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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Weib als Mutter zuzuführen, das, von Neid gequält, sie
selber plagen könnte. Denn oft sind Drachen sanftmüthi¬
ger als Stiefmütter." Unter Thränen schwur ihr der
Gemahl, daß wie sie im Leben die seine gewesen, so auch
im Tode nur sie ihm Gattin heißen solle. Dann über¬
gab ihm Alcestis die wehklagenden Kinder, und sank ohn¬
mächtig nieder.

Unter den Vorbereitungen zur Bestattung geschah
es nun, daß der umherirrende Herkules nach Pherä und
vor die Thore des Königspallastes kam. Eingelassen ge¬
rieth er in eine Unterredung mit den Dienern des Hau¬
ses, und zufällig kam Admetus selbst dazu. Dieser nahm
seinen Gast, den eigenen Kummer unterdrückend, mit
großer Herzlichkeit auf, und als Herkules, durch den An¬
blick seiner Trauerkleider betroffen, ihn um seinen Verlust
befragte, erwiederte er, um den Gast nicht zu betrüben oder
gar zu verscheuchen, auf eine so verdeckte Weise, daß
Herkules der Meinung war, es sey eine ferne Anver¬
wandte des Admetus, die zu Besuche bei dem Könige war,
gestorben. Er blieb daher fröhlichen Sinnes, ließ sich
von einem Sklaven in das Gastgemach geleiten, und
hier Wein vorsetzen. Als ihm die Traurigkeit des Die¬
ners auffiel, schalt er diesen um sein übermäßiges Leid.
"Was siehst du mich so ernst und feierlich an?" sprach er.
"Ein Diener muß gefällig gegen Fremdlinge seyn! Was
ists auch, wenn eine Fremde in eurem Hause gestorben
ist; weißt du denn nicht, daß dieß das allgemeine Loos der
Menschen ist? Den Trübseligen ist das Leben eine Qual; geh,
bekränze dich, wie du mich siehst und trinke mit mir! Ich weiß,
gewiß, ein überwallender Becher wird bald alle Runzeln
deiner Stirne vertreiben." Aber der Diener wandte sich

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Weib als Mutter zuzuführen, das, von Neid gequält, ſie
ſelber plagen könnte. Denn oft ſind Drachen ſanftmüthi¬
ger als Stiefmütter.“ Unter Thränen ſchwur ihr der
Gemahl, daß wie ſie im Leben die ſeine geweſen, ſo auch
im Tode nur ſie ihm Gattin heißen ſolle. Dann über¬
gab ihm Alceſtis die wehklagenden Kinder, und ſank ohn¬
mächtig nieder.

Unter den Vorbereitungen zur Beſtattung geſchah
es nun, daß der umherirrende Herkules nach Pherä und
vor die Thore des Königspallaſtes kam. Eingelaſſen ge¬
rieth er in eine Unterredung mit den Dienern des Hau¬
ſes, und zufällig kam Admetus ſelbſt dazu. Dieſer nahm
ſeinen Gaſt, den eigenen Kummer unterdrückend, mit
großer Herzlichkeit auf, und als Herkules, durch den An¬
blick ſeiner Trauerkleider betroffen, ihn um ſeinen Verluſt
befragte, erwiederte er, um den Gaſt nicht zu betrüben oder
gar zu verſcheuchen, auf eine ſo verdeckte Weiſe, daß
Herkules der Meinung war, es ſey eine ferne Anver¬
wandte des Admetus, die zu Beſuche bei dem Könige war,
geſtorben. Er blieb daher fröhlichen Sinnes, ließ ſich
von einem Sklaven in das Gaſtgemach geleiten, und
hier Wein vorſetzen. Als ihm die Traurigkeit des Die¬
ners auffiel, ſchalt er dieſen um ſein übermäßiges Leid.
„Was ſiehſt du mich ſo ernſt und feierlich an?“ ſprach er.
„Ein Diener muß gefällig gegen Fremdlinge ſeyn! Was
iſts auch, wenn eine Fremde in eurem Hauſe geſtorben
iſt; weißt du denn nicht, daß dieß das allgemeine Loos der
Menſchen iſt? Den Trübſeligen iſt das Leben eine Qual; geh,
bekränze dich, wie du mich ſiehſt und trinke mit mir! Ich weiß,
gewiß, ein überwallender Becher wird bald alle Runzeln
deiner Stirne vertreiben.“ Aber der Diener wandte ſich

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[243/0269] Weib als Mutter zuzuführen, das, von Neid gequält, ſie ſelber plagen könnte. Denn oft ſind Drachen ſanftmüthi¬ ger als Stiefmütter.“ Unter Thränen ſchwur ihr der Gemahl, daß wie ſie im Leben die ſeine geweſen, ſo auch im Tode nur ſie ihm Gattin heißen ſolle. Dann über¬ gab ihm Alceſtis die wehklagenden Kinder, und ſank ohn¬ mächtig nieder. Unter den Vorbereitungen zur Beſtattung geſchah es nun, daß der umherirrende Herkules nach Pherä und vor die Thore des Königspallaſtes kam. Eingelaſſen ge¬ rieth er in eine Unterredung mit den Dienern des Hau¬ ſes, und zufällig kam Admetus ſelbſt dazu. Dieſer nahm ſeinen Gaſt, den eigenen Kummer unterdrückend, mit großer Herzlichkeit auf, und als Herkules, durch den An¬ blick ſeiner Trauerkleider betroffen, ihn um ſeinen Verluſt befragte, erwiederte er, um den Gaſt nicht zu betrüben oder gar zu verſcheuchen, auf eine ſo verdeckte Weiſe, daß Herkules der Meinung war, es ſey eine ferne Anver¬ wandte des Admetus, die zu Beſuche bei dem Könige war, geſtorben. Er blieb daher fröhlichen Sinnes, ließ ſich von einem Sklaven in das Gaſtgemach geleiten, und hier Wein vorſetzen. Als ihm die Traurigkeit des Die¬ ners auffiel, ſchalt er dieſen um ſein übermäßiges Leid. „Was ſiehſt du mich ſo ernſt und feierlich an?“ ſprach er. „Ein Diener muß gefällig gegen Fremdlinge ſeyn! Was iſts auch, wenn eine Fremde in eurem Hauſe geſtorben iſt; weißt du denn nicht, daß dieß das allgemeine Loos der Menſchen iſt? Den Trübſeligen iſt das Leben eine Qual; geh, bekränze dich, wie du mich ſiehſt und trinke mit mir! Ich weiß, gewiß, ein überwallender Becher wird bald alle Runzeln deiner Stirne vertreiben.“ Aber der Diener wandte ſich 16 *

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/269>, abgerufen am 22.11.2024.