der Verstorbenen gespendet wird. Dann springe ich aus meinem Hinterhalte hervor, ergreife ihn schnell, umschlinge ihn mit den Händen, und keine Macht auf Erden soll ihn mir entreißen, ehe er mir seine Beute überläßt." Mit diesem Vor¬ satze verließ er in aller Stille den Pallast des Königs.
Admetus war in sein verödetes Haus zurückgekehrt und trauerte mit seinen verlassenen Kindern in schmerz¬ licher Sehnsucht nach der geopferten Gattin, und kein Trost getreuer Diener vermochte seinen Kummer zu lin¬ dern. Da betrat sein Gastfreund Herkules die Schwelle wieder, ein verschleiertes Weib an der Hand führend. "Du hast nicht wohl daran gethan, o König," sagte er, "mir den Tod deiner Gattin zu verhehlen; du nahmst mich in dein Haus auf, als ob nur fremdes Leiden dich bekümmer¬ te; so habe ich unwissend groß Unrecht gethan, und im Unglückshause fröhliches Trankopfer ausgegossen. Doch will ich dich in deinem Ungemache nicht noch weiter be¬ trüben. Höre jedoch, warum ich noch einmal gekommen bin. Diese Jungfrau hier habe ich als Siegeslohn bei einem Kampfspiele empfangen. Nun gehe ich hin, den König der Bistonier in Thracien zu bekriegen. Bis ich diesen Zug vollbracht habe, übergebe ich dir die Jungfrau als Dienerin, sorge du für sie als das Eigenthum ei¬ nes Freundes."
Admetus erschrak, als er den Herkules so sprechen hörte. "Nicht, weil ich den Freund verachtet oder verkannt hätte," erwiederte er, "habe ich dir meiner Gattin Tod verborgen, sondern um mir nicht noch mehr Leiden da¬ durch zu bereiten, daß ich dich in eines anderen Freundes Haus davon ziehen ließe. Dieses Weib aber, Herr, bitte ich dich, einem andern Bewohner von Pherä zuzuführen,
der Verſtorbenen geſpendet wird. Dann ſpringe ich aus meinem Hinterhalte hervor, ergreife ihn ſchnell, umſchlinge ihn mit den Händen, und keine Macht auf Erden ſoll ihn mir entreißen, ehe er mir ſeine Beute überläßt.“ Mit dieſem Vor¬ ſatze verließ er in aller Stille den Pallaſt des Königs.
Admetus war in ſein verödetes Haus zurückgekehrt und trauerte mit ſeinen verlaſſenen Kindern in ſchmerz¬ licher Sehnſucht nach der geopferten Gattin, und kein Troſt getreuer Diener vermochte ſeinen Kummer zu lin¬ dern. Da betrat ſein Gaſtfreund Herkules die Schwelle wieder, ein verſchleiertes Weib an der Hand führend. „Du haſt nicht wohl daran gethan, o König,“ ſagte er, „mir den Tod deiner Gattin zu verhehlen; du nahmſt mich in dein Haus auf, als ob nur fremdes Leiden dich bekümmer¬ te; ſo habe ich unwiſſend groß Unrecht gethan, und im Unglückshauſe fröhliches Trankopfer ausgegoſſen. Doch will ich dich in deinem Ungemache nicht noch weiter be¬ trüben. Höre jedoch, warum ich noch einmal gekommen bin. Dieſe Jungfrau hier habe ich als Siegeslohn bei einem Kampfſpiele empfangen. Nun gehe ich hin, den König der Biſtonier in Thracien zu bekriegen. Bis ich dieſen Zug vollbracht habe, übergebe ich dir die Jungfrau als Dienerin, ſorge du für ſie als das Eigenthum ei¬ nes Freundes.“
Admetus erſchrak, als er den Herkules ſo ſprechen hörte. „Nicht, weil ich den Freund verachtet oder verkannt hätte,“ erwiederte er, „habe ich dir meiner Gattin Tod verborgen, ſondern um mir nicht noch mehr Leiden da¬ durch zu bereiten, daß ich dich in eines anderen Freundes Haus davon ziehen ließe. Dieſes Weib aber, Herr, bitte ich dich, einem andern Bewohner von Pherä zuzuführen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0271"n="245"/>
der Verſtorbenen geſpendet wird. Dann ſpringe ich aus<lb/>
meinem Hinterhalte hervor, ergreife ihn ſchnell, umſchlinge<lb/>
