sein Opfer ins Schattenreich hinabzuführen. Denn er wußte Tag und Stunde genau, an welchem dem Adme¬ tus vom Schicksale bestimmt gewesen war, zu sterben. Als Apollo den Tod herankommen sah, verließ er schnell den Königspallast, um, der Gott des Lebens, von seiner Nähe nicht entheiligt zu werden. Die fromme Alcestis aber, als sie den entscheidenden Tag sich nahen sah, reinigte sich, als Opfer des Todes, in fliessendem Wasser, nahm fest¬ liches Gewand und Geschmeide aus dem Schranke von Zedernholz und nachdem sie so sich ganz würdevoll ge¬ schmückt, betete sie vor ihrem Hausaltare zur Göttin der Unterwelt. Dann umschlang sie Kinder und Gemahl, und trat endlich, von Tag zu Tage mehr abgezehrt, zur bestimmten Stunde von ihren Dienerinnen umringt an der Seite ihres Gatten und ihrer Kinder in das Gemach, wo sie den Boten der Unterwelt empfangen wollte. Hier schickte sie sich zum feierlichen Abschiede von den Ihrigen an. "Laß mich zu dir reden, was mein Herz begehrt," sprach sie zu ihrem Gemahle. "Weil dein Leben mir theurer ist, als das meinige, sterbe ich für dich jetzt, wo mir das Sterben noch nicht drohte, wo ich, einen edlen Thessalier zum zweiten Gemahle wählend, im beglückten Fürsten¬ hause hätte wohnen können. Aber ich wollte nicht leben, deiner beraubt, die verwaisten Kinder anschauend. Dein Vater und deine Mutter haben dich verrathen, da doch ihnen Sterben rühmlicher gewesen wäre; denn dann wä¬ rest du nicht einsam geworden, und hättest keine Waisen aufzuziehen gehabt. Doch, da es die Götter einmal so gefügt haben, so bitte ich dich nur, meiner Wohlthat ein¬ gedenk zu seyn, und den Kleinen, die du nicht weniger liebest als ich, die ich sie verlassen muß, kein anderes
ſein Opfer ins Schattenreich hinabzuführen. Denn er wußte Tag und Stunde genau, an welchem dem Adme¬ tus vom Schickſale beſtimmt geweſen war, zu ſterben. Als Apollo den Tod herankommen ſah, verließ er ſchnell den Königspallaſt, um, der Gott des Lebens, von ſeiner Nähe nicht entheiligt zu werden. Die fromme Alceſtis aber, als ſie den entſcheidenden Tag ſich nahen ſah, reinigte ſich, als Opfer des Todes, in flieſſendem Waſſer, nahm feſt¬ liches Gewand und Geſchmeide aus dem Schranke von Zedernholz und nachdem ſie ſo ſich ganz würdevoll ge¬ ſchmückt, betete ſie vor ihrem Hausaltare zur Göttin der Unterwelt. Dann umſchlang ſie Kinder und Gemahl, und trat endlich, von Tag zu Tage mehr abgezehrt, zur beſtimmten Stunde von ihren Dienerinnen umringt an der Seite ihres Gatten und ihrer Kinder in das Gemach, wo ſie den Boten der Unterwelt empfangen wollte. Hier ſchickte ſie ſich zum feierlichen Abſchiede von den Ihrigen an. „Laß mich zu dir reden, was mein Herz begehrt,“ ſprach ſie zu ihrem Gemahle. „Weil dein Leben mir theurer iſt, als das meinige, ſterbe ich für dich jetzt, wo mir das Sterben noch nicht drohte, wo ich, einen edlen Theſſalier zum zweiten Gemahle wählend, im beglückten Fürſten¬ hauſe hätte wohnen können. Aber ich wollte nicht leben, deiner beraubt, die verwaiſten Kinder anſchauend. Dein Vater und deine Mutter haben dich verrathen, da doch ihnen Sterben rühmlicher geweſen wäre; denn dann wä¬ reſt du nicht einſam geworden, und hätteſt keine Waiſen aufzuziehen gehabt. Doch, da es die Götter einmal ſo gefügt haben, ſo bitte ich dich nur, meiner Wohlthat ein¬ gedenk zu ſeyn, und den Kleinen, die du nicht weniger liebeſt als ich, die ich ſie verlaſſen muß, kein anderes
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ſein Opfer ins Schattenreich hinabzuführen. Denn er
wußte Tag und Stunde genau, an welchem dem Adme¬
tus vom Schickſale beſtimmt geweſen war, zu ſterben.
Als Apollo den Tod herankommen ſah, verließ er ſchnell den
Königspallaſt, um, der Gott des Lebens, von ſeiner Nähe
nicht entheiligt zu werden. Die fromme Alceſtis aber, als
ſie den entſcheidenden Tag ſich nahen ſah, reinigte ſich,
als Opfer des Todes, in flieſſendem Waſſer, nahm feſt¬
liches Gewand und Geſchmeide aus dem Schranke von
Zedernholz und nachdem ſie ſo ſich ganz würdevoll ge¬
ſchmückt, betete ſie vor ihrem Hausaltare zur Göttin der
Unterwelt. Dann umſchlang ſie Kinder und Gemahl,
und trat endlich, von Tag zu Tage mehr abgezehrt, zur
beſtimmten Stunde von ihren Dienerinnen umringt an
der Seite ihres Gatten und ihrer Kinder in das Gemach,
wo ſie den Boten der Unterwelt empfangen wollte. Hier
ſchickte ſie ſich zum feierlichen Abſchiede von den Ihrigen an.
„Laß mich zu dir reden, was mein Herz begehrt,“ ſprach
ſie zu ihrem Gemahle. „Weil dein Leben mir theurer iſt,
als das meinige, ſterbe ich für dich jetzt, wo mir das
Sterben noch nicht drohte, wo ich, einen edlen Theſſalier
zum zweiten Gemahle wählend, im beglückten Fürſten¬
hauſe hätte wohnen können. Aber ich wollte nicht leben,
deiner beraubt, die verwaiſten Kinder anſchauend. Dein
Vater und deine Mutter haben dich verrathen, da doch
ihnen Sterben rühmlicher geweſen wäre; denn dann wä¬
reſt du nicht einſam geworden, und hätteſt keine Waiſen
aufzuziehen gehabt. Doch, da es die Götter einmal ſo
gefügt haben, ſo bitte ich dich nur, meiner Wohlthat ein¬
gedenk zu ſeyn, und den Kleinen, die du nicht weniger
liebeſt als ich, die ich ſie verlaſſen muß, kein anderes
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/268>, abgerufen am 22.11.2024.
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