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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Fern vom Feuer, unberührt vom Strahle des Lich¬
tes hatte Deianira, der Vorschrift des tückischen Centauren
gemäß, die Salbe, die sie vom giftigen Blute seiner Pfeil¬
wunde gesammelt, am verborgenen Orte bewahrt. An
dieses Zaubermittel, das sie, unerfahren in den Ränken,
welche Rache spinnt, für ganz unschädlich hielt, und das
ihr nur das Herz und die Treue des Gatten wieder ge¬
winnen sollte, dachte nun die gedrängte Fürstin zum er¬
stenmale wieder, seit sie es sorgsam verhüllt im Schranke
geborgen. Jetzt galt es zu handeln. Sie schlich sich da¬
her in das Gemach, und färbte mit einer Flocke von
weißem Lämmerfließe, welche sie mit der Salbe getränkt
hatte, im Verborgenen ein köstliches Unterkleid, das für
Herkules bestimmt war. Sorgfältig hütete sie während
dieser Arbeit Flocke und Gewand vor dem Sonnenstrahl,
und schloß das blutroth gefärbte Kleid, schön zusammen¬
gefaltet, in ein Kästchen ein. Als dieß geschehen war,
warf sie die Wolle, die zu nichts mehr dienlich, auf die
Erde, ging und überreichte dem herbeigerufenen Lichas
das für ihren Gemahl bestimmte Geschenk. "Bring' mei¬
nem Gemahl," sprach sie, "dieses schöngewobene Leibgewand,
meiner eigenen Hände Werk. Kein andrer soll es tra¬
gen, als er selbst, auch soll er das Kleid nicht dem
Feuerherde oder dem Sonnenglanz aussetzen, bevor er
es, am feierlichen Opfertage damit geschmückt, den Göt¬
tern gezeigt hat. Denn dieses Gelübde habe ich gethan,
wenn ich ihn je siegreich zurückkehren sehen würde. Daß du
ihm wirklich meine Botschaft bringest, soll er an diesem
Siegelringe erkennen, den ich dir für ihn anvertraue."
Lichas versprach alles auszurichten, wie die Herrin be¬
fohlen; er verweilte keinen Augenblick länger im Pallast,

Fern vom Feuer, unberührt vom Strahle des Lich¬
tes hatte Deïanira, der Vorſchrift des tückiſchen Centauren
gemäß, die Salbe, die ſie vom giftigen Blute ſeiner Pfeil¬
wunde geſammelt, am verborgenen Orte bewahrt. An
dieſes Zaubermittel, das ſie, unerfahren in den Ränken,
welche Rache ſpinnt, für ganz unſchädlich hielt, und das
ihr nur das Herz und die Treue des Gatten wieder ge¬
winnen ſollte, dachte nun die gedrängte Fürſtin zum er¬
ſtenmale wieder, ſeit ſie es ſorgſam verhüllt im Schranke
geborgen. Jetzt galt es zu handeln. Sie ſchlich ſich da¬
her in das Gemach, und färbte mit einer Flocke von
weißem Lämmerfließe, welche ſie mit der Salbe getränkt
hatte, im Verborgenen ein köſtliches Unterkleid, das für
Herkules beſtimmt war. Sorgfältig hütete ſie während
dieſer Arbeit Flocke und Gewand vor dem Sonnenſtrahl,
und ſchloß das blutroth gefärbte Kleid, ſchön zuſammen¬
gefaltet, in ein Käſtchen ein. Als dieß geſchehen war,
warf ſie die Wolle, die zu nichts mehr dienlich, auf die
Erde, ging und überreichte dem herbeigerufenen Lichas
das für ihren Gemahl beſtimmte Geſchenk. „Bring' mei¬
nem Gemahl,“ ſprach ſie, „dieſes ſchöngewobene Leibgewand,
meiner eigenen Hände Werk. Kein andrer ſoll es tra¬
gen, als er ſelbſt, auch ſoll er das Kleid nicht dem
Feuerherde oder dem Sonnenglanz ausſetzen, bevor er
es, am feierlichen Opfertage damit geſchmückt, den Göt¬
tern gezeigt hat. Denn dieſes Gelübde habe ich gethan,
wenn ich ihn je ſiegreich zurückkehren ſehen würde. Daß du
ihm wirklich meine Botſchaft bringeſt, ſoll er an dieſem
Siegelringe erkennen, den ich dir für ihn anvertraue.“
Lichas verſprach alles auszurichten, wie die Herrin be¬
fohlen; er verweilte keinen Augenblick länger im Pallaſt,

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[263/0289] Fern vom Feuer, unberührt vom Strahle des Lich¬ tes hatte Deïanira, der Vorſchrift des tückiſchen Centauren gemäß, die Salbe, die ſie vom giftigen Blute ſeiner Pfeil¬ wunde geſammelt, am verborgenen Orte bewahrt. An dieſes Zaubermittel, das ſie, unerfahren in den Ränken, welche Rache ſpinnt, für ganz unſchädlich hielt, und das ihr nur das Herz und die Treue des Gatten wieder ge¬ winnen ſollte, dachte nun die gedrängte Fürſtin zum er¬ ſtenmale wieder, ſeit ſie es ſorgſam verhüllt im Schranke geborgen. Jetzt galt es zu handeln. Sie ſchlich ſich da¬ her in das Gemach, und färbte mit einer Flocke von weißem Lämmerfließe, welche ſie mit der Salbe getränkt hatte, im Verborgenen ein köſtliches Unterkleid, das für Herkules beſtimmt war. Sorgfältig hütete ſie während dieſer Arbeit Flocke und Gewand vor dem Sonnenſtrahl, und ſchloß das blutroth gefärbte Kleid, ſchön zuſammen¬ gefaltet, in ein Käſtchen ein. Als dieß geſchehen war, warf ſie die Wolle, die zu nichts mehr dienlich, auf die Erde, ging und überreichte dem herbeigerufenen Lichas das für ihren Gemahl beſtimmte Geſchenk. „Bring' mei¬ nem Gemahl,“ ſprach ſie, „dieſes ſchöngewobene Leibgewand, meiner eigenen Hände Werk. Kein andrer ſoll es tra¬ gen, als er ſelbſt, auch ſoll er das Kleid nicht dem Feuerherde oder dem Sonnenglanz ausſetzen, bevor er es, am feierlichen Opfertage damit geſchmückt, den Göt¬ tern gezeigt hat. Denn dieſes Gelübde habe ich gethan, wenn ich ihn je ſiegreich zurückkehren ſehen würde. Daß du ihm wirklich meine Botſchaft bringeſt, ſoll er an dieſem Siegelringe erkennen, den ich dir für ihn anvertraue.“ Lichas verſprach alles auszurichten, wie die Herrin be¬ fohlen; er verweilte keinen Augenblick länger im Pallaſt,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/289>, abgerufen am 22.11.2024.