ihn mit den Händen, und keine Macht auf Erden ſoll ihn mir<lb/>
entreißen, ehe er mir ſeine Beute überläßt.“ Mit dieſem Vor¬<lb/>ſatze verließ er in aller Stille den Pallaſt des Königs.</p><lb/><p>Admetus war in ſein verödetes Haus zurückgekehrt<lb/>
und trauerte mit ſeinen verlaſſenen Kindern in ſchmerz¬<lb/>
licher Sehnſucht nach der geopferten Gattin, und kein<lb/>
Troſt getreuer Diener vermochte ſeinen Kummer zu lin¬<lb/>
dern. Da betrat ſein Gaſtfreund Herkules die Schwelle<lb/>
wieder, ein verſchleiertes Weib an der Hand führend. „Du<lb/>
haſt nicht wohl daran gethan, o König,“ſagte er, „mir<lb/>
den Tod deiner Gattin zu verhehlen; du nahmſt mich in<lb/>
dein Haus auf, als ob nur fremdes Leiden dich bekümmer¬<lb/>
te; ſo habe ich unwiſſend groß Unrecht gethan, und im<lb/>
Unglückshauſe fröhliches Trankopfer ausgegoſſen. Doch<lb/>
will ich dich in deinem Ungemache nicht noch weiter be¬<lb/>
trüben. Höre jedoch, warum ich noch einmal gekommen<lb/>
bin. Dieſe Jungfrau hier habe ich als Siegeslohn bei<lb/>
einem Kampfſpiele empfangen. Nun gehe ich hin, den<lb/>
König der Biſtonier in Thracien zu bekriegen. Bis ich<lb/>
dieſen Zug vollbracht habe, übergebe ich dir die Jungfrau<lb/>
als Dienerin, ſorge du für ſie als das Eigenthum ei¬<lb/>
nes Freundes.“</p><lb/><p>Admetus erſchrak, als er den Herkules ſo ſprechen<lb/>
hörte. „Nicht, weil ich den Freund verachtet oder verkannt<lb/>
hätte,“ erwiederte er, „habe ich dir meiner Gattin Tod<lb/>
verborgen, ſondern um mir nicht noch mehr Leiden da¬<lb/>
durch zu bereiten, daß ich dich in eines anderen Freundes<lb/>
Haus davon ziehen ließe. Dieſes Weib aber, Herr, bitte<lb/>
ich dich, einem andern Bewohner von Pherä zuzuführen,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[245/0271]
der Verſtorbenen geſpendet wird. Dann ſpringe ich aus
meinem Hinterhalte hervor, ergreife ihn ſchnell, umſchlinge
ihn mit den Händen, und keine Macht auf Erden ſoll ihn mir
entreißen, ehe er mir ſeine Beute überläßt.“ Mit dieſem Vor¬
ſatze verließ er in aller Stille den Pallaſt des Königs.
Admetus war in ſein verödetes Haus zurückgekehrt
und trauerte mit ſeinen verlaſſenen Kindern in ſchmerz¬
licher Sehnſucht nach der geopferten Gattin, und kein
Troſt getreuer Diener vermochte ſeinen Kummer zu lin¬
dern. Da betrat ſein Gaſtfreund Herkules die Schwelle
wieder, ein verſchleiertes Weib an der Hand führend. „Du
haſt nicht wohl daran gethan, o König,“ ſagte er, „mir
den Tod deiner Gattin zu verhehlen; du nahmſt mich in
dein Haus auf, als ob nur fremdes Leiden dich bekümmer¬
te; ſo habe ich unwiſſend groß Unrecht gethan, und im
Unglückshauſe fröhliches Trankopfer ausgegoſſen. Doch
will ich dich in deinem Ungemache nicht noch weiter be¬
trüben. Höre jedoch, warum ich noch einmal gekommen
bin. Dieſe Jungfrau hier habe ich als Siegeslohn bei
einem Kampfſpiele empfangen. Nun gehe ich hin, den
König der Biſtonier in Thracien zu bekriegen. Bis ich
dieſen Zug vollbracht habe, übergebe ich dir die Jungfrau
als Dienerin, ſorge du für ſie als das Eigenthum ei¬
nes Freundes.“
Admetus erſchrak, als er den Herkules ſo ſprechen
hörte. „Nicht, weil ich den Freund verachtet oder verkannt
hätte,“ erwiederte er, „habe ich dir meiner Gattin Tod
verborgen, ſondern um mir nicht noch mehr Leiden da¬
durch zu bereiten, daß ich dich in eines anderen Freundes
Haus davon ziehen ließe. Dieſes Weib aber, Herr, bitte
ich dich, einem andern Bewohner von Pherä zuzuführen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/271>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.