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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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frommen sollte, soll sie dein Haus wieder verlassen!"
Admet sah sich von dem Gaste, den er nicht beleidigen
wollte, bedrängt; er befahl, jedoch nur ungerne, daß die
Diener das Weib in die innern Gemächer geleiten sollten.
Aber Herkules gab dieses nicht zu. "Vertraue, sprach er,
mein Kleinod keinen Sklavenhänden, o Fürst! Du selbst,
wenn es dir gefällt, sollst sie hinein führen!" "Nein,"
sprach Admet, "ich berühre sie nicht, ich würde schon so
das Wort, das ich der geliebten Todten gegeben habe, zu
verletzen glauben. Eingehen möge sie, aber ohne mich!"
Doch Herkules ruhte nicht, bis er die Hand der Ver¬
schleierten ergriffen hatte. "Nun dann," sagte Herkules
freudig, "so bewahre sie; blicke die Jungfrau auch recht
an, ob sie wirklich deinem Ehegemahl gleicht, und ende
deinen Gram!"

Damit enthüllte er die Verschleierte und gab dem in
Staunen zweifelnden König seine wiederbelebte Gemahlin
zu schauen. Während er selbst, wie leblos, die Lebende
an der Hand hielt und sich mit Furcht und Zittern an
ihrem Anblicke weidete, erzählte ihm der Halbgott, wie
er den Thanatos am Grabeshügel ergriffen und seine
Beute ihm abgerungen habe. Da sank Admetus in die
Arme seines Weibes. Aber diese blieb sprachlos und
durfte seinen zärtlichen Ausruf nicht erwiedern. "Du
wirst," belehrte ihn Herkules, "ihre Stimme nicht wieder
vernehmen, als bis die Todtenweihe von ihr genommen
und der dritte Tag erschienen ist. Doch führe sie getrost
hinein in dein Gemach und freue dich ihres Besitzes.
Er ist dir zu Theil geworden, weil du an Fremdlingen
so edle Gastfreundschaft geübt hast! Mich aber laß mei¬
nem Geschicke nachziehen!" "So zeuch in Frieden, Held!"

frommen ſollte, ſoll ſie dein Haus wieder verlaſſen!“
Admet ſah ſich von dem Gaſte, den er nicht beleidigen
wollte, bedrängt; er befahl, jedoch nur ungerne, daß die
Diener das Weib in die innern Gemächer geleiten ſollten.
Aber Herkules gab dieſes nicht zu. „Vertraue, ſprach er,
mein Kleinod keinen Sklavenhänden, o Fürſt! Du ſelbſt,
wenn es dir gefällt, ſollſt ſie hinein führen!“ „Nein,“
ſprach Admet, „ich berühre ſie nicht, ich würde ſchon ſo
das Wort, das ich der geliebten Todten gegeben habe, zu
verletzen glauben. Eingehen möge ſie, aber ohne mich!“
Doch Herkules ruhte nicht, bis er die Hand der Ver¬
ſchleierten ergriffen hatte. „Nun dann,“ ſagte Herkules
freudig, „ſo bewahre ſie; blicke die Jungfrau auch recht
an, ob ſie wirklich deinem Ehegemahl gleicht, und ende
deinen Gram!“

Damit enthüllte er die Verſchleierte und gab dem in
Staunen zweifelnden König ſeine wiederbelebte Gemahlin
zu ſchauen. Während er ſelbſt, wie leblos, die Lebende
an der Hand hielt und ſich mit Furcht und Zittern an
ihrem Anblicke weidete, erzählte ihm der Halbgott, wie
er den Thanatos am Grabeshügel ergriffen und ſeine
Beute ihm abgerungen habe. Da ſank Admetus in die
Arme ſeines Weibes. Aber dieſe blieb ſprachlos und
durfte ſeinen zärtlichen Ausruf nicht erwiedern. „Du
wirſt,“ belehrte ihn Herkules, „ihre Stimme nicht wieder
vernehmen, als bis die Todtenweihe von ihr genommen
und der dritte Tag erſchienen iſt. Doch führe ſie getroſt
hinein in dein Gemach und freue dich ihres Beſitzes.
Er iſt dir zu Theil geworden, weil du an Fremdlingen
ſo edle Gaſtfreundſchaft geübt haſt! Mich aber laß mei¬
nem Geſchicke nachziehen!“ „So zeuch in Frieden, Held!“

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[247/0273] frommen ſollte, ſoll ſie dein Haus wieder verlaſſen!“ Admet ſah ſich von dem Gaſte, den er nicht beleidigen wollte, bedrängt; er befahl, jedoch nur ungerne, daß die Diener das Weib in die innern Gemächer geleiten ſollten. Aber Herkules gab dieſes nicht zu. „Vertraue, ſprach er, mein Kleinod keinen Sklavenhänden, o Fürſt! Du ſelbſt, wenn es dir gefällt, ſollſt ſie hinein führen!“ „Nein,“ ſprach Admet, „ich berühre ſie nicht, ich würde ſchon ſo das Wort, das ich der geliebten Todten gegeben habe, zu verletzen glauben. Eingehen möge ſie, aber ohne mich!“ Doch Herkules ruhte nicht, bis er die Hand der Ver¬ ſchleierten ergriffen hatte. „Nun dann,“ ſagte Herkules freudig, „ſo bewahre ſie; blicke die Jungfrau auch recht an, ob ſie wirklich deinem Ehegemahl gleicht, und ende deinen Gram!“ Damit enthüllte er die Verſchleierte und gab dem in Staunen zweifelnden König ſeine wiederbelebte Gemahlin zu ſchauen. Während er ſelbſt, wie leblos, die Lebende an der Hand hielt und ſich mit Furcht und Zittern an ihrem Anblicke weidete, erzählte ihm der Halbgott, wie er den Thanatos am Grabeshügel ergriffen und ſeine Beute ihm abgerungen habe. Da ſank Admetus in die Arme ſeines Weibes. Aber dieſe blieb ſprachlos und durfte ſeinen zärtlichen Ausruf nicht erwiedern. „Du wirſt,“ belehrte ihn Herkules, „ihre Stimme nicht wieder vernehmen, als bis die Todtenweihe von ihr genommen und der dritte Tag erſchienen iſt. Doch führe ſie getroſt hinein in dein Gemach und freue dich ihres Beſitzes. Er iſt dir zu Theil geworden, weil du an Fremdlingen ſo edle Gaſtfreundſchaft geübt haſt! Mich aber laß mei¬ nem Geſchicke nachziehen!“ „So zeuch in Frieden, Held!“

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/273>, abgerufen am 22.11.2024.