Thracische Winde trieben hier das Schiff in die Nähe der Phrygischen Küste, wo auf dem Eilande Cy¬ zikus die erdgeborenen Giganten in ungezähmter Wild¬ heit, und die friedlichen Dolionen neben einander wohn¬ ten. Jenen hingen sechs Arme, zwei von den mächtigen Schultern und vier an den beiden Seiten, vom Leibe herunter; diese stammten vom Meeresgotte ab, der sie auch gegen jene Ungeheuer schirmte. Ihr König war der fromme Cyzikus. Dieser und sein ganzes Volk, als sie von der Ankunft des Schiffes und dem Geschlechte der Männer gehört, gingen den Argonauten liebreich ent¬ gegen, empfingen sie gastfreundlich und überredeten sie noch weiter zu rudern und das Schiff im Hafen der Stadt vor Anker zu legen. Der König hatte längst ei¬ nen Orakelspruch erhalten, wenn die göttliche Schaar der Heroen käme, so sollte er sie liebreich aufnehmen und ja nicht bekriegen. Er versah sie deßwegen reichlich mit Wein und Schlachtvieh. Er selbst war noch ganz jung und kaum erst war ihm der Bart gewachsen. Im Kö¬ nigshause lag ihm seine Frau in den ersten Wehen; dennoch verließ er sie, um, dem Götterspruche folgsam, das Mahl mit den Fremden zu theilen. Hier erzählten sie ihm von dem Ziel und Zweck ihrer Fahrt, und er unterrichtete sie über den Weg, den sie zu nehmen hätten. Am andern Morgen bestiegen sie einen hohen Berg, um selbst die Lage der Insel und das Meer zu überschauen. Inzwischen waren von der andern Seite des Eilands die Giganten hervorgebrochen und hatten den Hafen mit
Die Argonauten im Lande der Dolionen.
Thraciſche Winde trieben hier das Schiff in die Nähe der Phrygiſchen Küſte, wo auf dem Eilande Cy¬ zikus die erdgeborenen Giganten in ungezähmter Wild¬ heit, und die friedlichen Dolionen neben einander wohn¬ ten. Jenen hingen ſechs Arme, zwei von den mächtigen Schultern und vier an den beiden Seiten, vom Leibe herunter; dieſe ſtammten vom Meeresgotte ab, der ſie auch gegen jene Ungeheuer ſchirmte. Ihr König war der fromme Cyzikus. Dieſer und ſein ganzes Volk, als ſie von der Ankunft des Schiffes und dem Geſchlechte der Männer gehört, gingen den Argonauten liebreich ent¬ gegen, empfingen ſie gaſtfreundlich und überredeten ſie noch weiter zu rudern und das Schiff im Hafen der Stadt vor Anker zu legen. Der König hatte längſt ei¬ nen Orakelſpruch erhalten, wenn die göttliche Schaar der Heroen käme, ſo ſollte er ſie liebreich aufnehmen und ja nicht bekriegen. Er verſah ſie deßwegen reichlich mit Wein und Schlachtvieh. Er ſelbſt war noch ganz jung und kaum erſt war ihm der Bart gewachſen. Im Kö¬ nigshauſe lag ihm ſeine Frau in den erſten Wehen; dennoch verließ er ſie, um, dem Götterſpruche folgſam, das Mahl mit den Fremden zu theilen. Hier erzählten ſie ihm von dem Ziel und Zweck ihrer Fahrt, und er unterrichtete ſie über den Weg, den ſie zu nehmen hätten. Am andern Morgen beſtiegen ſie einen hohen Berg, um ſelbſt die Lage der Inſel und das Meer zu überſchauen. Inzwiſchen waren von der andern Seite des Eilands die Giganten hervorgebrochen und hatten den Hafen mit
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Die Argonauten im Lande der Dolionen.
Thraciſche Winde trieben hier das Schiff in die
Nähe der Phrygiſchen Küſte, wo auf dem Eilande Cy¬
zikus die erdgeborenen Giganten in ungezähmter Wild¬
heit, und die friedlichen Dolionen neben einander wohn¬
ten. Jenen hingen ſechs Arme, zwei von den mächtigen
Schultern und vier an den beiden Seiten, vom Leibe
herunter; dieſe ſtammten vom Meeresgotte ab, der ſie
auch gegen jene Ungeheuer ſchirmte. Ihr König war
der fromme Cyzikus. Dieſer und ſein ganzes Volk, als
ſie von der Ankunft des Schiffes und dem Geſchlechte
der Männer gehört, gingen den Argonauten liebreich ent¬
gegen, empfingen ſie gaſtfreundlich und überredeten ſie
noch weiter zu rudern und das Schiff im Hafen der
Stadt vor Anker zu legen. Der König hatte längſt ei¬
nen Orakelſpruch erhalten, wenn die göttliche Schaar
der Heroen käme, ſo ſollte er ſie liebreich aufnehmen und
ja nicht bekriegen. Er verſah ſie deßwegen reichlich mit
Wein und Schlachtvieh. Er ſelbſt war noch ganz jung
und kaum erſt war ihm der Bart gewachſen. Im Kö¬
nigshauſe lag ihm ſeine Frau in den erſten Wehen;
dennoch verließ er ſie, um, dem Götterſpruche folgſam,
das Mahl mit den Fremden zu theilen. Hier erzählten
ſie ihm von dem Ziel und Zweck ihrer Fahrt, und er
unterrichtete ſie über den Weg, den ſie zu nehmen hätten.
Am andern Morgen beſtiegen ſie einen hohen Berg, um
ſelbſt die Lage der Inſel und das Meer zu überſchauen.
Inzwiſchen waren von der andern Seite des Eilands
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/127>, abgerufen am 24.11.2024.
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