Schurz, Karl: Der Studentencongreß zu Eisenach am 25. September 1848. Bonn, 1848.Revolution. Auch der Student war von Verachtung und Haß gegen das Alte beseelt, bevor er sich nach einem Prinzip umgesehn, nach welchem er das Neue zu gestalten gedachte; auch der Student hat in wenigen Monaten das nachzuholen, was er seit Jahren versäumte; und er ist auf dem Wege, denn es tauchen Systeme auf, einander zu bekämpfen, während die augenblicklichen Anforderungen sich dem Anschein nach auf einzelne Punkte beschränken - aber was nützt die Reform einzelner Kleinigkeiten wenn der Grund und Boden nicht umgeschaffen wird, aus dem die Mißbräuche entsprangen, wenn nicht die ganze neue Organisation vollkommen von dem Geiste durchdrungen ist, der auch in dem ganzen Staats-Organismus lebt und treibt? Eine dauernde Reorganisation der Universitäten ist enge mit den Endresultaten unsrer großen Revolution verknüpft, und möchten doch alle die, welche es mit der akademischen Reform wohl meinen, sich die freilich harte Wirklichkeit nicht verheimlichen, daß all ihr Streben nie von einem soliden Erfolge gekrönt sein wird, bis eins der kämpfenden politischen Prinzipien allgemeine Herrschaft gewonnen und sich in festen staatlichen Formen verkörpert hat. Man baut keine Treppen, bevor das Haus steht. Zwar scheint jene Desorganisation, welche durch den Fall der historischen Stützen von unten und oben zugleich, wie Wasser in ein leckes Schiff, in die Universitäten hereindrang, eine schleunige Abhülfe nöthig zu machen. Aber leben wir nicht in einer Zeit, wo vermöge des dämonisch schnellen Fortschritts der heutige Tag die Einrichtungen des gestrigen verspottet? Und wer sollte auch neue feste Formen schaffen? Die National-Versammlung? Man lasse sie erst die sichere und ehrenvolle Existenz Deutschlands nach Innen und Außen als Ergebniß ihrer monatelangen Debatten herausstellen, bevor sie mit gedehnter Gründlichkeit eine neue Fakultäten-Ordnung bespricht. Etwa die Universität selbst? Aber die Universität besteht aus Lehrer und Studenten, die in Revolution. Auch der Student war von Verachtung und Haß gegen das Alte beseelt, bevor er sich nach einem Prinzip umgesehn, nach welchem er das Neue zu gestalten gedachte; auch der Student hat in wenigen Monaten das nachzuholen, was er seit Jahren versäumte; und er ist auf dem Wege, denn es tauchen Systeme auf, einander zu bekämpfen, während die augenblicklichen Anforderungen sich dem Anschein nach auf einzelne Punkte beschränken – aber was nützt die Reform einzelner Kleinigkeiten wenn der Grund und Boden nicht umgeschaffen wird, aus dem die Mißbräuche entsprangen, wenn nicht die ganze neue Organisation vollkommen von dem Geiste durchdrungen ist, der auch in dem ganzen Staats-Organismus lebt und treibt? Eine dauernde Reorganisation der Universitäten ist enge mit den Endresultaten unsrer großen Revolution verknüpft, und möchten doch alle die, welche es mit der akademischen Reform wohl meinen, sich die freilich harte Wirklichkeit nicht verheimlichen, daß all ihr Streben nie von einem soliden Erfolge gekrönt sein wird, bis eins der kämpfenden politischen Prinzipien allgemeine Herrschaft gewonnen und sich in festen staatlichen Formen verkörpert hat. Man baut keine Treppen, bevor das Haus steht. Zwar scheint jene Desorganisation, welche durch den Fall der historischen Stützen von unten und oben zugleich, wie Wasser in ein leckes Schiff, in die Universitäten hereindrang, eine schleunige Abhülfe nöthig zu machen. Aber leben wir nicht in einer Zeit, wo vermöge des dämonisch schnellen Fortschritts der heutige Tag die Einrichtungen des gestrigen verspottet? Und wer sollte auch neue feste Formen schaffen? Die National-Versammlung? Man lasse sie erst die sichere und ehrenvolle Existenz Deutschlands nach Innen und Außen als Ergebniß ihrer monatelangen Debatten herausstellen, bevor sie mit gedehnter Gründlichkeit eine neue Fakultäten-Ordnung bespricht. Etwa die Universität selbst? Aber die Universität besteht aus Lehrer und Studenten, die in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0007" n="5"/> Revolution. Auch