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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Chiron ließ sich in seine Höhle bringen und wünschte hier in
den Armen seines Freundes zu sterben. Vergeblicher Wunsch!
Der Arme hatte nicht daran gedacht, daß er zu seiner Qual
unsterblich sey. Herkules nahm von dem Gequälten unter
vielen Thränen Abschied und versprach ihm, es koste was
es wolle, den Tod, den Erlöser, zu senden. Wir wissen,
daß er Wort gehalten hat. Als Herkules von der Ver¬
folgung der übrigen Centauren in seines Freundes Höhle
zurückkehrte, fand er Pholus, seinen liebreichen Wirth,
auch todt. Dieser hatte aus einem Centaurenleichnam
den Todespfeil gezogen; während er sich nun wunderte,
wie ein so kleines Ding so große Geschöpfe hatte nieder¬
werfen können, entglitt das vergiftete Geschoß seiner
Hand, fuhr ihm in den Fuß und tödtete ihn auf der
Stelle. Herkules war sehr betrübt, er bestattete ihn ehren¬
voll, indem er ihn unter den Berg legte, der seitdem
Pholoe genannt ward. Dann ging er weiter, den Eber
zu jagen, er trieb denselben mit Geschrei aus dem Dickicht
des Waldes heraus, verfolgte ihn ins tiefe Schneefeld,
fing hier das erschöpfte Thier mit einem Stricke und brach¬
te es, wie ihm befohlen war, lebendig nach Mycene.

Darauf schickte ihn der König Eurystheus zur fünf¬
ten Arbeit fort, die eines Helden wenig würdig war. Er
sollte den Viehhof des Augias in einem einzigen Tage aus¬
misten. Augias war König in Elis und hatte eine Menge
Viehherden. Sein Vieh stand nach Art der Alten in ei¬
ner großen Verzäunung vor dem Pallaste. Dreitausend
Rinder waren da geraume Zeit gestanden und so hatte
sich seit vielen Jahren eine unendliche Menge Mist an¬
gehäuft, den nun Herkules zur Schmach, und, was un¬
möglich schien, in einem einzigen Tage hinaus schaffen sollte.

Chiron ließ ſich in ſeine Höhle bringen und wünſchte hier in
den Armen ſeines Freundes zu ſterben. Vergeblicher Wunſch!
Der Arme hatte nicht daran gedacht, daß er zu ſeiner Qual
unſterblich ſey. Herkules nahm von dem Gequälten unter
vielen Thränen Abſchied und verſprach ihm, es koſte was
es wolle, den Tod, den Erlöſer, zu ſenden. Wir wiſſen,
daß er Wort gehalten hat. Als Herkules von der Ver¬
folgung der übrigen Centauren in ſeines Freundes Höhle
zurückkehrte, fand er Pholus, ſeinen liebreichen Wirth,
auch todt. Dieſer hatte aus einem Centaurenleichnam
den Todespfeil gezogen; während er ſich nun wunderte,
wie ein ſo kleines Ding ſo große Geſchöpfe hatte nieder¬
werfen können, entglitt das vergiftete Geſchoß ſeiner
Hand, fuhr ihm in den Fuß und tödtete ihn auf der
Stelle. Herkules war ſehr betrübt, er beſtattete ihn ehren¬
voll, indem er ihn unter den Berg legte, der ſeitdem
Pholoë genannt ward. Dann ging er weiter, den Eber
zu jagen, er trieb denſelben mit Geſchrei aus dem Dickicht
des Waldes heraus, verfolgte ihn ins tiefe Schneefeld,
fing hier das erſchöpfte Thier mit einem Stricke und brach¬
te es, wie ihm befohlen war, lebendig nach Mycene.

Darauf ſchickte ihn der König Euryſtheus zur fünf¬
ten Arbeit fort, die eines Helden wenig würdig war. Er
ſollte den Viehhof des Augias in einem einzigen Tage aus¬
miſten. Augias war König in Elis und hatte eine Menge
Viehherden. Sein Vieh ſtand nach Art der Alten in ei¬
ner großen Verzäunung vor dem Pallaſte. Dreitauſend
Rinder waren da geraume Zeit geſtanden und ſo hatte
ſich ſeit vielen Jahren eine unendliche Menge Miſt an¬
gehäuft, den nun Herkules zur Schmach, und, was un¬
möglich ſchien, in einem einzigen Tage hinaus ſchaffen ſollte.

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[222/0248] Chiron ließ ſich in ſeine Höhle bringen und wünſchte hier in den Armen ſeines Freundes zu ſterben. Vergeblicher Wunſch! Der Arme hatte nicht daran gedacht, daß er zu ſeiner Qual unſterblich ſey. Herkules nahm von dem Gequälten unter vielen Thränen Abſchied und verſprach ihm, es koſte was es wolle, den Tod, den Erlöſer, zu ſenden. Wir wiſſen, daß er Wort gehalten hat. Als Herkules von der Ver¬ folgung der übrigen Centauren in ſeines Freundes Höhle zurückkehrte, fand er Pholus, ſeinen liebreichen Wirth, auch todt. Dieſer hatte aus einem Centaurenleichnam den Todespfeil gezogen; während er ſich nun wunderte, wie ein ſo kleines Ding ſo große Geſchöpfe hatte nieder¬ werfen können, entglitt das vergiftete Geſchoß ſeiner Hand, fuhr ihm in den Fuß und tödtete ihn auf der Stelle. Herkules war ſehr betrübt, er beſtattete ihn ehren¬ voll, indem er ihn unter den Berg legte, der ſeitdem Pholoë genannt ward. Dann ging er weiter, den Eber zu jagen, er trieb denſelben mit Geſchrei aus dem Dickicht des Waldes heraus, verfolgte ihn ins tiefe Schneefeld, fing hier das erſchöpfte Thier mit einem Stricke und brach¬ te es, wie ihm befohlen war, lebendig nach Mycene. Darauf ſchickte ihn der König Euryſtheus zur fünf¬ ten Arbeit fort, die eines Helden wenig würdig war. Er ſollte den Viehhof des Augias in einem einzigen Tage aus¬ miſten. Augias war König in Elis und hatte eine Menge Viehherden. Sein Vieh ſtand nach Art der Alten in ei¬ ner großen Verzäunung vor dem Pallaſte. Dreitauſend Rinder waren da geraume Zeit geſtanden und ſo hatte ſich ſeit vielen Jahren eine unendliche Menge Miſt an¬ gehäuft, den nun Herkules zur Schmach, und, was un¬ möglich ſchien, in einem einzigen Tage hinaus ſchaffen ſollte.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/248>, abgerufen am 24.11.2024.