Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0007" n="7"/> <p><lb/> Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. 5</p> <p><lb/> Aber schon vor dem Erscheinen des größeren Buches, das gleich als<lb/> Vorläufer einer die Arbeit Jacob Grimms im 2. Bande der Deutschen<lb/> Grammatik nach langer Pause wiederaufnehmenden und fortführenden Stamm-<lb/> bildungslehre aller germanischen Sprachen gedacht war, hatte Zimmer eine<lb/> Studie zur indogermanischen Mythologie, über ‘Parjanya Fiörgyn, Vâta<lb/> Wôdan’ (Zeitschrift für Deutsches Altertum 19, 1876, 164—181), geschrie-<lb/> ben, die den ruhelos Vorwärtsstrebenden auf dem Wege zu neuen, ent-<lb/> legeneren Zielen zeigte. Am Ende dieses Weges steht, die erste Periode<lb/> seiner Forschung weithin sichtbar abschließend, das ‘Altindische Leben’,<lb/> dessen ursprünglicher (im Spätsommer und Herbst 1876 vollendeter, wesent-<lb/> lich auf den Materialien des Rigveda aufgebauter) Fassung am ı. Mai 1877<lb/> der Preis der Straßburger Max-Müller-Stiftung zufiel. Nach fast vollstän-<lb/> diger Umarbeitung in den Herbstferien des Jahres 1877, deren Ziel die<lb/> systematische Ausbeutung aller vedischen Samhitã war, erschien die mittler-<lb/> weile auch von dem vierten Internationalen Orientalistenkongreß in Florenz<lb/> durch einen italienischen Staatspreis ausgezeichnete Schrift 1879 als Buch,<lb/> das zum ersten Male den ältesten indischen Quellen ein anschauliches Ge-<lb/> samtbild der Kultur im Zeitalter der vedischen Arier nachzuzeichnen unter-<lb/> nahm. An des Tacitus Germania knüpfen, gewiß nicht zufällig, die ersten<lb/> Sätze der Vorrede an, und durch das ganze Buch zieht sich fortlaufend der<lb/> Vergleich altindischen und altgermanischen Lebens (vgl. dazu Anzeiger für<lb/> Deutsches Altertum 2, 296).<lb/> In das Studium indischer Sprachen und Literaturen hatte Zimmer<lb/> einer seiner Straßburger Lehrer, Siegfried Goldschmidt, eingeführt, dem<lb/> er zeitlebens eine dankbare Erinnerung bewahrt hat. Aber neben ihn trat<lb/> als Erzieher zum philologischen Verständnisse der ältesten Denkmäler, zu-<lb/> nächst durch die in spröde Wörterbuchartikel gebannte Kraft seiner Inter-<lb/> pretenkunst, dann — in Tübingen, wohin Zimmer 1876 für ein Sommer-<lb/> semester übersiedelte — auch durch persönliche Unterweisung Rudolf<lb/> Roth, der der Wissenschaft als Erster die verschütteten Zugänge zu den<lb/> Rätseln der Vedendichtung wiedereröffnet hatte. Auch Roths Avesta-<lb/> interpretation, an der Zimmer in Tübingen teilnahm, wird seiner Dar-<lb/> stellung des ‘Altindischen Lebens‘ zugute gekommen sein.<lb/> Zwei Straßburger Preisaufgaben mit weit auseinander liegenden Zielen<lb/> haben so der wissenschaftlichen Arbeit Zimmers schon während der ersten<lb/> Studiensemester Richtung und Inhalt gegeben. Daß er fast gleichzeitig</p> </div> </body> </text> </TEI> [7/0007]
Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. 5
Aber schon vor dem Erscheinen des größeren Buches, das gleich als
Vorläufer einer die Arbeit Jacob Grimms im 2. Bande der Deutschen
Grammatik nach langer Pause wiederaufnehmenden und fortführenden Stamm-
bildungslehre aller germanischen Sprachen gedacht war, hatte Zimmer eine
Studie zur indogermanischen Mythologie, über ‘Parjanya Fiörgyn, Vâta
Wôdan’ (Zeitschrift für Deutsches Altertum 19, 1876, 164—181), geschrie-
ben, die den ruhelos Vorwärtsstrebenden auf dem Wege zu neuen, ent-
legeneren Zielen zeigte. Am Ende dieses Weges steht, die erste Periode
seiner Forschung weithin sichtbar abschließend, das ‘Altindische Leben’,
dessen ursprünglicher (im Spätsommer und Herbst 1876 vollendeter, wesent-
lich auf den Materialien des Rigveda aufgebauter) Fassung am ı. Mai 1877
der Preis der Straßburger Max-Müller-Stiftung zufiel. Nach fast vollstän-
diger Umarbeitung in den Herbstferien des Jahres 1877, deren Ziel die
systematische Ausbeutung aller vedischen Samhitã war, erschien die mittler-
weile auch von dem vierten Internationalen Orientalistenkongreß in Florenz
durch einen italienischen Staatspreis ausgezeichnete Schrift 1879 als Buch,
das zum ersten Male den ältesten indischen Quellen ein anschauliches Ge-
samtbild der Kultur im Zeitalter der vedischen Arier nachzuzeichnen unter-
nahm. An des Tacitus Germania knüpfen, gewiß nicht zufällig, die ersten
Sätze der Vorrede an, und durch das ganze Buch zieht sich fortlaufend der
Vergleich altindischen und altgermanischen Lebens (vgl. dazu Anzeiger für
Deutsches Altertum 2, 296).
In das Studium indischer Sprachen und Literaturen hatte Zimmer
einer seiner Straßburger Lehrer, Siegfried Goldschmidt, eingeführt, dem
er zeitlebens eine dankbare Erinnerung bewahrt hat. Aber neben ihn trat
als Erzieher zum philologischen Verständnisse der ältesten Denkmäler, zu-
nächst durch die in spröde Wörterbuchartikel gebannte Kraft seiner Inter-
pretenkunst, dann — in Tübingen, wohin Zimmer 1876 für ein Sommer-
semester übersiedelte — auch durch persönliche Unterweisung Rudolf
Roth, der der Wissenschaft als Erster die verschütteten Zugänge zu den
Rätseln der Vedendichtung wiedereröffnet hatte. Auch Roths Avesta-
interpretation, an der Zimmer in Tübingen teilnahm, wird seiner Dar-
stellung des ‘Altindischen Lebens‘ zugute gekommen sein.
Zwei Straßburger Preisaufgaben mit weit auseinander liegenden Zielen
haben so der wissenschaftlichen Arbeit Zimmers schon während der ersten
Studiensemester Richtung und Inhalt gegeben. Daß er fast gleichzeitig
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