das Roß gefunden hatte, eingeschlafen. Da erschien ihm im Traume seine Beschirmerin Minerva; sie stand vor ihm, einen köstlichen Zaum mit goldenen Buckeln in der Hand und sprach: "Was schläfst du, Abkömmling des Aeolus? Nimm dieses rossebändigende Werkzeug; opfre dem Neptunus einen schönen Stier, und brauche des Zaums." So schien sie dem Helden im Traume zuzu¬ sprechen, schüttelte ihren dunkeln Aegisschild und ver¬ schwand. Er aber erwachte aus dem Schlafe, sprang auf und faßte mit der Hand nach dem Zaume. Und, o Wunder, der Zaum, nach dem er im Traume gegriffen, der Wachende hielt ihn wirklich und leibhaft in der Hand. Bellerophontes suchte nun den Seher Polyidus auf und erzählte ihm seinen Traum, so wie das Wunder, das sich in demselben zugetragen. Der Seher rieth ihm, das Begehren der Göttin ungesäumt zu erfüllen, dem Neptunus den Stier zu schlachten, und seiner Schutz¬ göttin Minerva einen Altar zu bauen. Als dieß Alles geschehen war, fing und bändigte Bellerophontes das Flü¬ gelroß ohne alle Mühe, legte ihm den goldenen Zaum an, und bestieg es in eherner Rüstung. Nun schoß er aus den Lüften herab, und tödtete die Chimära mit sei¬ nen Pfeilen. Hierauf schickte ihn Jobates gegen das Volk der Solymer aus, ein streitbares Männergeschlecht, das an den Gränzen von Lycien wohnte, und nachdem er wider Erwarten den härtesten Kampf mit diesen glücklich bestanden, so wurde er von dem Könige gegen die männergleiche Schaar der Amazonen gesandt. Auch aus diesem Streite kam er unverletzt und siegreich zurück. Nun legte ihm der König, um dem Verlangen seines Eidams doch endlich nachzukommen, eben auf diesem Rückwege einen
das Roß gefunden hatte, eingeſchlafen. Da erſchien ihm im Traume ſeine Beſchirmerin Minerva; ſie ſtand vor ihm, einen köſtlichen Zaum mit goldenen Buckeln in der Hand und ſprach: „Was ſchläfſt du, Abkömmling des Aeolus? Nimm dieſes roſſebändigende Werkzeug; opfre dem Neptunus einen ſchönen Stier, und brauche des Zaums.“ So ſchien ſie dem Helden im Traume zuzu¬ ſprechen, ſchüttelte ihren dunkeln Aegisſchild und ver¬ ſchwand. Er aber erwachte aus dem Schlafe, ſprang auf und faßte mit der Hand nach dem Zaume. Und, o Wunder, der Zaum, nach dem er im Traume gegriffen, der Wachende hielt ihn wirklich und leibhaft in der Hand. Bellerophontes ſuchte nun den Seher Polyidus auf und erzählte ihm ſeinen Traum, ſo wie das Wunder, das ſich in demſelben zugetragen. Der Seher rieth ihm, das Begehren der Göttin ungeſäumt zu erfüllen, dem Neptunus den Stier zu ſchlachten, und ſeiner Schutz¬ göttin Minerva einen Altar zu bauen. Als dieß Alles geſchehen war, fing und bändigte Bellerophontes das Flü¬ gelroß ohne alle Mühe, legte ihm den goldenen Zaum an, und beſtieg es in eherner Rüſtung. Nun ſchoß er aus den Lüften herab, und tödtete die Chimära mit ſei¬ nen Pfeilen. Hierauf ſchickte ihn Jobates gegen das Volk der Solymer aus, ein ſtreitbares Männergeſchlecht, das an den Gränzen von Lycien wohnte, und nachdem er wider Erwarten den härteſten Kampf mit dieſen glücklich beſtanden, ſo wurde er von dem Könige gegen die männergleiche Schaar der Amazonen geſandt. Auch aus dieſem Streite kam er unverletzt und ſiegreich zurück. Nun legte ihm der König, um dem Verlangen ſeines Eidams doch endlich nachzukommen, eben auf dieſem Rückwege einen
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das Roß gefunden hatte, eingeſchlafen. Da erſchien ihm
im Traume ſeine Beſchirmerin Minerva; ſie ſtand vor
ihm, einen köſtlichen Zaum mit goldenen Buckeln in der
Hand und ſprach: „Was ſchläfſt du, Abkömmling des
Aeolus? Nimm dieſes roſſebändigende Werkzeug; opfre
dem Neptunus einen ſchönen Stier, und brauche des
Zaums.“ So ſchien ſie dem Helden im Traume zuzu¬
ſprechen, ſchüttelte ihren dunkeln Aegisſchild und ver¬
ſchwand. Er aber erwachte aus dem Schlafe, ſprang
auf und faßte mit der Hand nach dem Zaume. Und, o
Wunder, der Zaum, nach dem er im Traume gegriffen,
der Wachende hielt ihn wirklich und leibhaft in der
Hand. Bellerophontes ſuchte nun den Seher Polyidus
auf und erzählte ihm ſeinen Traum, ſo wie das Wunder,
das ſich in demſelben zugetragen. Der Seher rieth ihm,
das Begehren der Göttin ungeſäumt zu erfüllen, dem
Neptunus den Stier zu ſchlachten, und ſeiner Schutz¬
göttin Minerva einen Altar zu bauen. Als dieß Alles
geſchehen war, fing und bändigte Bellerophontes das Flü¬
gelroß ohne alle Mühe, legte ihm den goldenen Zaum
an, und beſtieg es in eherner Rüſtung. Nun ſchoß er
aus den Lüften herab, und tödtete die Chimära mit ſei¬
nen Pfeilen. Hierauf ſchickte ihn Jobates gegen das
Volk der Solymer aus, ein ſtreitbares Männergeſchlecht,
das an den Gränzen von Lycien wohnte, und nachdem
er wider Erwarten den härteſten Kampf mit dieſen
glücklich beſtanden, ſo wurde er von dem Könige gegen
die männergleiche Schaar der Amazonen geſandt. Auch aus
dieſem Streite kam er unverletzt und ſiegreich zurück. Nun
legte ihm der König, um dem Verlangen ſeines Eidams
doch endlich nachzukommen, eben auf dieſem Rückwege einen
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/300>, abgerufen am 22.11.2024.
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