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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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von einer andern Seite unvermuthet aus einem unter¬
irdischen Gewölbe hervor, wo ihre festen Ställe waren,
beide Flammen schnaubend und in dicken Rauch gehüllt.
Jasons Freunde schracken zusammen, als ihr Blick auf
die Ungeheuer fiel, er aber stand mit ausgespreizten Bei¬
nen, den Schild vorgehalten, und erwartete ihren An¬
lauf, wie ein Meerfels die Fluten. Sie kamen auch
wirklich, mit den Hörnern stoßend, auf ihn angestürzt,
und doch vermochte ihr Anlauf ihm nicht ein Glied zu
verrücken. Wie in den Schmiedewerkstätten die Blas¬
bälge murren und bald mächtige Feuer sprühen machen,
bald mit ihrem Athem inne halten, so wiederholten sie
brüllend und Flammen speiend ihre Stöße, daß den Helden
die Glut wie lauter Blitzstralen umzückte. Ihn aber schirmte
das Zaubermittel der Jungfrau. Endlich ergriff er den
Stier zur Rechten am äußersten Horn und zog ihn mit
allen seinen Kräften, bis er ihn an die Stelle geschleppt,
wo das eherne Joch lag. Hier gab er seinen ehernen
Füßen einen Fußtritt und warf ihn mit gekrümmten Knieen
zu Boden. Auf dieselbe Weise zwang er auch den zwei¬
ten, der auf ihn losrannte, mit einem einzigen Streich
auf die Erde nieder. Dann warf er seinen breiten Schild
weg und hielt, von ihren Flammen bedeckt, die beiden
niedergeworfenen Stiere mit beiden Händen fest. Aeetes
mußte die ungeheure Stärke des Mannes bewundern.
Inzwischen reichten ihm Kastor und Pollux, wie es unter
ihnen verabredet war, die Joche, die auf dem Boden la¬
gen, und er befestigte sie mit Sicherheit an das Genick
der Thiere. Dann erhub er die eherne Deichsel und fügte
sie in den Ring des Joches. Die Zwillingsbrüder ver¬
ließen nun schnell das Feuer, denn sie waren nicht gefeyt

von einer andern Seite unvermuthet aus einem unter¬
irdiſchen Gewölbe hervor, wo ihre feſten Ställe waren,
beide Flammen ſchnaubend und in dicken Rauch gehüllt.
Jaſons Freunde ſchracken zuſammen, als ihr Blick auf
die Ungeheuer fiel, er aber ſtand mit ausgeſpreizten Bei¬
nen, den Schild vorgehalten, und erwartete ihren An¬
lauf, wie ein Meerfels die Fluten. Sie kamen auch
wirklich, mit den Hörnern ſtoßend, auf ihn angeſtürzt,
und doch vermochte ihr Anlauf ihm nicht ein Glied zu
verrücken. Wie in den Schmiedewerkſtätten die Blas¬
bälge murren und bald mächtige Feuer ſprühen machen,
bald mit ihrem Athem inne halten, ſo wiederholten ſie
brüllend und Flammen ſpeiend ihre Stöße, daß den Helden
die Glut wie lauter Blitzſtralen umzückte. Ihn aber ſchirmte
das Zaubermittel der Jungfrau. Endlich ergriff er den
Stier zur Rechten am äußerſten Horn und zog ihn mit
allen ſeinen Kräften, bis er ihn an die Stelle geſchleppt,
wo das eherne Joch lag. Hier gab er ſeinen ehernen
Füßen einen Fußtritt und warf ihn mit gekrümmten Knieen
zu Boden. Auf dieſelbe Weiſe zwang er auch den zwei¬
ten, der auf ihn losrannte, mit einem einzigen Streich
auf die Erde nieder. Dann warf er ſeinen breiten Schild
weg und hielt, von ihren Flammen bedeckt, die beiden
niedergeworfenen Stiere mit beiden Händen feſt. Aeetes
mußte die ungeheure Stärke des Mannes bewundern.
Inzwiſchen reichten ihm Kaſtor und Pollux, wie es unter
ihnen verabredet war, die Joche, die auf dem Boden la¬
gen, und er befeſtigte ſie mit Sicherheit an das Genick
der Thiere. Dann erhub er die eherne Deichſel und fügte
ſie in den Ring des Joches. Die Zwillingsbrüder ver¬
ließen nun ſchnell das Feuer, denn ſie waren nicht gefeyt

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[141/0167] von einer andern Seite unvermuthet aus einem unter¬ irdiſchen Gewölbe hervor, wo ihre feſten Ställe waren, beide Flammen ſchnaubend und in dicken Rauch gehüllt. Jaſons Freunde ſchracken zuſammen, als ihr Blick auf die Ungeheuer fiel, er aber ſtand mit ausgeſpreizten Bei¬ nen, den Schild vorgehalten, und erwartete ihren An¬ lauf, wie ein Meerfels die Fluten. Sie kamen auch wirklich, mit den Hörnern ſtoßend, auf ihn angeſtürzt, und doch vermochte ihr Anlauf ihm nicht ein Glied zu verrücken. Wie in den Schmiedewerkſtätten die Blas¬ bälge murren und bald mächtige Feuer ſprühen machen, bald mit ihrem Athem inne halten, ſo wiederholten ſie brüllend und Flammen ſpeiend ihre Stöße, daß den Helden die Glut wie lauter Blitzſtralen umzückte. Ihn aber ſchirmte das Zaubermittel der Jungfrau. Endlich ergriff er den Stier zur Rechten am äußerſten Horn und zog ihn mit allen ſeinen Kräften, bis er ihn an die Stelle geſchleppt, wo das eherne Joch lag. Hier gab er ſeinen ehernen Füßen einen Fußtritt und warf ihn mit gekrümmten Knieen zu Boden. Auf dieſelbe Weiſe zwang er auch den zwei¬ ten, der auf ihn losrannte, mit einem einzigen Streich auf die Erde nieder. Dann warf er ſeinen breiten Schild weg und hielt, von ihren Flammen bedeckt, die beiden niedergeworfenen Stiere mit beiden Händen feſt. Aeetes mußte die ungeheure Stärke des Mannes bewundern. Inzwiſchen reichten ihm Kaſtor und Pollux, wie es unter ihnen verabredet war, die Joche, die auf dem Boden la¬ gen, und er befeſtigte ſie mit Sicherheit an das Genick der Thiere. Dann erhub er die eherne Deichſel und fügte ſie in den Ring des Joches. Die Zwillingsbrüder ver¬ ließen nun ſchnell das Feuer, denn ſie waren nicht gefeyt

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/167>, abgerufen am 24.11.2024.