den britannischen Inselkelten und den angel-<lb/> sächsischen Eroberern geboren werden, bis zu ihrer Einmündung in die alt-<lb/> französische Epik, an die der alte, inzwischen romantisch umgeformte Sagen-<lb/> stoff durch französisch redende Bretonen vermittelt wird, deren Ahnen einst,<lb/> aus der alten Inselheimat vor der Übermacht der Germanen weichend, mit<lb/> ihrer noch heute lebendigen Sprache auch die sagenhafte Erinnerung jener<lb/> Kämpfe auf den Kontinent herübergerettet hatten (Zeitschrift für franzö-<lb/> sische Sprache und Literatur 12, 1890, 231; 13, 1891, 1. Göttingische Ge-<lb/> lehrte Anzeigen 1890, 488. 785). Nur gelegentlich hat Zimmer auch der<lb/> Geschichte der literarischen Formen und den in ihr sich manifestierenden<lb/> ethnischen und kulturellen Zusammenhängen Beachtung geschenkt, hat etwa<lb/> den Einfluß Vergils auf die Komposition des irischen Imram Maelduin, Meer-<lb/> fahrt des Maelduin, untersucht (Zeitschrift für Deutsches Altertum 33,<lb/> 326—-331; vgl. Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1906, 367), auf die Be-<lb/> deutung des germanischen Heldenliedes für die Balladenform der Finn-<lb/> (Ossian-) Sage hingewiesen oder (nach Todd) den Sagaerzähler Islands mit<lb/> dem irischen scélide, dem Träger der epischen Überlieferung in ihrer alt-<lb/> keltischen Form (Prosa untermischt mit Versen), in Verbindung gebracht<lb/> (ebenda 35, 32. 35). Auch seiner wiederholten Beschäftigung mit dem<lb/> wunderlichen Gewächse der Hisperica famina, von denen Verbindungsfäden<lb/> in die altirische Literatur hinüberlaufen, darf hier gedacht werden (Nen-<lb/> nius vindicatus 291. Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu<lb/> Göttingen 1895, 117. Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1910, 1031).</p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0016]
14 W. SCHULZE:
den germanischen Piraten immer weiter hinaufgetrieben, die Einsamkeit
suchten und von denen die erste Kunde über die Färöer-Inseln und Island
ins Frankenreich gelangte (Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1891, 279).
In der Studie über Brendans Meerfahrt (Zeitschrift für Deutsches Alter-
tum 33, 1888, 129. 257) versucht er die Wurzeln eines beliebten mittel-
alterlichen Erzählungsstoffes in der irischen Profanliteratur und im irischen
Volksglauben bloßzulegen und seine Eigenart aus der seit den ältesten Zeiten
für das irische Denken charakteristischen »Freude an dem seltsam über-
triebenen Wunderbaren« zu erklären. Auch in den Streit der Romanisten
über die Quellen und Vorgeschichte der Arthussagen hat er mit Unter-
suchungen von unvergleichlicher Gelehrsamkeit und Spürkraft eingegriffen,
deren Ziel auch hier die Aufrollung der ganzen Sagenentwicklung war,
von den Anfängen an, die, echte Heldensage, aus den Kämpfen des 5. und
6. Jahrhunderts zwischen den britannischen Inselkelten und den angel-
sächsischen Eroberern geboren werden, bis zu ihrer Einmündung in die alt-
französische Epik, an die der alte, inzwischen romantisch umgeformte Sagen-
stoff durch französisch redende Bretonen vermittelt wird, deren Ahnen einst,
aus der alten Inselheimat vor der Übermacht der Germanen weichend, mit
ihrer noch heute lebendigen Sprache auch die sagenhafte Erinnerung jener
Kämpfe auf den Kontinent herübergerettet hatten (Zeitschrift für franzö-
sische Sprache und Literatur 12, 1890, 231; 13, 1891, 1. Göttingische Ge-
lehrte Anzeigen 1890, 488. 785). Nur gelegentlich hat Zimmer auch der
Geschichte der literarischen Formen und den in ihr sich manifestierenden
ethnischen und kulturellen Zusammenhängen Beachtung geschenkt, hat etwa
den Einfluß Vergils auf die Komposition des irischen Imram Maelduin, Meer-
fahrt des Maelduin, untersucht (Zeitschrift für Deutsches Altertum 33,
326—-331; vgl. Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1906, 367), auf die Be-
deutung des germanischen Heldenliedes für die Balladenform der Finn-
(Ossian-) Sage hingewiesen oder (nach Todd) den Sagaerzähler Islands mit
dem irischen scélide, dem Träger der epischen Überlieferung in ihrer alt-
keltischen Form (Prosa untermischt mit Versen), in Verbindung gebracht
(ebenda 35, 32. 35). Auch seiner wiederholten Beschäftigung mit dem
wunderlichen Gewächse der Hisperica famina, von denen Verbindungsfäden
in die altirische Literatur hinüberlaufen, darf hier gedacht werden (Nen-
nius vindicatus 291. Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu
Göttingen 1895, 117. Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1910, 1031).
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