Auch die übrigen Helden rüsteten sich, und bald hatte Adrastus ein gewaltiges Heer um sich versammelt, das in sieben Heerhaufen abgetheilt und von sieben Helden befehligt, unter dem Schalle der Zinken und Trompeten, jauchzend und voll Hoffnung die Stadt Argos verließ. Aber schon auf dem Wege stellte sich das Unglück ein. Sie waren in den Wald von Nemea gelangt, wo alle Quellen, Flüsse und Seen ausgetrocknet waren, und des Tages Hitze mit brennendem Durste sie quälte. Panzer und Schilde wurden ihnen zu schwer, der Staub, der sich von dem Zug auf der Straße erhob, setzte sich ihnen auf den dürren Gaumen, selbst ihren Rossen trocknete der Schaum von dem Maule hinweg und sie bissen knirschend mit trockenen Nüstern in den Zaum. Während nun Adrastus nebst einigen Kriegern vom Heere vergebens nach Quellen die Waldungen durchirrte, stießen sie auf einmal auf ein trauriges Weib von seltener Schöne, das einen Knaben an der Brust, mit wallenden Haaren und in ärmlicher Kleidung, doch mit königlicher Miene, unter dem Schat¬ ten eines Baumes saß. Der überraschte König glaubte nicht anders, als eine Nymphe des Waldes vor sich zu sehen, warf sich vor ihr auf ein Knie und flehte sie für sich und die Seinigen um Rettung aus der Noth an, mit welcher der Durst sie bedrohe. Aber die Frau ant¬ wortete mit gesenktem Auge und demüthiger Stimme: "Fremdling, ich bin keine Göttin; Du magst, wie dein herrliches Aussehen mich vermuthen läßt, von Göttern stammen: wenn an mir etwas übermenschliches, so muß es
Auszug der Helden. Hypſipyle und Opheltes.
Auch die übrigen Helden rüſteten ſich, und bald hatte Adraſtus ein gewaltiges Heer um ſich verſammelt, das in ſieben Heerhaufen abgetheilt und von ſieben Helden befehligt, unter dem Schalle der Zinken und Trompeten, jauchzend und voll Hoffnung die Stadt Argos verließ. Aber ſchon auf dem Wege ſtellte ſich das Unglück ein. Sie waren in den Wald von Nemea gelangt, wo alle Quellen, Flüſſe und Seen ausgetrocknet waren, und des Tages Hitze mit brennendem Durſte ſie quälte. Panzer und Schilde wurden ihnen zu ſchwer, der Staub, der ſich von dem Zug auf der Straße erhob, ſetzte ſich ihnen auf den dürren Gaumen, ſelbſt ihren Roſſen trocknete der Schaum von dem Maule hinweg und ſie biſſen knirſchend mit trockenen Nüſtern in den Zaum. Während nun Adraſtus nebſt einigen Kriegern vom Heere vergebens nach Quellen die Waldungen durchirrte, ſtießen ſie auf einmal auf ein trauriges Weib von ſeltener Schöne, das einen Knaben an der Bruſt, mit wallenden Haaren und in ärmlicher Kleidung, doch mit königlicher Miene, unter dem Schat¬ ten eines Baumes ſaß. Der überraſchte König glaubte nicht anders, als eine Nymphe des Waldes vor ſich zu ſehen, warf ſich vor ihr auf ein Knie und flehte ſie für ſich und die Seinigen um Rettung aus der Noth an, mit welcher der Durſt ſie bedrohe. Aber die Frau ant¬ wortete mit geſenktem Auge und demüthiger Stimme: „Fremdling, ich bin keine Göttin; Du magſt, wie dein herrliches Ausſehen mich vermuthen läßt, von Göttern ſtammen: wenn an mir etwas übermenſchliches, ſo muß es
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Auszug der Helden. Hypſipyle und Opheltes.
Auch die übrigen Helden rüſteten ſich, und bald hatte
Adraſtus ein gewaltiges Heer um ſich verſammelt, das
in ſieben Heerhaufen abgetheilt und von ſieben Helden
befehligt, unter dem Schalle der Zinken und Trompeten,
jauchzend und voll Hoffnung die Stadt Argos verließ.
Aber ſchon auf dem Wege ſtellte ſich das Unglück ein.
Sie waren in den Wald von Nemea gelangt, wo alle
Quellen, Flüſſe und Seen ausgetrocknet waren, und des
Tages Hitze mit brennendem Durſte ſie quälte. Panzer
und Schilde wurden ihnen zu ſchwer, der Staub, der
ſich von dem Zug auf der Straße erhob, ſetzte ſich ihnen
auf den dürren Gaumen, ſelbſt ihren Roſſen trocknete der
Schaum von dem Maule hinweg und ſie biſſen knirſchend mit
trockenen Nüſtern in den Zaum. Während nun Adraſtus
nebſt einigen Kriegern vom Heere vergebens nach Quellen
die Waldungen durchirrte, ſtießen ſie auf einmal auf ein
trauriges Weib von ſeltener Schöne, das einen Knaben
an der Bruſt, mit wallenden Haaren und in ärmlicher
Kleidung, doch mit königlicher Miene, unter dem Schat¬
ten eines Baumes ſaß. Der überraſchte König glaubte
nicht anders, als eine Nymphe des Waldes vor ſich zu
ſehen, warf ſich vor ihr auf ein Knie und flehte ſie für
ſich und die Seinigen um Rettung aus der Noth an,
mit welcher der Durſt ſie bedrohe. Aber die Frau ant¬
wortete mit geſenktem Auge und demüthiger Stimme:
„Fremdling, ich bin keine Göttin; Du magſt, wie dein
herrliches Ausſehen mich vermuthen läßt, von Göttern
ſtammen: wenn an mir etwas übermenſchliches, ſo muß es
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/374>, abgerufen am 25.11.2024.
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