Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

der Sohn des Teleon, hatte der hellen Stimme der Si¬
renen nicht zu widerstehen vermocht, sprang von der
Ruderbank ins Meer und schwamm dem verführerischen
Hall entgegen. Er wäre verloren gewesen, wenn ihn nicht
die Beherrscherinn des Berges Eryr in Sicilien, Venus,
erblickt hätte. Sie riß ihn mitten aus den Wirbeln her¬
aus und warf ihn auf ein Vorgebirge dieser Insel, wo
er hinfort wohnen blieb. Die Argonauten betrauerten ihn
für todt und schifften neuen Gefahren entgegen, denn sie
kamen an eine Meerenge, wo auf der einen Seite der
steile Fels der Scylla in die Fluten hinausragte und das
Schiff zu zerbrechen, auf der andern Seite der Strudel der
Charybdis die Wasser in die Tiefe riß und das Schiff zu
verschlingen drohte. Dazwischen irrten unter der Fluth vom
Grunde losgerissene Felsen, wo sonst die glühende Werkstätte
des Vulkanus ist; jetzt aber rauchte sie nur und erfüllte
den Aether mit Finsterniß. Hier begegneten ihnen von al¬
len Seiten die Meernymphen, des Nereus Töchter; im
Rücken des Schiffes faßte die Fürstin derselben, Thetis selbst,
das Steuerruder. Alle miteinander umgaukelten das Schiff
und wenn es sich den schwimmenden Felsen nähern wollte,
so stieß es eine Nymphe der andern zu, wie Jungfrauen,
die Ball spielen. Bald stieg es mit den Wellen hoch
zu den Wolken, bald stieg es wieder in den Abgrund
hinab. Auf dem Gipfel einer Klippe sah, den Hammer
auf die Schulter gelehnt, Vulkanus dem Schauspiele zu,
und vom gestirnten Himmel herab Jupiters Gemahlin
Juno; diese aber ergriff Minervens Hand, denn sie konnte
es ohne Schwindel nicht mit ansehen. Endlich waren
sie den Gefahren glücklich entgangen und fuhren weiter
auf der offenen See, bis sie zu einer Insel kamen, wo

der Sohn des Teleon, hatte der hellen Stimme der Si¬
renen nicht zu widerſtehen vermocht, ſprang von der
Ruderbank ins Meer und ſchwamm dem verführeriſchen
Hall entgegen. Er wäre verloren geweſen, wenn ihn nicht
die Beherrſcherinn des Berges Eryr in Sicilien, Venus,
erblickt hätte. Sie riß ihn mitten aus den Wirbeln her¬
aus und warf ihn auf ein Vorgebirge dieſer Inſel, wo
er hinfort wohnen blieb. Die Argonauten betrauerten ihn
für todt und ſchifften neuen Gefahren entgegen, denn ſie
kamen an eine Meerenge, wo auf der einen Seite der
ſteile Fels der Scylla in die Fluten hinausragte und das
Schiff zu zerbrechen, auf der andern Seite der Strudel der
Charybdis die Waſſer in die Tiefe riß und das Schiff zu
verſchlingen drohte. Dazwiſchen irrten unter der Fluth vom
Grunde losgeriſſene Felſen, wo ſonſt die glühende Werkſtätte
des Vulkanus iſt; jetzt aber rauchte ſie nur und erfüllte
den Aether mit Finſterniß. Hier begegneten ihnen von al¬
len Seiten die Meernymphen, des Nereus Töchter; im
Rücken des Schiffes faßte die Fürſtin derſelben, Thetis ſelbſt,
das Steuerruder. Alle miteinander umgaukelten das Schiff
und wenn es ſich den ſchwimmenden Felſen nähern wollte,
ſo ſtieß es eine Nymphe der andern zu, wie Jungfrauen,
die Ball ſpielen. Bald ſtieg es mit den Wellen hoch
zu den Wolken, bald ſtieg es wieder in den Abgrund
hinab. Auf dem Gipfel einer Klippe ſah, den Hammer
auf die Schulter gelehnt, Vulkanus dem Schauſpiele zu,
und vom geſtirnten Himmel herab Jupiters Gemahlin
Juno; dieſe aber ergriff Minervens Hand, denn ſie konnte
es ohne Schwindel nicht mit anſehen. Endlich waren
ſie den Gefahren glücklich entgangen und fuhren weiter
auf der offenen See, bis ſie zu einer Inſel kamen, wo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0185" n="159"/>
der Sohn des Teleon, hatte der hellen Stimme der Si¬<lb/>
renen nicht zu wider&#x017F;tehen vermocht, &#x017F;prang von der<lb/>
Ruderbank ins Meer und &#x017F;chwamm dem verführeri&#x017F;chen<lb/>
Hall entgegen. Er wäre verloren gewe&#x017F;en, wenn ihn nicht<lb/>
