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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Fleisch gebraten vor, während er selbst es roh verzehrte.
Aber Herkules begehrte zu der feinen Mahlzeit auch ei¬
nen guten Trunk. "Lieber Gast," sprach Pholus, "es
liegt wohl ein Faß in meinem Keller, dieses aber ge¬
hört allen Centauren gemeinschaftlich zu, und ich trage
Bedenken, es öffnen zu lassen, weil ich weiß, wie wenig
die Centauren nach Gästen fragen." "Oeffne es nur gu¬
ten Muths," erwiederte Herkules, "ich verspreche dir,
dich gegen alle ihre Anfälle zu vertheidigen; mich dür¬
stet!" Es hatte aber dieses Faß Bacchus, der Gott des
Weines, selbst einem Centauren mit dem Befehle überge¬
ben, dasselbe nicht eher zu eröffnen, als bis nach vier
Menschenaltern Herkules in dieser Gegend einkehren würde.
So ging denn Pholus in den Keller; kaum aber hatte
er das Faß eröffnet, so rochen die Centauren den Duft
des starken alten Weines und umringten, haufenweise her¬
beiströmend, mit Felsstücken und Fichtenstämmen bewaffnet,
die Höhle des Pholus. Die ersten, die es wagten einzu¬
dringen, jagte Herkules mit geschleuderten Feuerbränden zu¬
rück; die übrigen verfolgte er mit Pfeilschüssen bis nach
Malea, wo der gute Centaur Chiron, des Herkules alter
Freund, wohnte. Zu diesem flüchteten seine Stammesbrü¬
der. Aber Herkules hatte, als sie eben mit ihm zusam¬
mentrafen, auf sie mit dem Bogen gezielt und schoß ei¬
nen Pfeil ab, der durch den Arm eines andern Centau¬
ren dringend, unglücklicherweise in das Knie Chirons
fuhr, und dort stecken blieb. Jetzt erst erkannte Herkules
den Freund seiner früheren Tage, lief bekümmert hinzu,
zog den Pfeil heraus, und legte ein Heilmittel auf, das
der arzneikundige Chiron selbst hergegeben hatte. Aber die
Wunde, vom Gifte der Hyder durchdrungen, war unheilbar;

Fleiſch gebraten vor, während er ſelbſt es roh verzehrte.
Aber Herkules begehrte zu der feinen Mahlzeit auch ei¬
nen guten Trunk. „Lieber Gaſt,“ ſprach Pholus, „es
liegt wohl ein Faß in meinem Keller, dieſes aber ge¬
hört allen Centauren gemeinſchaftlich zu, und ich trage
Bedenken, es öffnen zu laſſen, weil ich weiß, wie wenig
die Centauren nach Gäſten fragen.“ „Oeffne es nur gu¬
ten Muths,“ erwiederte Herkules, „ich verſpreche dir,
dich gegen alle ihre Anfälle zu vertheidigen; mich dür¬
ſtet!“ Es hatte aber dieſes Faß Bacchus, der Gott des
Weines, ſelbſt einem Centauren mit dem Befehle überge¬
ben, daſſelbe nicht eher zu eröffnen, als bis nach vier
Menſchenaltern Herkules in dieſer Gegend einkehren würde.
So ging denn Pholus in den Keller; kaum aber hatte
er das Faß eröffnet, ſo rochen die Centauren den Duft
des ſtarken alten Weines und umringten, haufenweiſe her¬
beiſtrömend, mit Felsſtücken und Fichtenſtämmen bewaffnet,
die Höhle des Pholus. Die erſten, die es wagten einzu¬
dringen, jagte Herkules mit geſchleuderten Feuerbränden zu¬
rück; die übrigen verfolgte er mit Pfeilſchüſſen bis nach
Malea, wo der gute Centaur Chiron, des Herkules alter
Freund, wohnte. Zu dieſem flüchteten ſeine Stammesbrü¬
der. Aber Herkules hatte, als ſie eben mit ihm zuſam¬
mentrafen, auf ſie mit dem Bogen gezielt und ſchoß ei¬
nen Pfeil ab, der durch den Arm eines andern Centau¬
ren dringend, unglücklicherweiſe in das Knie Chirons
fuhr, und dort ſtecken blieb. Jetzt erſt erkannte Herkules
den Freund ſeiner früheren Tage, lief bekümmert hinzu,
zog den Pfeil heraus, und legte ein Heilmittel auf, das
der arzneikundige Chiron ſelbſt hergegeben hatte. Aber die
Wunde, vom Gifte der Hyder durchdrungen, war unheilbar;

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[221/0247] Fleiſch gebraten vor, während er ſelbſt es roh verzehrte. Aber Herkules begehrte zu der feinen Mahlzeit auch ei¬ nen guten Trunk. „Lieber Gaſt,“ ſprach Pholus, „es liegt wohl ein Faß in meinem Keller, dieſes aber ge¬ hört allen Centauren gemeinſchaftlich zu, und ich trage Bedenken, es öffnen zu laſſen, weil ich weiß, wie wenig die Centauren nach Gäſten fragen.“ „Oeffne es nur gu¬ ten Muths,“ erwiederte Herkules, „ich verſpreche dir, dich gegen alle ihre Anfälle zu vertheidigen; mich dür¬ ſtet!“ Es hatte aber dieſes Faß Bacchus, der Gott des Weines, ſelbſt einem Centauren mit dem Befehle überge¬ ben, daſſelbe nicht eher zu eröffnen, als bis nach vier Menſchenaltern Herkules in dieſer Gegend einkehren würde. So ging denn Pholus in den Keller; kaum aber hatte er das Faß eröffnet, ſo rochen die Centauren den Duft des ſtarken alten Weines und umringten, haufenweiſe her¬ beiſtrömend, mit Felsſtücken und Fichtenſtämmen bewaffnet, die Höhle des Pholus. Die erſten, die es wagten einzu¬ dringen, jagte Herkules mit geſchleuderten Feuerbränden zu¬ rück; die übrigen verfolgte er mit Pfeilſchüſſen bis nach Malea, wo der gute Centaur Chiron, des Herkules alter Freund, wohnte. Zu dieſem flüchteten ſeine Stammesbrü¬ der. Aber Herkules hatte, als ſie eben mit ihm zuſam¬ mentrafen, auf ſie mit dem Bogen gezielt und ſchoß ei¬ nen Pfeil ab, der durch den Arm eines andern Centau¬ ren dringend, unglücklicherweiſe in das Knie Chirons fuhr, und dort ſtecken blieb. Jetzt erſt erkannte Herkules den Freund ſeiner früheren Tage, lief bekümmert hinzu, zog den Pfeil heraus, und legte ein Heilmittel auf, das der arzneikundige Chiron ſelbſt hergegeben hatte. Aber die Wunde, vom Gifte der Hyder durchdrungen, war unheilbar;

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/247>, abgerufen am 21.11.2024.