der Student war von Verachtung und Haß gegen das Alte beseelt, bevor er sich nach einem Prinzip umgesehn, nach welchem er das Neue zu gestalten gedachte; auch der Student hat in wenigen Monaten das nachzuholen, was er seit Jahren versäumte; und er ist auf dem Wege, denn es tauchen Systeme auf, einander zu bekämpfen, während die augenblicklichen Anforderungen sich dem Anschein nach auf einzelne Punkte beschränken – aber was nützt die Reform einzelner Kleinigkeiten wenn der Grund und Boden nicht umgeschaffen wird, aus dem die Mißbräuche entsprangen, wenn nicht die ganze neue Organisation vollkommen von dem Geiste durchdrungen ist, der auch in dem ganzen Staats-Organismus lebt und treibt? Eine dauernde Reorganisation der Universitäten ist enge mit den Endresultaten unsrer großen Revolution verknüpft, und möchten doch alle die, welche es mit der akademischen Reform wohl meinen, sich die freilich harte Wirklichkeit nicht verheimlichen, daß all ihr Streben nie von einem soliden Erfolge gekrönt sein wird, bis eins der kämpfenden politischen Prinzipien allgemeine Herrschaft gewonnen und sich in festen staatlichen Formen verkörpert hat. Man baut keine Treppen, bevor das Haus steht.</p> <p>Zwar scheint jene Desorganisation, welche durch den Fall der historischen Stützen von unten und oben zugleich, wie Wasser in ein leckes Schiff, in die Universitäten hereindrang, eine schleunige Abhülfe nöthig zu machen. Aber leben wir nicht in einer Zeit, wo vermöge des dämonisch schnellen Fortschritts der heutige Tag die Einrichtungen des gestrigen verspottet? Und wer sollte auch neue feste Formen schaffen? Die National-Versammlung? Man lasse sie erst die sichere und ehrenvolle Existenz Deutschlands nach Innen und Außen als Ergebniß ihrer monatelangen Debatten herausstellen, bevor sie mit gedehnter Gründlichkeit eine neue Fakultäten-Ordnung bespricht. Etwa die Universität selbst? Aber die Universität besteht aus Lehrer und Studenten, die in </p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0007]
Revolution. Auch der Student war von Verachtung und Haß gegen das Alte beseelt, bevor er sich nach einem Prinzip umgesehn, nach welchem er das Neue zu gestalten gedachte; auch der Student hat in wenigen Monaten das nachzuholen, was er seit Jahren versäumte; und er ist auf dem Wege, denn es tauchen Systeme auf, einander zu bekämpfen, während die augenblicklichen Anforderungen sich dem Anschein nach auf einzelne Punkte beschränken – aber was nützt die Reform einzelner Kleinigkeiten wenn der Grund und Boden nicht umgeschaffen wird, aus dem die Mißbräuche entsprangen, wenn nicht die ganze neue Organisation vollkommen von dem Geiste durchdrungen ist, der auch in dem ganzen Staats-Organismus lebt und treibt? Eine dauernde Reorganisation der Universitäten ist enge mit den Endresultaten unsrer großen Revolution verknüpft, und möchten doch alle die, welche es mit der akademischen Reform wohl meinen, sich die freilich harte Wirklichkeit nicht verheimlichen, daß all ihr Streben nie von einem soliden Erfolge gekrönt sein wird, bis eins der kämpfenden politischen Prinzipien allgemeine Herrschaft gewonnen und sich in festen staatlichen Formen verkörpert hat. Man baut keine Treppen, bevor das Haus steht.
Zwar scheint jene Desorganisation, welche durch den Fall der historischen Stützen von unten und oben zugleich, wie Wasser in ein leckes Schiff, in die Universitäten hereindrang, eine schleunige Abhülfe nöthig zu machen. Aber leben wir nicht in einer Zeit, wo vermöge des dämonisch schnellen Fortschritts der heutige Tag die Einrichtungen des gestrigen verspottet? Und wer sollte auch neue feste Formen schaffen? Die National-Versammlung? Man lasse sie erst die sichere und ehrenvolle Existenz Deutschlands nach Innen und Außen als Ergebniß ihrer monatelangen Debatten herausstellen, bevor sie mit gedehnter Gründlichkeit eine neue Fakultäten-Ordnung bespricht. Etwa die Universität selbst? Aber die Universität besteht aus Lehrer und Studenten, die in
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