die Beherr&#x017F;cherinn des Berges Eryr in Sicilien, Venus,<lb/>
erblickt hätte. Sie riß ihn mitten aus den Wirbeln her¬<lb/>
aus und warf ihn auf ein Vorgebirge die&#x017F;er In&#x017F;el, wo<lb/>
er hinfort wohnen blieb. Die Argonauten betrauerten ihn<lb/>
für todt und &#x017F;chifften neuen Gefahren entgegen, denn &#x017F;ie<lb/>
kamen an eine Meerenge, wo auf der einen Seite der<lb/>
&#x017F;teile Fels der Scylla in die Fluten hinausragte und das<lb/>
Schiff zu zerbrechen, auf der andern Seite der Strudel der<lb/>
Charybdis die Wa&#x017F;&#x017F;er in die Tiefe riß und das Schiff zu<lb/>
ver&#x017F;chlingen drohte. Dazwi&#x017F;chen irrten unter der Fluth vom<lb/>
Grunde losgeri&#x017F;&#x017F;ene Fel&#x017F;en, wo &#x017F;on&#x017F;t die glühende Werk&#x017F;tätte<lb/>
des Vulkanus i&#x017F;t; jetzt aber rauchte &#x017F;ie nur und erfüllte<lb/>
den Aether mit Fin&#x017F;terniß. Hier begegneten ihnen von al¬<lb/>
len Seiten die Meernymphen, des Nereus Töchter; im<lb/>
Rücken des Schiffes faßte die Für&#x017F;tin der&#x017F;elben, Thetis &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
das Steuerruder. Alle miteinander umgaukelten das Schiff<lb/>
und wenn es &#x017F;ich den &#x017F;chwimmenden Fel&#x017F;en nähern wollte,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tieß es eine Nymphe der andern zu, wie Jungfrauen,<lb/>
die Ball &#x017F;pielen. Bald &#x017F;tieg es mit den Wellen hoch<lb/>
zu den Wolken, bald &#x017F;tieg es wieder in den Abgrund<lb/>
hinab. Auf dem Gipfel einer Klippe &#x017F;ah, den Hammer<lb/>
auf die Schulter gelehnt, Vulkanus dem Schau&#x017F;piele zu,<lb/>
und vom ge&#x017F;tirnten Himmel herab Jupiters Gemahlin<lb/>
Juno; die&#x017F;e aber ergriff Minervens Hand, denn &#x017F;ie konnte<lb/>
es ohne Schwindel nicht mit an&#x017F;ehen. Endlich waren<lb/>
&#x017F;ie den Gefahren glücklich entgangen und fuhren weiter<lb/>
auf der offenen See, bis &#x017F;ie zu einer In&#x017F;el kamen, wo<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0185] der Sohn des Teleon, hatte der hellen Stimme der Si¬ renen nicht zu widerſtehen vermocht, ſprang von der Ruderbank ins Meer und ſchwamm dem verführeriſchen Hall entgegen. Er wäre verloren geweſen, wenn ihn nicht die Beherrſcherinn des Berges Eryr in Sicilien, Venus, erblickt hätte. Sie riß ihn mitten aus den Wirbeln her¬ aus und warf ihn auf ein Vorgebirge dieſer Inſel, wo er hinfort wohnen blieb. Die Argonauten betrauerten ihn für todt und ſchifften neuen Gefahren entgegen, denn ſie kamen an eine Meerenge, wo auf der einen Seite der ſteile Fels der Scylla in die Fluten hinausragte und das Schiff zu zerbrechen, auf der andern Seite der Strudel der Charybdis die Waſſer in die Tiefe riß und das Schiff zu verſchlingen drohte. Dazwiſchen irrten unter der Fluth vom Grunde losgeriſſene Felſen, wo ſonſt die glühende Werkſtätte des Vulkanus iſt; jetzt aber rauchte ſie nur und erfüllte den Aether mit Finſterniß. Hier begegneten ihnen von al¬ len Seiten die Meernymphen, des Nereus Töchter; im Rücken des Schiffes faßte die Fürſtin derſelben, Thetis ſelbſt, das Steuerruder. Alle miteinander umgaukelten das Schiff und wenn es ſich den ſchwimmenden Felſen nähern wollte, ſo ſtieß es eine Nymphe der andern zu, wie Jungfrauen, die Ball ſpielen. Bald ſtieg es mit den Wellen hoch zu den Wolken, bald ſtieg es wieder in den Abgrund hinab. Auf dem Gipfel einer Klippe ſah, den Hammer auf die Schulter gelehnt, Vulkanus dem Schauſpiele zu, und vom geſtirnten Himmel herab Jupiters Gemahlin Juno; dieſe aber ergriff Minervens Hand, denn ſie konnte es ohne Schwindel nicht mit anſehen. Endlich waren ſie den Gefahren glücklich entgangen und fuhren weiter auf der offenen See, bis ſie zu einer Inſel kamen, wo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/185
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/185>, abgerufen am 24.11.2024.