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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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ihn mit Hülfe seines Bruders von der Qual der Har¬
pyien zu befreien; und auf der Stelle bereiteten sie ihm
ein Mahl, das der räuberischen Vögel letztes seyn sollte.
Kaum hatte der König die Speise berührt, als die Vögel,
wie ein plötzlicher Sturm, mit Flügelschlag aus den
Wolken herabgestürzt kamen und sich gierig auf die Spei¬
sen setzten. Die Helden schrieen laut auf; aber die Har¬
pyien ließen sich nicht stören, sie blieben, bis sie alles
aufgezehrt hatten, dann schwangen sie sich wieder in
die Lüfte und ließen einen unerträglichen Geruch zurück.
Aber Zethes und Kalais, die Boreassöhne, verfolgten sie
mit gezücktem Schwert. Jupiter verlieh ihnen Fittiche
und unermüdliche Kraft, die sie wohl brauchen konnten,
denn die Harpyien kamen in ihrem Fluge dem schnellsten
Westwinde zuvor. Aber die Boreassöhne waren rüstig
hinter ihnen drein, und oft meinten sie die Ungeheuer
schon mit Händen greifen zu können. Endlich waren sie
ihnen so nahe, daß sie dieselben ohne Zweifel erlegt hät¬
ten, als plötzlich Jupiters Botin, Iris, sich aus dem
Aether herabsenkte und das Heldenpaar so anredete:
"Nicht ist's erlaubt, ihr Söhne des Boreas, die Jagd¬
hunde des großen Jupiter, die Harpyien, mit dem Schwerdte
zu fällen. Doch schwöre ich euch den großen Göttereid
beim Styx, daß die Raubvögel den Sohn des Agenor
nicht mehr beunruhigen sollen." Die Söhne des Boreas
wichen dem Eide und kehrten nach dem Schiffe um.

Unterdessen pflegten die griechischen Helden den Leib
des Greisen Phineus, hielten eine Opfermahlzeit und lu¬
den den Ausgehungerten dazu ein. Dieser verzehrte gie¬
rig die reinen und reichlichen Speisen, es war ihm, als
weidete sich sein Hunger im Traume. Während sie die

ihn mit Hülfe ſeines Bruders von der Qual der Har¬
pyien zu befreien; und auf der Stelle bereiteten ſie ihm
ein Mahl, das der räuberiſchen Vögel letztes ſeyn ſollte.
Kaum hatte der König die Speiſe berührt, als die Vögel,
wie ein plötzlicher Sturm, mit Flügelſchlag aus den
Wolken herabgeſtürzt kamen und ſich gierig auf die Spei¬
ſen ſetzten. Die Helden ſchrieen laut auf; aber die Har¬
pyien ließen ſich nicht ſtören, ſie blieben, bis ſie alles
aufgezehrt hatten, dann ſchwangen ſie ſich wieder in
die Lüfte und ließen einen unerträglichen Geruch zurück.
Aber Zethes und Kalais, die Boreasſöhne, verfolgten ſie
mit gezücktem Schwert. Jupiter verlieh ihnen Fittiche
und unermüdliche Kraft, die ſie wohl brauchen konnten,
denn die Harpyien kamen in ihrem Fluge dem ſchnellſten
Weſtwinde zuvor. Aber die Boreasſöhne waren rüſtig
hinter ihnen drein, und oft meinten ſie die Ungeheuer
ſchon mit Händen greifen zu können. Endlich waren ſie
ihnen ſo nahe, daß ſie dieſelben ohne Zweifel erlegt hät¬
ten, als plötzlich Jupiters Botin, Iris, ſich aus dem
Aether herabſenkte und das Heldenpaar ſo anredete:
„Nicht iſt's erlaubt, ihr Söhne des Boreas, die Jagd¬
hunde des großen Jupiter, die Harpyien, mit dem Schwerdte
zu fällen. Doch ſchwöre ich euch den großen Göttereid
beim Styx, daß die Raubvögel den Sohn des Agenor
nicht mehr beunruhigen ſollen.“ Die Söhne des Boreas
wichen dem Eide und kehrten nach dem Schiffe um.

Unterdeſſen pflegten die griechiſchen Helden den Leib
des Greiſen Phineus, hielten eine Opfermahlzeit und lu¬
den den Ausgehungerten dazu ein. Dieſer verzehrte gie¬
rig die reinen und reichlichen Speiſen, es war ihm, als
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[110/0136] ihn mit Hülfe ſeines Bruders von der Qual der Har¬ pyien zu befreien; und auf der Stelle bereiteten ſie ihm ein Mahl, das der räuberiſchen Vögel letztes ſeyn ſollte. Kaum hatte der König die Speiſe berührt, als die Vögel, wie ein plötzlicher Sturm, mit Flügelſchlag aus den Wolken herabgeſtürzt kamen und ſich gierig auf die Spei¬ ſen ſetzten. Die Helden ſchrieen laut auf; aber die Har¬ pyien ließen ſich nicht ſtören, ſie blieben, bis ſie alles aufgezehrt hatten, dann ſchwangen ſie ſich wieder in die Lüfte und ließen einen unerträglichen Geruch zurück. Aber Zethes und Kalais, die Boreasſöhne, verfolgten ſie mit gezücktem Schwert. Jupiter verlieh ihnen Fittiche und unermüdliche Kraft, die ſie wohl brauchen konnten, denn die Harpyien kamen in ihrem Fluge dem ſchnellſten Weſtwinde zuvor. Aber die Boreasſöhne waren rüſtig hinter ihnen drein, und oft meinten ſie die Ungeheuer ſchon mit Händen greifen zu können. Endlich waren ſie ihnen ſo nahe, daß ſie dieſelben ohne Zweifel erlegt hät¬ ten, als plötzlich Jupiters Botin, Iris, ſich aus dem Aether herabſenkte und das Heldenpaar ſo anredete: „Nicht iſt's erlaubt, ihr Söhne des Boreas, die Jagd¬ hunde des großen Jupiter, die Harpyien, mit dem Schwerdte zu fällen. Doch ſchwöre ich euch den großen Göttereid beim Styx, daß die Raubvögel den Sohn des Agenor nicht mehr beunruhigen ſollen.“ Die Söhne des Boreas wichen dem Eide und kehrten nach dem Schiffe um. Unterdeſſen pflegten die griechiſchen Helden den Leib des Greiſen Phineus, hielten eine Opfermahlzeit und lu¬ den den Ausgehungerten dazu ein. Dieſer verzehrte gie¬ rig die reinen und reichlichen Speiſen, es war ihm, als weidete ſich ſein Hunger im Traume. Während ſie die

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/136>, abgerufen am 23.11.2024.