Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0008" n="8"/> <p><lb/> 6 W. SCHULZE:</p> <p><lb/> mit entschlossener Hand nach beiden Kränzen langte und auf Grund sorg-<lb/> samster und umsichtigster Vorbereitung mit Ehren beide errang, wird<lb/> immer ein Ruhmestitel seines stählernen Willens und seiner unbezwing-<lb/> lichen Schaffenslust, aber auch seiner sicheren Orientierungsgabe und seiner<lb/> alle Schwierigkeiten spielend überwindenden, auch das Fremdartige mit<lb/> raschem Verständnisse ergreifenden Geisteskraft bleiben, zugleich ein Denk-<lb/> mal seiner eigentümlichen Doppelbegabung, die den Abstraktionen der<lb/> Grammatik wie den wechselnden Gestaltungen des Volkslebens mit gleicher<lb/> Liebe und Energie nachzusinnen vermochte.<lb/> Es ist natürlich, daß, trotz aller Unabhängigkeit der Entscheidung<lb/> im einzelnen, in diesen frühesten, einander kreuzenden oder ohne Pause<lb/> ablösenden Arbeiten der Einfluß seiner Lehrer stark hervortritt. In den<lb/> sprachwissenschaftlichen Untersuchungen hat Scherer unbestritten die<lb/> Führung, der Autor des die jüngste Phase in der Entwicklung der indo-<lb/> germanischen Sprachforschung einleitenden Buches ‘Zur Geschichte der<lb/> deutschen Sprache’, das wie seine Vorlesungen in verschwenderischer Fülle<lb/> Anregungen und Gedankenkeime nach allen Seiten ausstreute. Dem Bilde<lb/> des altindischen Lebens gibt Roths Auffassung des Veda die besondere<lb/> Farbe, beherrscht Ton und Stimmung in der Schilderung »jenes frischen<lb/> jugendlichen Volkes, das stark war im Vertrauen auf seine Götter«, hinter<lb/> dessen Schicksalen und Kämpfen im Lande der ‘fünf Ströme’ sich unmittel-<lb/> bar fast der Blick in die den Schriftdenkmälern vorausliegende Frühzeit<lb/> der indogermanischen Stämme aufzutun schien (Anzeiger für deutsches<lb/> Altertum 2, 289). Aber trotz allen Tributes, den die Anpassungsfähigkeit<lb/> der Jugend den Lehrern und Vorbildern der eigenen Arbeit ~— und welchen<lb/> Vorbildern! —- zollt, spürt man die rasch reifende Selbständigkeit, spürt<lb/> man in jedem Zuge die strenge Selbstzucht des von der Natur für die<lb/> wissenschaftliche Forschung vorausbestimmten Mannes, der mit eilig zu-<lb/> sammengerafftem oder auf begangenen Pfaden bequem aufgelesenem Material<lb/> zu arbeiten verschmäht, der, selbst wo er irrt oder versagt, niemals seine<lb/> Arbeit unnütz vertut, sondern überall dem über ihn hinausschreitenden<lb/> Nachfolger den Weg bereitet.<lb/> Seit dem Wintersemester 1876/77 finden wir Zimmer in Berlin, wo er<lb/> in Beziehungen tritt zu Müllenhoff und Albrecht Weber, zu Johannes<lb/> Schmidt, Sachau und Jagić, in dessen Umgange sich sein Interesse für<lb/> die bisher kaum ernstlich betriebenen slavischen Sprachen zu beleben beginnt</p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0008]
6 W. SCHULZE:
mit entschlossener Hand nach beiden Kränzen langte und auf Grund sorg-
samster und umsichtigster Vorbereitung mit Ehren beide errang, wird
immer ein Ruhmestitel seines stählernen Willens und seiner unbezwing-
lichen Schaffenslust, aber auch seiner sicheren Orientierungsgabe und seiner
alle Schwierigkeiten spielend überwindenden, auch das Fremdartige mit
raschem Verständnisse ergreifenden Geisteskraft bleiben, zugleich ein Denk-
mal seiner eigentümlichen Doppelbegabung, die den Abstraktionen der
Grammatik wie den wechselnden Gestaltungen des Volkslebens mit gleicher
Liebe und Energie nachzusinnen vermochte.
Es ist natürlich, daß, trotz aller Unabhängigkeit der Entscheidung
im einzelnen, in diesen frühesten, einander kreuzenden oder ohne Pause
ablösenden Arbeiten der Einfluß seiner Lehrer stark hervortritt. In den
sprachwissenschaftlichen Untersuchungen hat Scherer unbestritten die
Führung, der Autor des die jüngste Phase in der Entwicklung der indo-
germanischen Sprachforschung einleitenden Buches ‘Zur Geschichte der
deutschen Sprache’, das wie seine Vorlesungen in verschwenderischer Fülle
Anregungen und Gedankenkeime nach allen Seiten ausstreute. Dem Bilde
des altindischen Lebens gibt Roths Auffassung des Veda die besondere
Farbe, beherrscht Ton und Stimmung in der Schilderung »jenes frischen
jugendlichen Volkes, das stark war im Vertrauen auf seine Götter«, hinter
dessen Schicksalen und Kämpfen im Lande der ‘fünf Ströme’ sich unmittel-
bar fast der Blick in die den Schriftdenkmälern vorausliegende Frühzeit
der indogermanischen Stämme aufzutun schien (Anzeiger für deutsches
Altertum 2, 289). Aber trotz allen Tributes, den die Anpassungsfähigkeit
der Jugend den Lehrern und Vorbildern der eigenen Arbeit ~— und welchen
Vorbildern! —- zollt, spürt man die rasch reifende Selbständigkeit, spürt
man in jedem Zuge die strenge Selbstzucht des von der Natur für die
wissenschaftliche Forschung vorausbestimmten Mannes, der mit eilig zu-
sammengerafftem oder auf begangenen Pfaden bequem aufgelesenem Material
zu arbeiten verschmäht, der, selbst wo er irrt oder versagt, niemals seine
Arbeit unnütz vertut, sondern überall dem über ihn hinausschreitenden
Nachfolger den Weg bereitet.
Seit dem Wintersemester 1876/77 finden wir Zimmer in Berlin, wo er
in Beziehungen tritt zu Müllenhoff und Albrecht Weber, zu Johannes
Schmidt, Sachau und Jagić, in dessen Umgange sich sein Interesse für
die bisher kaum ernstlich betriebenen slavischen Sprachen zu beleben beginnt
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