sollte Ruhe finden, wenn er in ein Land gekommen, das bei seiner Mutter Ermordung noch nicht vorhanden ge¬ wesen sey. Es hatte nemlich Eriphyle sterbend jedes Land verflucht, das den Muttermörder aufnehmen würde. Trostlos verließ Alkmäon seine Gattin und seinen kleinen Sohn Klytus und ging hinaus in die weite Welt. Nach langem Umherirren fand er endlich doch, was ihm die Wahrsagung verheißen hatte. Er kam an den Strom Achelous und fand hier eine Insel, die dieser erst seit Kurzem angesetzt hatte. Hier ließ er sich nieder und ward von seiner Plage ganz frei. Aber die Befreiung von dem Fluche und das neue Glück machten sein Herz übermüthig: er vergaß seiner frühern Gemahlin Arsinoe und seines kleinen Sohnes und vermählte sich abermals mit der schönen Kallirrhoe, der Tochter des Stromgottes Achelous, die ihm auch bald nach einander zwei Söhne, Akarnan und Amphoterus, gebar. Wie aber dem Alkmäon überall der Ruf von den unschätzbaren Kleinodien voran¬ ging, in deren Besitze man ihn glaubte, so fragte auch seine junge Gemahlin gar bald nach dem herrlichen Hals¬ band und Schleier. Diese Schätze jedoch hatte Alkmäon in den Händen seiner ersten Gattin gelassen, als er diese heimlich verließ. Nun sollte seine neue Gemahlin nichts von jenem früheren Ehebund erfahren: so erdichtete er einen Ort in der Ferne, wo er die Kostbarkeiten aufge¬ hoben hätte, und machte sich anheischig, ihr dieselben zu holen. Nun wanderte er nach Phocis zurück, trat wie¬ der vor seinen ersten Schwiegervater und seine verstoßene Gattin und entschuldigte sich wegen seiner Entfernung mit einem Reste von Wahnsinn, der ihn ausgetrieben habe und noch immer verfolge. "Frei vom Fluche zu werden und
ſollte Ruhe finden, wenn er in ein Land gekommen, das bei ſeiner Mutter Ermordung noch nicht vorhanden ge¬ weſen ſey. Es hatte nemlich Eriphyle ſterbend jedes Land verflucht, das den Muttermörder aufnehmen würde. Troſtlos verließ Alkmäon ſeine Gattin und ſeinen kleinen Sohn Klytus und ging hinaus in die weite Welt. Nach langem Umherirren fand er endlich doch, was ihm die Wahrſagung verheißen hatte. Er kam an den Strom Achelous und fand hier eine Inſel, die dieſer erſt ſeit Kurzem angeſetzt hatte. Hier ließ er ſich nieder und ward von ſeiner Plage ganz frei. Aber die Befreiung von dem Fluche und das neue Glück machten ſein Herz übermüthig: er vergaß ſeiner frühern Gemahlin Arſinoe und ſeines kleinen Sohnes und vermählte ſich abermals mit der ſchönen Kallirrhoe, der Tochter des Stromgottes Achelous, die ihm auch bald nach einander zwei Söhne, Akarnan und Amphoterus, gebar. Wie aber dem Alkmäon überall der Ruf von den unſchätzbaren Kleinodien voran¬ ging, in deren Beſitze man ihn glaubte, ſo fragte auch ſeine junge Gemahlin gar bald nach dem herrlichen Hals¬ band und Schleier. Dieſe Schätze jedoch hatte Alkmäon in den Händen ſeiner erſten Gattin gelaſſen, als er dieſe heimlich verließ. Nun ſollte ſeine neue Gemahlin nichts von jenem früheren Ehebund erfahren: ſo erdichtete er einen Ort in der Ferne, wo er die Koſtbarkeiten aufge¬ hoben hätte, und machte ſich anheiſchig, ihr dieſelben zu holen. Nun wanderte er nach Phocis zurück, trat wie¬ der vor ſeinen erſten Schwiegervater und ſeine verſtoßene Gattin und entſchuldigte ſich wegen ſeiner Entfernung mit einem Reſte von Wahnſinn, der ihn ausgetrieben habe und noch immer verfolge. „Frei vom Fluche zu werden und
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ſollte Ruhe finden, wenn er in ein Land gekommen, das
bei ſeiner Mutter Ermordung noch nicht vorhanden ge¬
weſen ſey. Es hatte nemlich Eriphyle ſterbend jedes
Land verflucht, das den Muttermörder aufnehmen würde.
Troſtlos verließ Alkmäon ſeine Gattin und ſeinen kleinen
Sohn Klytus und ging hinaus in die weite Welt. Nach
langem Umherirren fand er endlich doch, was ihm die
Wahrſagung verheißen hatte. Er kam an den Strom
Achelous und fand hier eine Inſel, die dieſer erſt ſeit
Kurzem angeſetzt hatte. Hier ließ er ſich nieder und
ward von ſeiner Plage ganz frei. Aber die Befreiung
von dem Fluche und das neue Glück machten ſein Herz
übermüthig: er vergaß ſeiner frühern Gemahlin Arſinoe
und ſeines kleinen Sohnes und vermählte ſich abermals
mit der ſchönen Kallirrhoe, der Tochter des Stromgottes
Achelous, die ihm auch bald nach einander zwei Söhne,
Akarnan und Amphoterus, gebar. Wie aber dem Alkmäon
überall der Ruf von den unſchätzbaren Kleinodien voran¬
ging, in deren Beſitze man ihn glaubte, ſo fragte auch
ſeine junge Gemahlin gar bald nach dem herrlichen Hals¬
band und Schleier. Dieſe Schätze jedoch hatte Alkmäon
in den Händen ſeiner erſten Gattin gelaſſen, als er dieſe
heimlich verließ. Nun ſollte ſeine neue Gemahlin nichts
von jenem früheren Ehebund erfahren: ſo erdichtete er
einen Ort in der Ferne, wo er die Koſtbarkeiten aufge¬
hoben hätte, und machte ſich anheiſchig, ihr dieſelben zu
holen. Nun wanderte er nach Phocis zurück, trat wie¬
der vor ſeinen erſten Schwiegervater und ſeine verſtoßene
Gattin und entſchuldigte ſich wegen ſeiner Entfernung mit
einem Reſte von Wahnſinn, der ihn ausgetrieben habe
und noch immer verfolge. „Frei vom Fluche zu werden und
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/409>, abgerufen am 17.09.2024.
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