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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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nicht mir, der ich so viel gelitten habe. Hast du ja doch
genug Gastfreunde in dieser Stadt. Wie könnte ich
ohne Thränen diese Jungfrau in meinem Hause er¬
blicken? Den Männeraufenhalt könnte ich ihr nicht
zur Wohnung geben, und sollte ich ihr die Gemä¬
cher der verstorbenen Gattin einräumen? Das sey ferne!
Ich fürchte die üble Nachrede der Pheräer, ich fürchte
auch den Tadel der Entschlafenen!" So sprach abweh¬
rend der König, aber ein wunderbares Sehnen zog seine
Blicke doch wieder auf die tief verschleierte Gestalt. "Wer
du auch seyest, o Weib," sagte er seufzend, "wisse, daß
du an Größe und Gestalt wundersam meiner Alcestis
gleichest. Bei den Göttern beschwöre ich dich, Herkules,
führe mir diese Frau aus den Augen, und quäle den Ge¬
quälten nicht noch mehr; denn wenn ich sie erblicke, wähne
ich mein verstorbenes Gemahl zu sehen, ein Strom von Thrä¬
nen bricht aus meinen Augen, und aufs Neue versinke ich
in Kümmerniß." Herkules unterdrückte sein wahres Gefühl
und antwortete betrübt: "O wäre mir von Jupiter die Macht
verliehen, dir dein heldenmüthiges Weib aus dem Schat¬
tenreich ans Licht zurückzuführen, und dir für deine Güte
solche Gunst zu erweisen!" "Ich weiß, du thätest es,"
erwiederte Admet, "wann aber kehrte je ein Todter aus
dem Schattenreiche zurück?" "Nun," fuhr Herkules lebhafter
fort, "weil dieß nicht geschehen kann, so gestatte der Zeit,
deinen Kummer zu lindern, den Todten geschieht doch
kein Gefallen mit deiner Trauer. Verbanne auch den
Gedanken nicht ganz, daß eine zweite Gattin dir einst
noch das Leben erheitern kann. Endlich, mir zu Liebe
nimm das edle Mädchen, das ich dir hier bringe, in dein
Haus auf. Versuch es wenigstens; sobald es dir nicht

nicht mir, der ich ſo viel gelitten habe. Haſt du ja doch
genug Gaſtfreunde in dieſer Stadt. Wie könnte ich
ohne Thränen dieſe Jungfrau in meinem Hauſe er¬
blicken? Den Männeraufenhalt könnte ich ihr nicht
zur Wohnung geben, und ſollte ich ihr die Gemä¬
cher der verſtorbenen Gattin einräumen? Das ſey ferne!
Ich fürchte die üble Nachrede der Pheräer, ich fürchte
auch den Tadel der Entſchlafenen!“ So ſprach abweh¬
rend der König, aber ein wunderbares Sehnen zog ſeine
Blicke doch wieder auf die tief verſchleierte Geſtalt. „Wer
du auch ſeyeſt, o Weib,“ ſagte er ſeufzend, „wiſſe, daß
du an Größe und Geſtalt wunderſam meiner Alceſtis
gleicheſt. Bei den Göttern beſchwöre ich dich, Herkules,
führe mir dieſe Frau aus den Augen, und quäle den Ge¬
quälten nicht noch mehr; denn wenn ich ſie erblicke, wähne
ich mein verſtorbenes Gemahl zu ſehen, ein Strom von Thrä¬
nen bricht aus meinen Augen, und aufs Neue verſinke ich
in Kümmerniß.“ Herkules unterdrückte ſein wahres Gefühl
und antwortete betrübt: „O wäre mir von Jupiter die Macht
verliehen, dir dein heldenmüthiges Weib aus dem Schat¬
tenreich ans Licht zurückzuführen, und dir für deine Güte
ſolche Gunſt zu erweiſen!“ „Ich weiß, du thäteſt es,“
erwiederte Admet, „wann aber kehrte je ein Todter aus
dem Schattenreiche zurück?“ „Nun,“ fuhr Herkules lebhafter
fort, „weil dieß nicht geſchehen kann, ſo geſtatte der Zeit,
deinen Kummer zu lindern, den Todten geſchieht doch
kein Gefallen mit deiner Trauer. Verbanne auch den
Gedanken nicht ganz, daß eine zweite Gattin dir einſt
noch das Leben erheitern kann. Endlich, mir zu Liebe
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Haus auf. Verſuch es wenigſtens; ſobald es dir nicht

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[246/0272] nicht mir, der ich ſo viel gelitten habe. Haſt du ja doch genug Gaſtfreunde in dieſer Stadt. Wie könnte ich ohne Thränen dieſe Jungfrau in meinem Hauſe er¬ blicken? Den Männeraufenhalt könnte ich ihr nicht zur Wohnung geben, und ſollte ich ihr die Gemä¬ cher der verſtorbenen Gattin einräumen? Das ſey ferne! Ich fürchte die üble Nachrede der Pheräer, ich fürchte auch den Tadel der Entſchlafenen!“ So ſprach abweh¬ rend der König, aber ein wunderbares Sehnen zog ſeine Blicke doch wieder auf die tief verſchleierte Geſtalt. „Wer du auch ſeyeſt, o Weib,“ ſagte er ſeufzend, „wiſſe, daß du an Größe und Geſtalt wunderſam meiner Alceſtis gleicheſt. Bei den Göttern beſchwöre ich dich, Herkules, führe mir dieſe Frau aus den Augen, und quäle den Ge¬ quälten nicht noch mehr; denn wenn ich ſie erblicke, wähne ich mein verſtorbenes Gemahl zu ſehen, ein Strom von Thrä¬ nen bricht aus meinen Augen, und aufs Neue verſinke ich in Kümmerniß.“ Herkules unterdrückte ſein wahres Gefühl und antwortete betrübt: „O wäre mir von Jupiter die Macht verliehen, dir dein heldenmüthiges Weib aus dem Schat¬ tenreich ans Licht zurückzuführen, und dir für deine Güte ſolche Gunſt zu erweiſen!“ „Ich weiß, du thäteſt es,“ erwiederte Admet, „wann aber kehrte je ein Todter aus dem Schattenreiche zurück?“ „Nun,“ fuhr Herkules lebhafter fort, „weil dieß nicht geſchehen kann, ſo geſtatte der Zeit, deinen Kummer zu lindern, den Todten geſchieht doch kein Gefallen mit deiner Trauer. Verbanne auch den Gedanken nicht ganz, daß eine zweite Gattin dir einſt noch das Leben erheitern kann. Endlich, mir zu Liebe nimm das edle Mädchen, das ich dir hier bringe, in dein Haus auf. Verſuch es wenigſtens; ſobald es dir nicht

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/272>, abgerufen am 22.11.2024.